Zielgerichtet gegen Krebs |
| Annette Rößler |
| 12.06.2023 09:00 Uhr |
Professor Dr. Peter Ruth von der Universität Tübingen sprach beim Pharmacon zu den modernen pharmakologischen Therapieansätzen bei soliden Tumoren. / Foto: PZ/Alois Müller
Die Behandlung von Patienten mit soliden Tumoren habe in der jüngsten Vergangenheit eine »revolutionäre Entwicklung« genommen, sagte der Pharmakologe von der Universität Tübingen. Heute gehöre es zum Standard, dass bei betroffenen Patienten das Tumorgenom sequenziert werde, woraus sich in sehr vielen Fällen individuelle Behandlungsstrategien ableiten ließen. Ein Erfolg dieser Herangehensweise sei, dass die Krebssterblichkeit mit circa 240.000 Toten pro Jahr in Deutschland seit Jahren etwa gleich geblieben, tendenziell sogar leicht gesunken sei, während die Zahl der Neuerkrankungen aufgrund der Alterung der Bevölkerung gestiegen sei. Denn Krebs ist eine Alterserkrankung.
Ein zielgerichteter Ansatz beim malignen Melanom kann etwa die Blockade der Serin-Threonin-Kinase BRAF sein, wenn diese mutiert und dadurch überaktiv ist. »Das ist bei mehr als der Hälfte der Patienten mit einem malignen Melanom der Fall«, informierte Ruth. BRAF-Hemmer wie Vemurafenib (Zelboraf®), Dabrafenib (Tafinlar®) oder Encorafenib (Braftovi®) seien überaus wirksam – das Melanom und seine Metastasen bilden sich innerhalb weniger Wochen komplett zurück –, doch leider dauere es in der Regel auch nicht lange, bis der Tumor gegen sie unempfindlich geworden ist. »Resistenzen gegen BRAF-Inhibitoren treten bereits nach wenigen Therapiemonaten auf«, sagte Ruth.
Durch die Kombination eines BRAF-Inhibitors mit einem Hemmer der nachgeschalteten Kinase MEK wird der überaktive Signalweg an zwei Stellen unterbrochen, was die Wirksamkeit erhöht und verlängert. Der entsprechende Partner-Wirkstoff von Vemurafenib ist Cobimetinib (Cotellic®), der von Dabrafenib Trametinib (Mekinist®) und der von Encorafenib Binimetinib (Mektovi®). Auch die kombinierte Gabe eines BRAF- und eines MEK-Hemmers könne die Resistenzentwicklung jedoch nicht auf Dauer verhindern, so Ruth.
Deutlich effektiver als die BRAF-/MEK-Hemmung sei die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren. Diese sei daher, sofern die entsprechenden histopathologischen Voraussetzungen gegeben seien, der Therapiestandard, die BRAF-/MEK-Hemmung erst die Zweitlinie. Der wichtigste therapeutisch genutzte Angriffspunkt für die Checkpoint-Inhibition ist der von T-Lymphozyten exprimierte Programmed-Death-(PD-)1-Rezeptor beziehungsweise dessen Ligand PD-L1. »Der Prozentsatz der PD-L1-Expression wird heute bei Tumoren, die dafür infrage kommen, standardmäßig bestimmt. Davon hängt die Therapie ab«, sagte Ruth.
Der monoklonale Antikörper Nivolumab (Opdivo®), der 2015 der erste verfügbare PD-1-Inhibitor war, ist mittlerweile zugelassen bei malignem Melanom, nicht kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC), Pleuramesotheliom (Asbest-bedingter Tumor des Rippenfells), Nierenzell-, Kopf-Hals-, Ösophagus-, Urothel-, Magen- und Darmkrebs sowie beim Hodgkin-Lymphom. Abhängig von der Tumorentität und/oder dem Ausmaß der PD-L1-Expression wird Nivolumab kombiniert mit dem CTLA-4-Hemmer Ipilimumab (Yervoy®), ebenfalls ein Checkpoint-Inhibitor.
Pembrolizumab (Keytruda®), der zweite verfügbare PD-1-Hemmer, kam nur einen Monat nach Nivolumab auf den Markt. »Er ist noch potenter als Nivolumab, deshalb braucht man die Kombination mit Ipilimumab nicht mehr«, erklärte Ruth. Die hohen Ansprechraten unter Nivolumab und Pembrolizumab bei einem vertretbaren Nebenwirkungsprofil führten schließlich auch zu einer sehr guten Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Mittlerweile sind zahlreiche Nachfolgesubstanzen auf dem Markt.
Die Wirkung der Checkpoint-Inhibitoren beruht darauf, dass sie die Bremse des Immunsystems lösen, sodass dieses den Tumor attackiert. Nebenwirkungen der Therapie sind daher häufig immunvermittelt, etwa Dermatitis, Enterokolitis oder Endokrinopathien. »Das Ausmaß der Toxizität korreliert nicht immer mit dem Ansprechen, aber ein Zusammenhang scheint zu existieren«, sagte Ruth. Bei adäquater Behandlung seien die Nebenwirkungen zumeist reversibel.