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Kritische Bewertung

Werden bivalente Coronaimpfstoffe überhaupt gebraucht?

Einer der große Skeptiker der Zulassung der bivalenten mRNA-Boosterimpfstoffe, der US-amerikanische Molekularmediziner Professor Eric Topol zieht jetzt eine positive Bilanz zu diesem Impfstofftyp. Demgegenüber bleibt ein Kritiker der bivalenten Impfstoffe, der US-amerikanische Pädiater und Impfstoffentwickler Professor Paul A. Offit, skeptisch. Was haben uns diese beiden Experten zu sagen?
Theo Dingermann
12.01.2023  14:30 Uhr

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Beide prominenten US-amerikanischen Mediziner und Impfstoffexperten stellen nicht die Impfungen zum Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen in Frage. Ihre Argumente kreisen viel mehr um die Sinnhaftigkeit der Entwicklung angepasster Impfstoffe, die zumindest in Teilen vor gefährlichen SARS-CoV-2-Varianten schützen sollen und derzeit als bivalente mRNA-Impfstoffe entweder mit einer Wildtyp/BA.1-Kombination oder einer Wildtyp/BA.4-5-Kombination zugelassen sind.

Der beharrliche Skeptiker

Professor Dr. Paul A. Offit, der am Vaccine Education Center des Children's Hospital of Philadelphia tätig ist und auch dem FDA Vaccines and Related Biological Products Advisory Committee als Mitglied angehört, hatte seinerzeit als einziger Experte gegen die Zulassung der bivalenten Impfstoffe gestimmt. Als am 28. Juni 2022 Forschende von Biontech/Pfizer und Moderna dem FDA-Beratungsgremium Daten zu ihren bivalenten Impfstoffen vorlegten, waren die Ergebnisse enttäuschend. Diese Daten legten nahe, dass die Impfstoffe neutralisierende Antikörper gegen BA.1 in einer Größenordnung induzierten, die nur 1,5 -bis 1,75-mal so hoch lagen wie die mit den monovalenten Impfstoffen erzielten Werte.

Allerdings stand damals der Winter vor der Tür, weshalb das Gremium der Zulassung bivalenter Impfstoffe mit der Maßgabe zustimmte, dass sie auf die Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5 abzielen würden, die zu diesem Zeitpunkt mehr als 95 Prozent der zirkulierenden Stämme ausmachten. Die BA.1-Variante war damals bereits komplett verdrängt worden.

Rückblickend resümiert Offit in einem »Perspektive«-Beitrag in der aktuellen Ausgabe des »New England Journal of Medicine« (NEJM), dass sich glücklicherweise die bisher bekannten SARS-CoV-2-Varianten nicht in eine Richtung entwickelt haben, dass sie den Schutz vor schweren Krankheiten vollständig unterlaufen, der sich durch Impfungen oder frühere Infektionen etabliert hat. Wäre das so, so müsste man tatsächlich variantenspezifische Impfstoffe entwickeln.

Allerdings sieht er in den verfügbaren Daten nicht den großen Unterschied in der Effizienz der ursprünglichen, gegen die SARS-CoV-2-Wildtyp-Variante entwickelten Impfstoffe und der an die Omikron-Varianten BA.1 beziehungsweise BA.4-5 angepassten Impfstoffe.

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