BA.4/5-adaptierte Impfstoffe zeigen mäßige spezifische Boostereffekte |
Theo Dingermann |
25.10.2022 16:30 Uhr |
Die an die Omikron-Sublinien BA.4/5 angepassten Coronaimpfstoffe scheinen einer aktuellen Studie zufolge keine besseren spezifischen Antikörperantworten zu induzieren als die normalen monovalenten Impfstoffe. / Foto: Adobe Stock/Alernon77
Mit Auftreten der Omikron-Subvarianten, die durch ihr enormes Immunfluchtpotenzial bis dahin einzigartig waren, begannen die Rennen um an diese Varianten angepasste Impfstoffe. Seit Mitte September sind derartige Impfstoffe verfügbar. Allerdings ist die Datenlage zur Wirksamkeit dieser Vakzinen nach wie vor unbefriedigend. Das schürt Gerüchte, die Wirksamkeit könnte schlechter sein, als dies allgemein erhofft wurde. Tatsächlich deuten erste Daten, die bisher nur in Form eines Preprints auf dem Server »Biorxiv« publiziert wurden, darauf hin, dass diese Vermutungen stimmen könnten.
Eine Forschergruppe um Dr. Qian Wang von der Columbia University in New York untersuchten Seren verschiedener klinischer Kohorten, die nach drei Impfungen eine vierte Dosis der ursprünglichen monovalenten mRNA-Impfstoffe oder eine Dosis der neuen bivalenten Impfstoffe erhalten hatten. Zudem schauten sich die Forschenden auch Seren von Personen an, die an einer BA.4/5-Durchbruchinfektion erkrankt waren.
Mithilfe von Pseudovirus-Neutralisationstests bestimmten die Wissenschaftler das Neutralisierungspotenzial der Seren gegen den SARS-CoV-2-Wildtyp-nahen Stamm D614G, gegen mehrere Omikron-Sublinien (BA.1, BA.2, BA.4/BA.5, BA.4.6, BA.2.75 und BA.2.75.2) und gegen einige verwandte Sarbecoviren (SARS-CoV, PCoV-GD, PCoV-GX und WIV1). Die Seren waren den Probanden etwa drei bis fünf Wochen nach der Auffrischungsimpfung mit einem bivalenten mRNA-Impfstoff entnommen worden.
Die Autoren konnten keine signifikant höheren Titer an neutralisierenden Antikörpern als Reaktion auf eine Auffrischimpfung mit einem angepassten Impfstoff zeigen als bei Probanden, die als Auffrischimpfung einen monovalenten mRNA-Impfstoff erhalten hatten. Das galt für alle getesteten Varianten, einschließlich BA.4/BA.5.
Diejenigen, die eine monovalente Auffrischimpfung erhalten hatten, zeigten leicht höhere Titer an neutralisierenden Antikörpern gegen die mit SARS-CoV-2 verwandten Sarbecoviren als diejenigen, die mit dem angepassten Impfstoff geimpft worden waren.
So lautet das ernüchternde Fazit der Autoren, dass ein als Auffrischimpfung verabreichter bivalenter, an Omikron BA.4/BA.5 adaptierter mRNA-Impfstoff unter den Testbedingungen beim Menschen keine besseren neutralisierenden Antikörperreaktionen auslöste als eine Auffrischimpfung mit dem ursprünglichen monovalenten Impfstoff. Diese Ergebnisse könnten, so die Autoren, auf eine immunologische Prägung hindeuten.
Allerdings räumen die Autoren ein, dass dieses Bild kein abschließendes Urteil erlaubt. Es seien Folgestudien erforderlich, um festzustellen, ob sich die Antikörperreaktionen im Verlauf anders darstellen, wenn das Immunsystem mehr Zeit hatte, um auf den Antigenkontakt zu reagieren.
In kurzer Abfolge erschienen aktuell mehrere Artikel, in denen enttäuschende Resultate zur spezifischen Wirksamkeit der an Omikron-Subvarianten adaptierten Impfstoffe kommuniziert wurden. Diese Aussagen provozieren geradezu Missverständnisse, vor denen ausdrücklich gewarnt werden muss. Denn keine der drei Arbeiten stellt die Wirksamkeit der adaptierten Impfstoffe grundsätzlich infrage. Im Gegenteil: Als Booster steigern alle zugelassenen Impfstoffe die Immunantwort signifikant und in einer Größenordnung, die man auch erwarten kann.
Die Enttäuschung macht sich daran fest, dass die angepassten Impfstoffe nur eine mäßig bessere spezifische Immunantwort gegen die Omikron-Subvarianten BA.1 oder BA.4/5 induzieren als die ursprünglichen mRNA-Impfstoffe Comirnaty® oder Spikevax®. Für dieses tatsächlich so nicht erwartete Ergebnis könnte es mehrere Erklärungen geben.
Zum einen könnte die antigene Prägung, also die Dominanz von Immunzellen gegen das Antigen, mit dem das Immunsystem erstmals konfrontiert wurde, bei SARS-CoV-2 stärker ausgeprägt sein, als viele das bisher erwartet haben. Sollte das der Fall sein, wäre es nicht erforderlich, mit angepassten Impfstoffen das Immunsystem auf einen aktuellen Stand zu bringen.
Zum anderen ist es aber auch denkbar, dass alle drei Studien nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zu einer an die Omikron-Subvarianten angepassten Immunität dokumentieren. Es ist nicht auszuschließen, dass es eine Weile dauert, bis der Affinitätsreifungsprozess von B-Zellen mit einer höheren und breiteren Affinität zu den neu exponierten Antigenen optimiert ist. Dann wäre eine Boosterimpfung mit den adaptierten Impfstoffen am Ende doch einer Auffrischung mit den monovalenten Ursprungsimpfstoffen überlegen. Viele Experten teilen diese Meinung, weshalb die aktuellen Veröffentlichungen niemanden davon abhalten sollten, sich für eine Auffrischimpfung mit einem der verfügbaren bivalenten Impfstoffe zu entscheiden.
Professor Dr. Theo Dingermann, Senior Editor der PZ
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.