Was unsere Bakterien gesund hält |
Christina Hohmann-Jeddi |
24.07.2019 17:00 Uhr |
Um dem Darmmikrobiom etwas Gutes zu tun, sollte die Nahrung salz- und fettarm sowie möglichst unverarbeitet sein und vor allem viele Ballaststoffe enthalten. / Foto: Adobe Stock/Trendsetter
Der Mensch ist bereits am Tag seiner Geburt von Mikroben besiedelt – auf der Haut, auf Schleimhäuten und vor allem im Darm siedeln sich Keime an. Er ist quasi die Heimat einer komplexen Gemeinschaft aus Pilzen, Archaeen, Viren, inklusive Phagen und einer Unzahl von Bakterien, die eng mit ihm zusammenleben. Biologen nennen dies einen Holobionten. Mehrere 1000 Arten kommen im Darm vor, die zusammen fast 20 Millionen Gene aufweisen. Der Mensch allein dagegen kommt geschätzt auf etwa 20.000 Gene.
Bei jedem Einzelnen kommen mehrere hundert Arten im Darm vor. »Die bakterielle Besiedlung ist individuell sehr unterschiedlich«, berichtete Professor Dr. Yurdagül Zopf, Ernährungsmedizinerin am Universitätsklinikum Erlangen, beim Internistenkongress im Mai in Wiesbaden. Und sie verändert sich ständig. Dabei wirken verschiedene Faktoren auf die Mikrobiota ein: die Art der Ernährung, Hygiene, Infektionen, der Grad der körperlichen Aktivität und auch Medikamente. »Viele Arzneimittel können die Darmmikrobiota beeinflussen, nicht nur Antibiotika«, betonte Zopf. Etwa ein Viertel der Arzneimittel hat Auswirkungen auf die Darmbewohner, vor allem Protonen-Pumpen-Inhibitoren, Antipsychotika, Antidepressiva, antiinflammatorische Substanzen und Hormone wie Progesteron und Estrogene.
Problematisch wird es, wenn das Gleichgewicht der Gemeinschaft durch schädliche Einflüsse gestört wird. Meist nimmt dann die Artenvielfalt, die sogenannte Diversität, ab. Hilfreiche Arten, zum Beispiel solche, die kurzkettige Fettsäuren (SCFA) produzieren, werden dezimiert. Als Konsequenz kommt es unter anderem zu einer entzündlichen Kaskade. Fehlen SCFA als positive Signale, treten nicht nur im Darm, sondern auch an anderen Stellen im Körper Probleme auf, berichtete die Ernährungsmedizinerin. Hautkrankheiten, kardiologische, Autoimmun- oder psychiatrische Erkrankungen können die Folge sein.
Vor allem die Abnahme der Artenvielfalt sehen manche Experten inzwischen als treibenden Faktor für die Zunahme von einer ganzen Reihe von Erkrankungen. Seit dem Zweiten Weltkrieg sei die Zahl von metabolischen, kognitiven und Immunerkrankungen wie Adipositas, Diabetes, Allergien, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und Autismus dramatisch angestiegen, schrieben Professor Dr. Maria Dominguez Bello von der Universität New York und drei Kollegen 2018 im Fachjournal »Science« (DOI: 10.1126/science.aau8816). Dies hinge mit dem Verlust der Diversität zusammen, so die Forscher, der wiederum eng mit der Industrialisierung gekoppelt ist. Die Artenvielfalt der Darmmikrobiota von südamerikanischen indigenen Völkern sei zum Beispiel doppelt so groß wie die heutiger gesunder US-Amerikaner.
Gründe für den Diversitätsverlust sehen die Experten unter anderem in chloriertem Trinkwasser, verarbeiteten Lebensmitteln, aber auch in künstlicher Säuglingsnahrung und der medizinischen Versorgung in Industrienationen. Gerade die häufige Anwendung von Antibiotika postnatal oder im Kindesalter sowie Kaiserschnitte würden die natürliche Übertragung der Mikrobiota von Mutter auf Kind erschweren und die Artenvielfalt reduzieren – »besonders im kritischen Fenster der frühen Entwicklung«, schreiben die Forscher. Um die Vielfalt global zu bewahren, fordern sie, umfassende Biobanken mit Darmkeimen anzulegen. Außerdem könnte das Artensterben mit verschiedenen Maßnahmen abgeschwächt werden. Sie schlagen vor, den Einsatz von Antibiotika strenger zu kontrollieren, die Kaiserschnittrate zu senken, das Stillen zu fördern und vor allem die Ernährung zu verbessern.
Wie Ernährung sein sollte, damit sie der Darmmikrobiota schmeckt, stellte Professor Dr. Christian Sina, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin der Uniklinik Schleswig-Holstein in Lübeck, beim Internistenkongress vor. »Was wir momentan essen, ist nicht gut für unsere Darmmikrobiota«, sagte der Mediziner. Negative Effekte haben zum Beispiel ein hoher Salz- und Fettgehalt, Emulgatoren in industriell verarbeiteten Lebensmitteln und künstliche Süßstoffe wie Saccharin. Emulgatoren reduzierten in Tierversuchen die Mukusschicht, die schützende Barriere zwischen Darminhalt und der Darmwand. Für Süßstoffe ist ebenfalls in Tierexperimenten nachgewiesen, dass sie die Darmmikrobiota-Zusammensetzung so stören, dass sie eine Glucose-Intoleranz auslösen können (»Nature« 2014, DOI: 10.1038/nature13793).
»Diese negativen Dinge können wir entweder weglassen, oder wir können positive Dinge verstärkt essen«, sagte Sina. Positive Auswirkungen haben vor allem Ballaststoffe. »Eine Aufnahme von 30 Gramm am Tag wird empfohlen«, so der Mediziner. »In modernen Gesellschaften liegen die meisten jedoch deutlich unter dieser Empfehlung.« Deutsche nehmen pro Tag im Schnitt 22 g und US-Amerikaner 15 g zu sich.
Ballaststoffe fördern eine gesunde Zusammensetzung der Mikrobiota, indem sie vielen Bakterienarten, unter anderem Ruminococcus bromii und Faecalibacterium prausnitzii, als Nahrungsgrundlage dienen. Diese Mikroben verstoffwechseln die Stoffe unter Freisetzung von SCFA, die antientzündliche Effekte haben. Außerdem wirken SCFA als Signalmoleküle, die unter anderem die Fettakkumulation in der Leber und die Cholesterolsynthese bremsen und die Insulinsensitivität verbessern.
Zudem schützt die Aufnahme von Ballaststoffen die Barrierefunktion des Darms, berichtete Sina. Gelangen zu wenige Ballaststoffe in den Darm, stellen einige Bakterienspezies, vor allem Bacteroides caccae and Akkermansia muciniphila, ihren Stoffwechsel um und zersetzen die Mukusschicht der Darmschleimhaut. Das konnte ein internationales Forscherteam um Dr. Mahesh Desai 2016 in Experimenten mit Mäusen zeigen: Wurden die Tiere konsequent ballaststoffarm gefüttert, nahm die Dicke der Schleimschicht ab und die Versuchstiere entwickelten Entzündungen im Darm (»Cell«, DOI: 10.1016/j.cell.2016.10.043). »Die Darmbarriere war quasi zerstört«, sagte Sina.
Was genau kann gemacht werden, um eine mögliche Schieflage in der Mikroben-Zusammensetzung wieder in Balance zu bringen? Die Ernährung umzustellen und möglichst auf Antibiotika zu verzichten, sind die ersten Maßnahmen. Auch Sport hat positive Effekte, wie seit Kürzerem bekannt ist, berichtete Zopf. Darüber hinaus wird an Prä- und Probiotika geforscht. »Hier sind wir in der Forschung auf einem guten Weg«, so die Medizinerin. »Aber wir sind noch weit entfernt davon, uns auszukennen.« So sei zum Beispiel noch nicht klar, wie die Gabe einzelner Spezies die Artenvielfalt erhöhen soll.
Im Darm des Menschen leben mehrere Hundert Arten von Bakterien, aber auch Pilze und Viren. Je diverser die Gemeinschaft ist, desto gesünder für den Wirt. / Foto: Shutterstock/Kateryna Kon
Eine weitere therapeutische Möglichkeit ist die Stuhltransplantation, also die Übertragung der Darmmikrobiota eines Gesunden auf einen Patienten. Diese ist bei rezidivierenden Clostridium-difficile-Infektionen sehr wirksam und wird auch schon angewendet; in Deutschland hat sie allerdings den Status eines individuellen Heilversuchs. Für andere untersuchte Indikationen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gebe es bislang kaum Belege für eine Wirksamkeit. »Das sollte noch eine Weile Forschungsbereich bleiben«, sagte Zopf. Auch Fragen zur Sicherheit und der Art der Applikation seien noch nicht ausreichend beantwortet. So warnte vor Kurzem die US-Behörde FDA vor dem Risiko von schwerwiegenden bakteriellen Infektionen, die durch Übertragung von multiresistenten Erregern bei der Stuhltransplantation entstehen können.
Sind einzelne Arten bereits verschwunden, könnte deren Funktion durch die gezielte Gabe der von ihnen produzierten Metaboliten ersetzt werden. Denn neben den genannten SCFA setzen Darmbakterien eine riesige Zahl an kleinen Molekülen mit möglicherweise positiven Eigenschaften frei. »Unsere Mikrobiota ist eine nicht überwachte Arzneimittel-Fabrik«, sagte Sina. Welche Effekte die Substanzen haben, sei noch lange nicht erforscht. »Da haben wir noch viel Arbeit vor uns.«
Es ist nicht nur schwierig, eine Dysbalance in der Darmmikrobiota auszugleichen, sondern auch diese festzustellen. Eine Mikrobiom-Analytik in der Form, wie sie heute schon angeboten wird, hält Zopf nicht für sinnvoll. Zum einen unterscheide sich die Zusammensetzung der Bakterien im Dickdarm deutlich von der im Stuhl, der als Probe genommen wird. Zum anderen werden in der Regel nur wenige Bakterienspezies untersucht, was der Komplexität der Gemeinschaft, die ja auch Pilze, Viren und Archaeen umfasst, nicht gerecht wird. »Wir sollten uns davon distanzieren, solche Tests in der Praxis durchzuführen«, sagte Zopf.