Fasern mit vielen Funktionen |
Christina Hohmann-Jeddi |
18.01.2019 17:00 Uhr |
Reich an Ballststoffen sind Vollkornprodukte, Nüsse, Samen, Gemüse und Obst. / Foto: Shutterstock/Antonina Vlasova
Eine ballaststoffarme Ernährung kann dramatische Folgen haben: Laut einem aktuellen WHO-Bericht geht jeder zweite Todesfall in Europa auf die falsche Ernährungsweise zurück. Diese erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen, zeigte eine weitere Publikation. Was macht die Fasern so gesund?
Ballaststoffe sind Fasern in pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Vollkorn, Obst, Gemüse und Nüssen. In der Regel handelt es sich um Polysaccharide wie Cellulose und resistente Stärke (siehe Kasten) sowie um Oligosaccharide und Polymere wie Lignine. In der Pflanze erfüllen sie Speicher- und Stützfunktionen. Ihren Namen verdanken sie der lange geltenden Ansicht, dass sie für Menschen unverdaulich sind. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn sie können zwar nicht durch menschliche Verdauungsenzyme im Dünndarm aufgeschlossen und absorbiert werden, ein großer Teil wird jedoch im Dickdarm von Darmbakterien fermentiert, wobei kurzkettige Fettsäuren (Short Chain Fatty Acids, SCFA) und Gase entstehen.
Bei resistenter Stärke (RS) handelt es sich um Stärke, die anders als die normale Form des Polysaccharids nicht im Dünndarm des Menschen verdaut werden kann. Sie ist aus unterschiedlichen Gründen dem abbauenden Enzym Amylase nicht zugänglich. Bei der ersten Form (RS1) sind das mechanische Barrieren, wie dicke Zellwände, durch die die Stärke verborgen wird. Als Beispiel sind hier grob zerkleinerte oder ganze Getreidekörner oder Samen zu nennen. Bei RS2 ist die Stärke aufgrund ihrer Struktur dem Abbauenzym nicht zugänglich. Dies ist zum Beispiel bei grünen Bananen, rohen Kartoffeln oder bei Amylose-Maisstärke der Fall. Die dritte Form (retrogradierte Stärke oder RS3) entsteht durch Kochen und anschließendes Abkühlen von stärkehaltigen Nahrungsmitteln wie Kartoffeln oder Nudeln. Chemisch modifizierte resistente Stärke wird als RS4 bezeichnet.
Der Energiewert von resistenter Stärke ist verglichen mit normal verdaubarer Stärke nur etwa halb so hoch.
RS beeinflusst zudem den Blutzuckerwert kaum, da sie nicht abgebaut und somit auch keine Glucose-Monomere resorbiert werden können. Isolierte RS wird zurzeit als Präbiotikum untersucht und zum Teil schon in Lebensmitteln als Zusatz verwendet, um den Ballaststoffgehalt zu erhöhen.
Die Fasern werden grob in lösliche und unlösliche unterteilt. Zu den unlöslichen Ballaststoffen zählen neben β-Glucanen auch Cellulose, Hemicellulose, Chitin, Lignin und resistente Stärke. In Wasser löslich sind dagegen zum Beispiel Fructane, Inulin, Pectin und Alginate. Allen gemeinsam ist, dass sie das Volumen von Nahrungsmitteln erhöhen und dadurch deren Energiegehalt senken. Sie nehmen im Darm Wasser auf und erhöhen so das Stuhlvolumen, was Verstopfungen vorbeugt und auch das Sättigungsgefühl erhöht. Insgesamt helfen sie somit, die Energiezufuhr zu regulieren.
Etwa 30 g Ballasstoffe sollten Erwachsene täglich zu sich nehmen, Kinder entsprechend weniger. / Foto: Fotolia/komokvm
Manche Fasern erhöhen die Viskosität des Stuhls und beeinflussen dadurch die Absorption von Kohlenhydraten. So wird etwa die Aufnahme von Glucose gesenkt, was Blutzucker-Peaks verhindert und die Insulinausschüttung positiv beeinflusst. Zudem können manche Fasern auch den Cholesterolspiegel im Blut senken. Denn die Ballaststoffe binden Gallensäuren und erhöhen so deren Ausscheidung über den Stuhl. Dadurch steigt die Gallensäuresynthese, bei der Cholesterol verbraucht wird.
Ein wichtiger Effekt vor allem der löslichen Ballaststoffe ist, dass sie Dickdarmbakterien als Nahrungsgrundlage dienen. Durch eine ballaststoffreiche Ernährung verändert sich die Darmmikrobiota in eine gesundheitlich positive Richtung. Die Diversität nimmt zu und Bakterienarten, die komplexe Kohlenhydrate verarbeiten können, vermehren sich, heißt es in einerm Review in »Cell«. Durch die mikrobielle Fermentation der Ballaststoffe entstehen SCFA, vor allem Acetat, Propionat und Butyrat. 95 Prozent der im Darm freigesetzten SCFA werden im Dickdarm aufgenommen und dienen dort den Epithelzellen als Hauptenergiequelle. Sie gelangen aber auch in den Blutkreislauf und können als Signalmoleküle auf verschiedene Organe wirken: Sie sind einerseits Histon-Deacetylase-Inhibitoren und können somit die Aktivität von Genen beeinflussen, andererseits sind sie auch Liganden für mehrere G-Protein-gekoppelte Rezeptoren.
Über diese Mechanismen senken Ballaststoffe aktuellen Erkenntnissen zufolge in der Leber die Gluconeogenese, die Cholesterolsynthese und die Fetteinlagerung und erhöhen die Insulinsensitivität. Im weißen Fettgewebe senken sie die Lipolyse und die Insulin-vermittelte Fettakkumulation. Im Gehirn verstärken sie das Sättigungsgefühl und erhöhen die Neurogenese. Im Darm selbst verbessern sie die Barrierefunktion des Organs und senken offenbar das Darmkrebsrisiko. Außerdem beeinflussen sie das Immunsystem, indem sie die Anzahl von regulatorischen T-Zellen erhöhen und deren Funktion verbessern.
Aufgrund dieser vielfältigen physiologischen Effekte wird die Gabe von Ballaststoffen wie Inulin und resistenter Stärke sowie von SCFA bei einer Reihe von Indikationen, vor allem Autoimmunerkrankungen, Krebs und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, getestet.
Als Richtwert für die Zufuhr von Ballaststoffen empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung Erwachsenen eine Menge von mindestens 30 g pro Tag, die zur Hälfte aus Getreideprodukten und zur anderen Hälfte aus Gemüse und Obst stammen sollten. Diese Menge wird beispielsweise erreicht durch drei Scheiben Vollkornbrot, drei Kartoffeln, jeweils eine Portion (150 g) Brokkoli, Paprika und Beerenobst sowie einen Apfel. Ein hoher Gehalt an Ballaststoffen ist auch in Getreidekleie, Trockenobst und Nüssen enthalten. Kinder sollen aufgrund ihres geringeren Energiebedarfs entsprechend weniger Ballaststoffe aufnehmen.