Wann wäre eine Covid-19-Impfpflicht verfassungsgemäß? |
Insgesamt könnte aus seiner Sicht eine Impfpflicht gerechtfertigt werden, wenn die genannten Parameter der Bedrohungslage zutreffend sind, also eine Überlastung der Gesundheitsversorgung und eine steigende Zahl von Krankheits- und Todesfällen aufgrund der nicht geimpften Bevölkerung droht.
Fraglich ist zudem, wie eine Impfpflicht durchzusetzen wäre. Manche Juristen würden hier indirekte Sanktionen vorschlagen, allerdings gebe es solche bereits seit geraumer Zeit, so Di Fabio. Durch die derzeit geltenden Regelungen, dass nur geimpfte oder genesene Personen Zutritt zu bestimmten Veranstaltungen oder öffentlichen Räumen haben, verhalte sich der Gesetzgeber so, als gäbe es bereits eine Impfpflicht, sagte Di Fabio. Diese Situation sei aber verfassungsrechtlich schwierig, denn hier fehle es an Rechtsklarheit. Konsequenter wäre es eine Impfpflicht direkt gesetzlich zu regeln. Damit müsste der Gesetzgeber sich aber auch über Sanktionen Gedanken machen. Di Fabio erklärte, dass eine Impfpflicht aber kaum mit einem Verwaltungszwang verbunden werden könnte. Personen etwa zu zwingen beim Gesundheitsamt vorzusprechen und den Impfstatus vorzulegen, und bei Nicht-Erscheinen die Polizei zu ermächtigen, eine ungeimpfte Person zur Impfung zu bringen, sei in seinen Augen verfassungswidrig.
Allerdings könnte er sich als Sanktionsmöglichkeit ein Bußgeld vorstellen, sollte die Impfpflicht nicht eingehalten werden. Auch hier müsste sich der Gesetzgeber aber Gedanken machen, was bei Nicht-Bezahlen des Bußgelds geschieht, ob eine Ersatzfreiheitsstrafe angebracht wäre oder ob ein höheres Bußgeld angesetzt wird. Aber auch in dieser Steigerung der Zwangswirkung äußerte Di Fabio verfassungsrechtliche Zweifel.
Sollte eine Impfpflicht notwendig werden, erwartet Di Fabio, dass die Bundesregierung einen entsprechenden Vorschlag in den Bundestag zur gesetzlichen Beratung und Entscheidung einbringt. Allerdings sieht er diese Frage als weiteren Baustein der Pandemiebekämpfung. In seinen Augen sei die Frage nach einer allgemeinen Impfpflicht daher keine Gewissensfrage, bei der die Abgeordneten nur nach ihrem Gewissen und nicht nach Fraktionszugehörigkeit entscheiden könnten. Sollte es zu einer Impfpflicht kommen, geht Di Fabio von einer allgemeinen Impfpflicht für Erwachsene aus, wenn nicht sogar einer Impfpflicht nur für Über-50-Jährige nach italienischem Vorbild. Denn diese Bevölkerungsgruppe habe im Vergleich zu jüngeren Gruppen ein größeres Risiko, an einem schweren Covid-19-Krankheitsverlauf zu leiden oder sogar zu sterben. Damit sei der Grundrechtseingriff der staatlich angeordneten Impfung bei den Älteren besser gerechtfertigt.
In der Geschichte Deutschlands gab es bereits vor vielen Jahren Impfpflichten. 1874 etwa führte das Deutsche Kaiserreich eine Pocken-Impfpflicht aufgrund der damaligen grassierenden Pocken-Epidemie ein. Auch vor 150 Jahren gab es bereits Proteste mit Narrativen, die den heutigen Verschwörungstheorien stark ähnelten, weiß Di Fabio. Die Impfpflicht wurde später von der Bundesrepublik Deutschland und der DDR rechtlich übernommen. Allerdings konnte die Pocken-Impfpflicht im Jahr 1983 gesetzlich aufgehoben werden, denn die Weltgesundheitsorganisation hatte die Krankheit wenige Jahre zuvor für weltweit ausgerottet erklärt. Eine weitere Impfpflicht wurde erst vergangenes Jahr geregelt. Die Masern-Impfpflicht ist für Personen und vor allem Kinder, die etwa in einer Gemeinschaftseinrichtung wie einer Kita betreut werden, seit dem 1. März 2020 in Kraft.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.