Virusfrei heißt nicht genesen |
Annette Rößler |
26.08.2020 09:00 Uhr |
Eine bleierne Müdigkeit, die es dem Betroffenen unmöglich macht, seinen normalen Alltag zu bewältigen, wird als Fatigue bezeichnet. Sie kann als Symptom bei Covid-19-Genesenen zurückbleiben. / Foto: Getty Images/PhotoAlto/Frederic Cirou
Je länger die Coronavirus-Pandemie andauert, desto mehr Menschen gibt es, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht haben. In den Statistiken werden diese als Genesene geführt. Viele von ihnen sind jedoch auch mehrere Wochen nach ihrer sogenannten Genesung noch mehr oder weniger stark beeinträchtigt. Das zeigen eine zunehmende Zahl an Fallberichten und mittlerweile auch wissenschaftliche Publikationen. Ähnlich wie es bei der akuten Krankheit Covid-19 der Fall war, die zunächst ausschließlich als Lungenerkrankung gesehen wurde und deren mögliche Auswirkungen auf diverse andere Organe erst nach und nach zutage traten, findet nun auch mit Blick auf die Langzeitfolgen ein Umdenken statt.
Zu den Symptomen, die Menschen nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion längere Zeit zu schaffen machen können, gehören laut einem Artikel auf der Nachrichtenseite des Fachmagazins »Science« Fatigue, Herzrasen, Atemnot, Gelenkschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten (auf Englisch sehr anschaulich als »Brain Fog« bezeichnet) und dauerhafter Geruchs- und Geschmacksverlust (DOI: 10.1126/science.abe1147).
»Science« beschreibt den Fall einer 38-jährigen Neurowissenschaftlerin, die, bevor sie vergleichsweise leicht an Covid-19 erkrankte, ein Forschungslabor leitete und dreimal in der Woche ins Fitnessstudio ging. Jetzt – vier Monate danach – beschränke sich ihre körperliche Aktivität auf Wege »zwischen dem Bett und der Couch, eventuell auch zwischen der Couch und der Küche«.
Ganz ähnlich erging es einer anderen jungen Frau, die im Bereich Public Health an der University of Southampton forscht. Auch sie hat nach mildem Covid-19-Verlauf nun fortgesetzt mit den Folgen zu kämpfen. Im Fachjournal »Nature« berichtet Dr. Nisreen Alwan von einer Besonderheit ihres Zustands: Ihre Tagesform ist extrem unterschiedlich (DOI: 10.1038/d41586-020-02335-z). Mal sind die Symptome stärker, mal schwächer. Seit ihrer Erkrankung im März habe sie schlechte Tage mit einigen Symptomen gehabt, brauchbare Tage und dann wieder schlechtere Tage, an denen sie so erschöpft gewesen sei, dass sie Aktivitäten wie kurze Spaziergänge, die sie an den besseren Tagen unternommen hatte, bereut habe.
Alwan regt an, diese Form der Erkrankung, die sie als Langzeit-Covid-19 bezeichnet, von der kurzen Form abzugrenzen, bei der die Symptome relativ rasch wieder verschwinden, sobald der Coronatest negativ ausfällt. Während man von den Risikofaktoren für einen schweren akuten Erkrankungsverlauf mittlerweile eine ganz gute Vorstellung habe, wisse man über die Risikofaktoren für Langzeit-Covid-19 noch nichts. Das müsse sich dringend ändern.
Wichtig sei auch, Patienten, die wie sie selbst aufgrund von lediglich milden akuten Covid-19-Symptomen nicht im Krankenhaus behandelt worden seien, mit zu erfassen. Diese Gruppe falle derzeit noch durchs Raster. Alwan fordert eine neue Definition für den Zustand »genesen von Covid-19«, die Dauer, Schwere und Fluktuation von Langzeitsymptomen ebenso berücksichtigen sollte wie die Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen, und die Lebensqualität.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.