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Forschung

»Überantikörper« als potenzielle Covid-Wirkstoffe

Immer noch fehlt es an überzeugend wirksamen Covid-Medikamenten. Das zeigt, wie schwierig es ist, hochspezifisch und damit auch hochwirksam ein neues Virus zu neutralisieren, wenn es einen Menschen infiziert hat. Eine Option besteht darin, sich anzuschauen, wie das Immunsystem Genesener, die leicht bis mittelschwer erkrankt waren, dieses Problem löst. 
Theo Dingermann
26.08.2021  09:00 Uhr

Die verfügbaren Impfstoffe zum Schutz vor Covid-19 bieten eine hervorragende Option, sich vor den gefährlichen Konsequenzen einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu schützen. Infiziert man sich hingegen, mangelt es nach wie vor an Therapieoptionen, und man muss hoffen, dass das Immunsystem das Problem in den Griff bekommt. Denn die klassische Entwicklung von Therapeutika zur Behandlung von Covid-19 ist äußerst schwierig, langwierig und risikoreich.

Eine Option zur Behandlung von SARS-CoV-2-Infektionen sind Antikörper, die aus Blutspenden Genesener isoliert werden können. Dieser Ansatz ist plausibel, aber keineswegs zwingend erfolgversprechend. Zwei monoklonale Antikörpertherapien hat das Virus bereits außer Gefecht gesetzt. Bamlanivimab von Lilly war das erste Medikament, das von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) eine Notfallzulassung für leichte bis mittelschwere Covid-19-Fälle erhielt. Nachdem resistente Varianten auftraten, ging das Unternehmen zu einer Kombination aus Bamlanivimab und Etesevimab über. Dann kam jedoch die Ernüchterung: Nachdem die Wirksamkeiten dieser Antikörperkombination gegenüber der Beta- und Gamma-Variante einbrachen, sahen sich die National Institutes of Health (NIH) veranlasst, von der Anwendung dieses Antikörper-Cocktails abzuraten.

So bleiben zurzeit nur zwei Therapienoptionen für die Behandlung von leichten bis mittelschweren Covid-19, für die die FDA eine Notfallzulassung zur Behandlung ambulanter Patienten mit hohem Risiko einer schweren Erkrankung erteilt hat: Casirivimab plus Imdevimab-Cocktail von Regeneron und Sotrovimab von Glaxo-Smith-Kline.

In diesem Zusammenhang ist jetzt im Fachmagazin »Science« eine interessante Studie erschienen. Ein Team um Lingshu Wang vom Vaccine Research Center am National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) der USA isolierte und charakterisierte mehrere Antikörper gegen die Rezeptorbindestelle (RBD) des SARS-CoV-2-Spike-Proteins von Patienten, die von einer leichten bis mittelschweren Krankheit genesen waren.

Unter den vielen Antikörpern fielen vier besonders stark bindende Antikörper auf, die gegen den Virusstamm gerichtet waren, mit dem sich die Patienten infiziert hatten und zusätzlich eine Reihe von Varianten neutralisierten, die im Nachgang der Erkrankung entdeckt wurden. Zwei dieser vier Antikörper (A23-58.1 and B1-182.1) waren bereits in winzigen Konzentrationen bei allen 23 von den Wissenschaftlern getesteten Varianten »ultrapotent«. Sie werden von den Wissenschaftlern als »Überantibodies« bezeichnet.

Kein Ausweg für das Virus

Durch strukturelle und funktionelle Studien konnten die Wissenschaftler zum einen die molekularen Grundlagen für die Bindung dieser Antikörper aufdecken. Zum anderen zeigte sich, dass Antikörperkombinationen die Entstehung von Escape-Mutanten zu reduzieren vermögen, sodass diese Kombinationen auch möglichen Therapieresistenzen vorbeugen könnten.

Einige der isolierten Antikörper binden an hochkonservierte Regionen, die besonders interessant für die Profilierung von Antikörpern und die Entwicklung von Impfstoffen sind. Dies bestätigt auch Dr. John Misasi, der die hier beschriebene Studie leitete, gegenüber dem Fachjournal »JAMA«: »Als wir Ende letzten Jahres mit der Untersuchung der Varianten begannen, testeten wir all diese Antikörper mit Serumneutralisierungstests. Zwei der Antikörper banden fünf- bis zehnmal stärker als alle anderen, die wir bisher getestet hatten.«

So gelang es den Wissenschaftlern, hoch konservierte Stellen auf dem SARS-CoV-2-Spike-Protein zu identifizieren, die von einer Reihe von Schlüsselmutationen nicht nennenswert betroffen sind und die wahrscheinlich auch in Zukunft nicht verändert werden.

Dynamisches Antikörper-Duo

Diese Hypothese überprüften die Forscher experimentell, indem sie ein sich nicht vermehrendes Vesikuläres Stomatitis-Virus (VSV), das mit dem SARS-CoV-2-Spike-Protein ausgestattet war, über viele Runden mit steigenden Antikörperkonzentrationen konfrontierten, um die Bildung von Escape-Mutanten zu forcieren. Die Ergebnisse dieser Experimente deuten darauf hin, dass die Kombination von B1-182.1, dem stärksten der Kandidaten, mit einem anderen starken Neutralisierer das Entstehen von Antikörper-resistenten Mutationen verhindert. »Zwei der Antikörper, die zusammenarbeiten, scheinen besser in der Lage zu sein, die Selektion einer Escape-Variante zu erschweren, als ein einzelner Antikörper«, sagte Misasi.

Mit ihrer Studie zeigen die Autoren, dass Patienten, die sich von Covid-19 erholt haben, Antikörper produzieren, die neu auftretende bedenkliche Virusvarianten (VOC) mit hoher Effizienz kreuzneutralisieren können. Diese neu identifizierten Antikörper, aber auch ähnliche Antikörper, die kürzlich von anderen Gruppen isoliert wurden, könnten der Schlüssel zu Covid-19-Therapeutika und -Impfstoffen sein, die sich auf Dauer bewähren.

So schreibt Dr. Nancy Sullivan, Leiterin der Abteilung Biodefense Research am Vaccine Research Center am NIAID und Co-Autorin der Studie, in einem Brief an »JAMA«: »Die Arbeit zeigt das Potenzial des menschlichen Immunsystems zur Bildung von Antikörpern, die auf breiter Basis gegen SARS-CoV-2-Varianten reagieren. Die Antikörper werden die Möglichkeiten der therapeutischen Intervention erweitern und ... eine Grundlage für ein rationales strukturbasiertes Impfstoffdesign gegen bedenkliche Varianten bieten.«

Man wird also Antikörpertherapien immer wieder anpassen müssen, da einige der therapeutisch eingesetzten Antikörper bei dominanten Virusvarianten obsolet werden. Das ist kein Grund zur Resignation. Denn längst scheinen die Möglichkeiten reaktiver monoklonaler Antikörpercocktails nicht ausgeschöpft zu sein. Die Basis für Covid-19-Therapien wird also breiter.

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