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Coronavirus

Indische Variante B.1.617 als »besorgniserregend« eingestuft

Seit Montag ist die SARS-CoV-2-Variante B.1.617, die in Indien immer häufiger auftritt, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als »besorgniserregende Variante« (VOC) eingestuft. Noch ist nicht viel über diese Variante bekannt, aber sie könnte zum Anstieg der Coronavirus-Infektionen in Indien beitragen, die nach Ansicht von Experten wahrscheinlich unterschätzt wird.
Theo Dingermann
11.05.2021  13:08 Uhr

Neben den Virusvarianten B.1.1.7 (England), P.1 (Brasilien), B.1.351 (Südafrika), sowie B.1.427 und B.1.429 (Kalifornien) wurde von der WHO nun auch die indische Variante B.1.617 zur »Variant of Concern« erklärt. Das gab die leitende WHO-Wissenschaftlerin Maria Van Kerkhove am Montagabend bekannt. »Vorliegende Informationen weisen auf eine erhöhte Übertragbarkeit« dieser SARS-CoV-2-Variante hin, sagte Van Kerkhove gegenüber dpa. Und sie ergänzte, dass nach vorläufigen Studienergebnissen zudem das menschliche Immunsystem weniger stark auf diese Variante reagiere.

Experimentelle Daten stützen diese Entscheidung

Eine Studie von Wissenschaftlern des Deutschen Primaten-Zentrums in Göttingen, die auf dem Preprint-Server »BioRxiv« publiziert wurde, liefert nun einige biologische Details zu der neuen Variante. Allerdings sind die Daten noch nicht unabhängig fachlich begutachtet.

Danach weist das Spike-Protein von B.1.617 zwei Mutationen in der Rezeptor-Bindungsdomäne auf, die mit dem ACE2-Rezeptor interagiert und die eines der Hauptziele von neutralisierenden Antikörpern darstellt. Zudem konnten sieben weitere Mutationen innerhalb der S1-Region des Spike-Proteins und eine zusätzliche Mutation in der S2-Region identifiziert werden.

Ein Team um Dr. Markus Hoffmann untersuchte, ob die Mutationen an einer kritischen Position im Spike-Protein der B.1.617-Variante dazu führen könnten, dem Virus Vorteile bei der Übertragbarkeit zu verschaffen. Zudem stellten sie die Frage, ob durch die Mutationen die Immunantwort zumindest partiell umgangen werden könnte.

B.1.617 kann leichter in Zellen eindringen und unterläuft partiell eeine Immunabwehr

Die Übertragbarkeit der B.1.617-Variante untersuchten die Wissenschaftler mithilfe pseudotypisierter vesikulärer Stomatitis-Viren (VSV), die entweder das Spike-Protein des Wildtyp-Stamms (WT) von SARS-CoV-2 oder das Spike-Protein der Varianten B.1.617 oder B.1.351 exprimierten. Diese pseudotypisierten Partikel imitieren originalgetreu den Zelleintritt von SARS-CoV-2 und wurden unter anderem bereits verwendet, um Wirtsfaktoren zu identifizieren, die für den Zelleintritt des Coronavirus erforderlich sind.

Mit diesen Konstrukten testeten die Wissenschaftler das Eindringungsvermögen in insgesamt acht Zelllinien von denen die meisten weltweit als gängige Zellkulturmodelle verwendet werden. In zwei dieser acht Zelllinien konnte die B.1.617-Variante mit leicht erhöhter Effizienz eindringen. Hinzu kommt, dass sich B.1.617 resistent gegen Bamlanivimab erwies, einem Antikörper, der zur Behandlung von Covid-19 eingesetzt wird.

Schließlich ließ sich auch zeigen, dass B.1.617 Charakteristika besitzt, die in der Lage sind, eine Immunantwort partiell zu unterlaufen (Immun-Escape-Mutante). Das müsste zur Folge haben, dass ein auf das Spike-Protein gewöhnlicher SARS-CoV-2-Viren trainiertes Immunsystem vor dieser Variante schlechter schützen kann.

Insgesamt konnten die Göttinger Wissenschaftler zeigen, dass die Befürchtungen, die B.1.617-Variante als VOC klassifizieren zu müssen, durch molekulare und zellbiologische Daten gestützt werden.

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