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BCG-Impfstoffe

Trainierte Immunität des unspezifischen Immunsystems

Die Suche nach Impfstoffen zum Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion läuft auf Hochtouren. Der Ausgang dieser Entwicklung ist jedoch ungewiss, da nach wie vor zu wenig über das neue Virus bekannt ist. Vor diesem Hintergrund rückt eine Impfung mit BCG-Impfstoffen in den Fokus des Interesses.
Theo Dingermann
04.05.2020  10:00 Uhr

Bei aller Tragik, die mit der durch das neue SARS-CoV-2-Virus verursachten Pandemie einhergeht, sticht aktuell ein Aspekt besonders hervor: Die unglaubliche Transparenz, mit der das Geschehen rund um die Pandemie begleitet wird. Dies ist vielleicht am deutlichsten an den Zahlen erkennbar, die täglich beispielsweise durch die Johns-Hopkins-Universität oder die Plattform Worldometer aus der ganzen Welt berichtet und aufbereitet werden.

Pharmazeutisch Interessierten bietet die Pandemie zudem eine bisher nie gekannte Transparenz im Wettlauf um die Herstellung eines schützenden Impfstoffs. Bemerkenswert dabei ist, dass neben klassischen Impfkonzepten auch etliche vergleichsweise neue Impfkonzepte verfolgt werden, nämlich Plattformtechnologien, auf deren Basis RNA-, DNA- oder vektorbasierte Impfstoffe entwickelt werden.

Die große Ungewissheit

Dies ist wissenschaftlich faszinierend aber keineswegs erfolgversprechend. Neben der prinzipiellen Frage, ob eine SARS-CoV-2-Infektion prinzipiell impfpräventabel ist, ist beispielsweise nicht bekannt, wie lange ein Impfschutz anhalten wird und ob nicht mit einer Impfung derzeit noch unkalkulierbare Risiken einhergehen könnten.

Dazu zählt zum einen eine Imbalance der Immunantwort durch Th2-Polarisierung mit der Folge einer Verstärkung der respiratorischen Krankheit. Zum anderen könnte die Bildung von »enhancing antibodies« induziert werden, die eine Erhöhung der Viruslast im Geimpften zur Folge haben könnte, dadurch dass noch andere als die gewöhnlichen Zielzellen infiziert werden, wie der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Professor Dr. Klaus Cichutek, kürzlich in einem Interview der Pharmazeutischen Zeitung erläuterte.

Aus diesem Grund ist es nicht unklug, an einen »Plan B« zu denken. Genau dies ist das Thema eines Gastkommentars im Fachjournal »The Lancet« vom 30. April, in dem unter anderem der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros A. Ghebreyesus, an die BCG-Impfung als eine mögliche Option für den individuellen Schutz gegen eine SARS-CoV-2-Infektion erinnert.

Längst ist bekannt, dass eine BCG-Impfung zusätzlich zu einer mehr oder weniger spezifischen Wirkung gegen Tuberkulose auch unspezifische (Off-Target-) Effekte auf das Immunsystem entfaltet, die eventuell vor einer Vielzahl anderer Infektionen zumindest partiell schützen könnten. Dieser unspezifische Effekt wird bei der Behandlung von Blasenkrebs in Form einer Instillationstherapie mit vermehrungsfähigen Bacillus-Calmette-Guérin-Bakterien genutzt.

So ist es nicht unplausibel, dass die BCG-Impfung auch einen Schutz vor einer schweren Covid-19-Erkrankung entfalten könnte. In randomisierten, kontrollierten Studien wurde gezeigt, dass die immunmodulierenden Eigenschaften des BCG-Impfstoffs beispielsweise vor Atemwegsinfektionen schützen können. In Guinea-Bissau, einem Land mit hoher Sterblichkeitsrate, reduzierte eine dänische BCG-Vakzine die Gesamtmortalität von Neugeborenen um 38 Prozent, vor allem weil es weniger Todesfälle durch Lungenentzündung und Sepsis gab. In Südafrika reduzierte der gleiche Impfstoff Atemwegsinfektionen bei Jugendlichen um 73 Prozent.

Auch gegen virale Erkrankungen entfaltete ein BCG-Impfstoff schützende Wirkung. Beispielsweise reduzierte er die Gelbfieber-Impfstoff-Virämie bei freiwilligen Probanden in den Niederlanden um 71 Prozent.

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