Pharmazeutische Zeitung online
Klaus Cichutek

»Die Welt arbeitet für einen Pandemie-Impfstoff zusammen«

In Deutschland ist bereits eine Studie mit einem Impfstoffkandidaten gegen das Pandemievirus SARS-CoV-2 gestartet, weitere sollen folgen. Die PZ sprach mit Professor Dr. Klaus Cichutek, dem Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Langen bei Frankfurt/Main, über die Impfstoffentwicklung und mögliche Schwierigkeiten.
Christina Hohmann-Jeddi
29.04.2020  11:00 Uhr

PZ: Ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 wird dringend benötigt und sollte möglichst schnell verfügbar sein. Bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das SARS-CoV von 2002/2003, das eng mit dem jetzigen Pandemievirus verwandt ist, hatte sich allerdings gezeigt, dass es zu Störeffekten kommen kann. Durch die Immunantwort verstärkte sich bei geimpften Tieren die Erkrankung. Um was für Effekte handelte es sich hierbei und inwieweit können sie die Entwicklung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 stören?

Cichutek: Es geht hier nach derzeitigem Stand der Erkenntnisse um theoretische Risiken von Covid-19-Impfstoffen, denen aber von Beginn der Entwicklungen an auf Anraten des Paul-Ehrlich-Instituts nachzugehen ist. Bei einigen Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-1 waren zwei Effekte beobachtet worden. Zum einen ist dies eine Imbalance der Immunantwort durch Th2-Polarisierung, wodurch es zu verstärkter respiratorischer Krankheit kam. Beispielsweise wurde eine Umpolarisierung der Makrophagen von einem regenerativen hin zu einem inflammatorischen Phänotyp beobachtet. Das ging im Tierversuch in Einzelfällen mit Gewebeschäden einher.

Ein zweites Phänomen ist die Entstehung von »enhancing antibodies«, die die Viruslast im Geimpften dadurch erhöhen können, dass noch andere als die gewöhnlichen Zielzellen infiziert werden. Beide Phänomene müssen wir als theoretische Risiken bei der jetzigen Entwicklung eines Pandemie-Impfstoffs prüfen und geeignete Vorsichtsmaßnahmen treffen. Ich möchte aber betonen, dass diese Phänomene bislang nur bei inaktivierten Ganzvirus-Impfstoffen oder bei Impfung mit wenig immunogenen Einzelproteinen gegen das erste SARS-Coronavirus beobachtet wurden.

PZ: Wie kann man das Risiko für diese potenziellen Störeffekte bei SARS-CoV-2-Impfstoffkandidaten reduzieren?

Cichutek: Das Paul-Ehrlich-Institut als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel fordert hierzu Daten von den Impfstoffherstellern. Begleitend zur Entwicklung fordern wir Untersuchungen an Tieren dazu. Als geeignete Modelle haben wir Mäuse, Hamster und bestimmte Altweltaffen vorgeschlagen. Zum anderen setzen wir auf Impfstoffplattformen, die solche krankheitsverstärkenden Effekte bislang nicht gezeigt haben. In der vor Kurzem genehmigten ersten Impfstoffprüfung in Deutschland ist dies eine RNA-Impfstoffplattform. Die darin getesteten vier Impfstoffkandidaten enthalten eines von zwei verschiedenen Antigenen. Zum einen ist dies das virale Spike-Protein, das so verändert wurde, dass es in einer stabilisierten Präfusionskonformation vorliegt. Zum anderen ist dies nur ein Teilstück des Spike-Proteins, die Rezeptor-Bindestelle. Beides reduziert das Risiko für diese negativen Effekte zusätzlich.

PZ: Eine Impfstoffstudie hat das PEI nun genehmigt. Werden weitere folgen?

Cichutek: Inklusive der jetzt genehmigten klinischen Prüfung der Firma BioNTech rechne ich damit, dass wir im Laufe des Jahres insgesamt vier Covid-19- Impfstoffstudien in Deutschland haben werden. Neben einer weiteren RNA-Impfstoffprüfung werden das voraussichtlich noch zwei mit Vektor-Impfstoffen sein. Es ist sehr gut, dass wir auch in Deutschland Entwickler haben, die an Covid-19-Impfstoffen arbeiten.

PZ: Was kann das PEI tun, um die Entwicklung eines Impfstoffs zu beschleunigen?

Cichutek: Die Genehmigung der klinischen Prüfungen kann sehr stark beschleunigt werden, wenn vor der Einreichung schon vermehrt Beratung stattgefunden hat. Wir hatten mehrfach Beratungen mit den Entwicklern zu den Studienplänen und Vorabprüfungen von Datenpaketen, die vorgelegt wurden und zu denen unsere Rückfragen beantwortet wurden, sodass die eigentliche Genehmigung dann in vier Tagen erteilt werden konnte. Bei der Zulassung eines Impfstoffs wird die Zeitdauer vor allem bestimmt von der Zeitdauer des Entwicklungswegs. In den klinischen Prüfungen muss das Entstehen einer Immunreaktion nach der Impfung abgewartet und durch Labormessungen charakterisiert werden, und auch die Probanden müssen noch eine Weile nachbeobachtet werden, um die Verträglichkeit eines Impfstoffprodukts zu prüfen. Je nach Qualität der Daten kann auch ein Zulassungsverfahren sicherlich beschleunigt werden, ohne Abstriche bei der erforderlichen Sorgfalt bei der Datenprüfung zu machen. Auch kann man beispielsweise Phasen der klinischen Prüfung zusammenlegen, wie es jetzt auch passiert. Die aktuell in Deutschland genehmigte Studie ist eine kombinierte Phase-I/II-Studie.

PZ: Deutschland ist bei der Entwicklung eines Pandemie-Impfstoffs also auf einem guten Weg. Welche Rolle wird es für die Versorgung der Bevölkerung mit Impfstoffen spielen, in welchem Land Produkte hergestellt werden?

Cichutek: Keine große. Alle Hersteller wollen für den globalen Bedarf produzieren und Impfstoffe dorthin liefern, wo die Epidemie noch herrscht. Natürlich kann es sein, dass durch Förderung oder Vorab-Bestellungen Regierungen bestimmte Kontingente bei Herstellern reservieren können. Aber es wird nicht so sein, dass manche Länder leer ausgehen. Ich habe auch immer betont, dass wir angesichts des immensen Bedarfs mehrere Impfstoffprodukte benötigen, die wahrscheinlich auch unterschiedliche Eigenschaften haben werden, und dass wir Impfstoffe von mehreren Unternehmen brauchen, weil die Herstellungskapazitäten eines Herstellers nicht ausreichen werden.

PZ: Wie optimistisch sind Sie, dass ein oder mehrere sichere, wirksame Impfstoff gegen SARS-CoV-2 entwickelt werden?

Cichutek: Ich bin wirklich sehr optimistisch. Denn von der Entwicklung von Impfstoffen gegen das MERS-Coronavirus wissen wir schon, dass man gegen Coronaviren schützen kann. Außerdem haben wir neue Technologien zur Hand, die es uns nach Angaben der Entwickler erlauben, große Dosismengen in relativ kurzer Zeit herzustellen. Ich finde es sehr positiv, dass die verschiedenen Entwickler gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um einen Pandemie-Impfstoff für die Welt herzustellen. International läuft die Kooperation auf verschiedenen Ebenen gut. Industrieunternehmen tauschen sich aus, es gibt akademische Konsortienbildungen und auch die Arzneimittelbehörden arbeiten eng zusammen. Hier arbeitet wirklich die Welt zusammen, um zu einem Impfstoff zu kommen. Das macht mich sehr optimistisch, dass es klappen wird.

Mehr von Avoxa