Spezielle Aufgaben für Apotheker |
Ein wichtiges und großes Thema für Apotheker auf der Intensivstation ist die Antibiotikatherapie. Etwa 50 Prozent der Intensivpatienten benötigen eine antibiotische Therapie. Nicht nur, weil sie wegen bakterieller Infektionen aufgenommen wurden, sondern auch, weil invasive Behandlungen wie Beatmung und Drainagen potenzielle Eintrittspforten für Keime darstellen und damit das Risiko von Sekundärinfektionen steigt.
Foto: Imago Images/Ralph Lueger
Eine 82-jährige Patientin wird aufgrund einer Kniegelenksprothesen-Infektion postoperativ auf der Intensivstation behandelt. Bei den nachgewiesenen Keimen handelt es sich um multiresistente Koagulase-negative Staphylokokken. Die initiale Therapie mit Vancomycin wird im Verlauf auf eine orale Gabe von Linezolid umgestellt. Postoperativ muss zudem die Schmerztherapie angepasst werden. Tapentadol soll dazu langsam eindosiert werden.
Der auf Visite anwesende Apotheker rät von der Kombination ab, da es sich bei Linezolid um einen MAO-Hemmer handelt. Die gleichzeitige Gabe beider Wirkstoffe erhöht das Risiko für ein serotonerges Syndrom, eine seltene, aber potenziell schwerwiegende Interaktion. Aus Mangel an geeigneten Alternativen wird die Therapie dennoch mit Tapentadol begonnen. An Tag 3 fallen der Pflegekraft eine Wesensveränderung der Patientin und subfebrile Körpertemperaturen auf.
Nach erneuter Prüfung der mikrobiologischen Befunde findet sich Cotrimoxazol als orale Alternative für Linezolid. Die Umstellung der Antibiotikatherapie führt zu einer sofortigen Besserung des neurologischen Status der betagten Patientin.
Pharmazeutische Expertise ist vor allem bei der Dosierung der Wirkstoffe gefragt, da die üblichen Normdosierungen den pharmakokinetischen Besonderheiten von Intensivpatienten nicht gerecht werden. Beispielsweise kann der Körperwasseranteil durch die große Menge an infundierter Flüssigkeit erhöht sein. Dies kann das Verteilungsvolumen für hydrophile Arzneistoffe vergrößern. Zusätzlich führen die pathophysiologischen Änderungen in der Sepsis sehr häufig zu Mikrozirkulationsstörungen und Organinsuffizienzen, sodass die Elimination zahlreicher Wirkstoffe reduziert ist. Sind Patienten unter 60 Jahren von diesem schweren Krankheitsbild betroffen, zum Beispiel bei großflächigen Verbrennungen, kann es sogar zu einer Stimulation des Kreislaufs mit gesteigerter Nierenfunktion kommen. Dies kann die Halbwertszeit glomerulär filtrierter Substanzen verkürzen.
Das Beispiel Sepsis zeigt, dass häufig verschiedene pharmakokinetische Änderungen zusammenkommen, was die Auswahl einer sinnvollen Dosierung erschwert. Die Angst vor einer Unterdosierung der Antibiotika muss gegen das Risiko möglicher Nebenwirkungen bei massiver Überdosierung abgewogen werden. Beides kann für Sepsis-Patienten fatale Folgen haben. Hier ist der intensivmedizinisch tätige Apotheker mit seinem Grundverständnis für pharmakokinetische Zusammenhänge ein wertvoller Berater.
Mehr noch als auf der Normalstation eines Krankenhauses sind Apotheker im interdisziplinären Team auf einer Intensivstation gefragt. Ein wichtiges Beratungsfeld ist die Antibiotikatherapie. / Foto: Adobe Stock/Tyler Olson
Auch in Antibiotic-Stewardship-Programmen (ABS) begleiten Apotheker die Behandlung von Intensivpatienten. Sie sind dabei nicht nur für die Auswertung und Interpretation von Antibiotikaverbräuchen zuständig, sondern bringen sich als Berater zu klinischen Fragestellungen aktiv am Krankenbett ein. Außerdem ist ihre Expertise beim Finden und Auswerten neuer Literatur in einem Umfeld sich schnell ändernder Empfehlungen sehr wertvoll.
Aktuelle Sepsis-Leitlinien der deutschen und internationalen Fachgesellschaften empfehlen ein therapeutisches Drug Monitoring (TDM) für zahlreiche Antibiotika. Lang bewährt hat sich dies für Vancomycin oder die Aminoglykoside; relativ neu ist die Empfehlung von Serumspiegelmessungen für Betalaktame, die am häufigsten auf Intensivstationen zum Einsatz kommen. Bei ihnen steht die Sicherstellung adäquater Zielspiegel im Vordergrund. Mit dem TDM verbunden ist meist die Applikation der Betalaktame als Dauerinfusion; diese steht im Gegensatz zur zugelassenen intermittierenden Gabe. Die Expertise von Apothekern kann gewährleisten, dass die Auflöse- und Verdünnungsschritte für diese Off-Label-Applikation korrekt erfolgen, sodass die Stabilität der Wirkstoffe nicht gefährdet und Inkompatibilitäten mit der weiteren intravenösen Medikation vermieden werden.
Des Weiteren sind Apotheker in der Lage, die Analytik der Antibiotika, zum Beispiel mit HPLC-Geräten, mit dem notwendigen Know-how unabhängig und kostengünstig vor Ort vorzunehmen und aus den Messwerten entsprechende Dosisanpassungen zu generieren. Dies gewährleistet ein hohes Maß an Effektivität und Sicherheit der eingesetzten Antibiotika.
Zusätzlich wird der gesamte Antibiotikaverbrauch reduziert, was nicht nur zu den ABS-Qualitätsindikatoren gehört, sondern auch die dramatische Resistenzentwicklung der letzten Jahre positiv beeinflussen könnte. Positive Effekte auf die Liegedauer auf Intensivstation und die Rate an Kombinationstherapien sind zudem nachgewiesen.
Foto: Imago Images/teamwork
Ein 87-jähriger Patient wird nach Reanimation intubiert und beatmet auf der Intensivstation behandelt. Er zeigt in den ersten Tagen der Überwachung trotz Reduktion der Sedierung keine gezielten Wachheitsreaktionen. An Tag 5 der Therapie wird eine beginnende Ventilator-assoziierte Pneumonie mit Cefepim anbehandelt. Als Dosierung von Cefepim wird ein Bolus von 1000 mg verabreicht, daran schließt sich eine Dauerinfusion mit 4000 mg/d an. Die Dosierung beinhaltet bereits eine Dosisreduktion anhand einer geschätzten Kreatinin-Clearance von 60 ml/min.
Einige Stunden nach Start der Infusion zeigen sich im Elektroenzephalogramm deutliche Krampfpotenziale, die in der Nacht zunehmen. Der diensthabende Arzt interpretiert die Krampfanfälle als Symptome eines hypoxischen Hirnschadens.
Der am nächsten Morgen gemessene Serumspiegel von Cefepim ist mit 84 mg/l deutlich erhöht (Ziel 16 bis 32 mg/l). Der im Labor nachbestimmte Wert für Cystatin C zeigt eine weitaus eingeschränktere Nierenfunktion mit einer Clearance von 21 ml/min. Nach einer Therapiepause von vier Stunden wird die Tagesdosis auf 1000 mg reduziert. Der nächste gemessene Wert am Folgetag liegt mit 31 mg/l im angestrebten Bereich. Die Krampfereignisse sind rückläufig.