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Faktor-XI-Inhibitoren

Neues zur Antikoagulation

Die direkten oralen Antikoagulanzien brachten einen großen Fortschritt in der Antikoagulation. Aber es gibt immer noch Probleme und Lücken. Daher sucht man nach neuen Prinzipien der Gerinnungshemmung. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung von Faktor-XI- und Faktor-XIa-Inhibitoren.
Susanne Alban
04.12.2022  00:00 Uhr

Da das Risiko für thromboembolische Erkrankungen stark altersabhängig ist, nimmt die Anwendung von Antikoagulanzien seit Jahren zu. Obwohl die Zahl der Wirkstoffe vergleichsweise gering ist, betrug der Anteil der Antikoagulanzien 2020 mit 1022 Millionen DDD (daily defined doses) 2,26 Prozent aller zulasten der GKV verordneten Arzneimittel (1).

Prinzipiell ist zu unterscheiden zwischen der kurz- bis mittelfristigen Antikoagulation mit parenteralen Antikoagulanzien (fünf verschiedene niedermolekulare Heparine, NMH, plus fünf Enoxaparin-Biosimilars, unfraktioniertes Heparin, UFH, und Fondaparinux) und der langfristigen oralen Antikoagulation mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) und Vitamin-K-Antagonisten (VKA) (in Deutschland zu 98,7 Prozent Phenprocoumon). In den letzten zehn Jahren, das heißt seit Einführung des Thrombin-Inhibitors (DTI) Dabigatran und der drei Faktor-Xa-Inhibitoren (DXI) Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban, ist die Zahl verordneter oraler Antikoagulanzien um das 2,5-Fache gestiegen (1). Im Jahr 2020 gehörten Apixaban und Rivaroxaban zu den 30 am häufigsten verordneten Arzneimitteln und belegten Platz 1 und 3 der umsatzstärksten Mittel (1).

Antikoagulanzien im Überblick

Die DOAK haben große Fortschritte in der Antikoagulation gebracht. Zum einen haben sie dafür gesorgt, dass viele zuvor unbehandelte Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) eine adäquate Schlaganfallprophlyaxe erhalten. Zum anderen hat die intensive klinische Forschung der letzten Jahre wichtige Erkenntnisse zur Antikoagulation spezieller Patientengruppen wie etwa Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und in bestimmten klinischen Situationen, beispielsweise das Management von VHF-Patienten mit akutem Koronarsyndrom, geliefert (2).

In den beiden Hauptanwendungsgebieten oraler Antikoagulanzien, nämlich Schlaganfallprophylaxe sowie Therapie und Sekundärprophylaxe venöser Thromboembolien (VTE), ersetzen sie leitlinienkonform (3, 4) zunehmend die VKA. Seit 2021 sind Rivaroxaban und Dabigatran auch für die VTE-Therapie bei Kindern zugelassen. Darüber hinaus stehen mit Idarucizumab (2015) für Dabigatran und Andexanet alfa (2019) für DXI (nicht Edoxaban) spezifische Antidote zur Verfügung. Bei etlichen Indikationen, beispielsweise Patienten mit künstlichen Herzklappen oder Antiphospholipid-Syndrom, ist man jedoch nach wie vor auf die VKA angewiesen.

Bislang wurde die Anwendung der parenteralen Antikoagulanzien durch die DOAK nur geringfügig beeinflusst, doch das dürfte sich allmählich ändern. Denn in der VTE-Therapie werden Apixaban und Rivaroxaban laut Zulassung vom ersten Tag an gegeben und ersetzen daher die initiale Antikoagulation mit einem NMH oder Fondaparinux (4). Ferner können Tumor-assoziierte Thrombosen (CAT) statt mit einem NMH für mindestens sechs Monate inzwischen mit einem DXI behandelt werden, wenn kein hohes Risiko für gastrointestinale oder urogenitale Blutungen, keine starken Arzneimittelwechselwirkungen und keine gastrointestinalen Resorptionsstörungen vorliegen (5, 6). Zudem sinkt der NMH-Bedarf infolge der rückläufigen VKA-Anwendung, da entsprechend seltener ein parenterales »Bridging« (Überbrückung) im Rahmen von Operationen erforderlich ist.

Nichtdestotrotz bleiben Heparine unverzichtbar, beispielsweise in der Intensivmedizin, Schwangerschaft und Stillzeit sowie Herz- und Gefäßchirurgie (Tabelle 1). Zuletzt hat Covid-19 noch einmal den Stellenwert dieser besonderen Biologika in der Medizin verdeutlicht (7, 8).

Parameter Heparine, parenterale Antikoagulanzien VKA DOAK
Applikation parenteral oral oral
Interaktionen keine pharmakokinetischen sehr häufig, komplex und nicht vorhersehbar überwiegend milde CYP3A4-/Pgp-Interaktionen
Anwendung bei gastrointestinalen Problemen problemlos eingeschränkt eingeschränkt
Anwendung bei CKD je nach NMH ohne Dosisanpassung CKD-Progression, negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis bei CKD5 Dosisreduktion in bestimmten Fällen
Monitoring kein Routinemonitoring, Methode breit etabliert Routinemonitoring erforderlich kein Routinemonitoring, Methoden nicht breit etabliert
Dosierung Fehler möglich »personalisiert« Fehler möglich
perioperatives Management unverzichtbar für das Bridging bei VKA-Einnahme Bridging-Problematik kein Bridging erforderlich
Zulassung für die VTE-Prophylaxe ja nein nur nach Hüft- und Kniegelenkersatz-OP
Schwangerschaft Mittel der Wahl kontraindiziert kontraindiziert
Stillzeit Mittel der Wahl Warfarin möglich kontraindiziert
Anwendung bei Intensivpatienten UFH oder NMH nein nein
Indikationsbreite groß groß gering*
Tabelle 1: Vor- und Nachteile von unfraktionierten und niedermolekularen Heparinen (UFH, NMH), Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK)

Angesichts der pandemischen afrikanischen Schweinegrippe mit ihren Auswirkungen auf die Heparin-Ressourcen und extremen Preissteigerungen für Rohheparin stellt sich jedoch aktuell die Frage der Versorgungssicherheit. Hinzu kommt, dass durch den Kostendruck (Festbetragsreduktionen, Rabattverträge, Biosimilars) das »Heparin-Geschäft« immer weniger attraktiv wird.

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