Neues zur Antikoagulation |
In einigen Indikationen sind Heparine zur Antikoagulation nach wie vor unverzichtbar, beispielsweise in Schwangerschaft und Stillzeit. In vielen Indikationen werden sie jedoch von oralen Wirkstoffen verdrängt. / Foto: Adobe Stock/betaverso
Da das Risiko für thromboembolische Erkrankungen stark altersabhängig ist, nimmt die Anwendung von Antikoagulanzien seit Jahren zu. Obwohl die Zahl der Wirkstoffe vergleichsweise gering ist, betrug der Anteil der Antikoagulanzien 2020 mit 1022 Millionen DDD (daily defined doses) 2,26 Prozent aller zulasten der GKV verordneten Arzneimittel (1).
Prinzipiell ist zu unterscheiden zwischen der kurz- bis mittelfristigen Antikoagulation mit parenteralen Antikoagulanzien (fünf verschiedene niedermolekulare Heparine, NMH, plus fünf Enoxaparin-Biosimilars, unfraktioniertes Heparin, UFH, und Fondaparinux) und der langfristigen oralen Antikoagulation mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) und Vitamin-K-Antagonisten (VKA) (in Deutschland zu 98,7 Prozent Phenprocoumon). In den letzten zehn Jahren, das heißt seit Einführung des Thrombin-Inhibitors (DTI) Dabigatran und der drei Faktor-Xa-Inhibitoren (DXI) Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban, ist die Zahl verordneter oraler Antikoagulanzien um das 2,5-Fache gestiegen (1). Im Jahr 2020 gehörten Apixaban und Rivaroxaban zu den 30 am häufigsten verordneten Arzneimitteln und belegten Platz 1 und 3 der umsatzstärksten Mittel (1).
Die DOAK haben große Fortschritte in der Antikoagulation gebracht. Zum einen haben sie dafür gesorgt, dass viele zuvor unbehandelte Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) eine adäquate Schlaganfallprophlyaxe erhalten. Zum anderen hat die intensive klinische Forschung der letzten Jahre wichtige Erkenntnisse zur Antikoagulation spezieller Patientengruppen wie etwa Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und in bestimmten klinischen Situationen, beispielsweise das Management von VHF-Patienten mit akutem Koronarsyndrom, geliefert (2).
In den beiden Hauptanwendungsgebieten oraler Antikoagulanzien, nämlich Schlaganfallprophylaxe sowie Therapie und Sekundärprophylaxe venöser Thromboembolien (VTE), ersetzen sie leitlinienkonform (3, 4) zunehmend die VKA. Seit 2021 sind Rivaroxaban und Dabigatran auch für die VTE-Therapie bei Kindern zugelassen. Darüber hinaus stehen mit Idarucizumab (2015) für Dabigatran und Andexanet alfa (2019) für DXI (nicht Edoxaban) spezifische Antidote zur Verfügung. Bei etlichen Indikationen, beispielsweise Patienten mit künstlichen Herzklappen oder Antiphospholipid-Syndrom, ist man jedoch nach wie vor auf die VKA angewiesen.
Bislang wurde die Anwendung der parenteralen Antikoagulanzien durch die DOAK nur geringfügig beeinflusst, doch das dürfte sich allmählich ändern. Denn in der VTE-Therapie werden Apixaban und Rivaroxaban laut Zulassung vom ersten Tag an gegeben und ersetzen daher die initiale Antikoagulation mit einem NMH oder Fondaparinux (4). Ferner können Tumor-assoziierte Thrombosen (CAT) statt mit einem NMH für mindestens sechs Monate inzwischen mit einem DXI behandelt werden, wenn kein hohes Risiko für gastrointestinale oder urogenitale Blutungen, keine starken Arzneimittelwechselwirkungen und keine gastrointestinalen Resorptionsstörungen vorliegen (5, 6). Zudem sinkt der NMH-Bedarf infolge der rückläufigen VKA-Anwendung, da entsprechend seltener ein parenterales »Bridging« (Überbrückung) im Rahmen von Operationen erforderlich ist.
Nichtdestotrotz bleiben Heparine unverzichtbar, beispielsweise in der Intensivmedizin, Schwangerschaft und Stillzeit sowie Herz- und Gefäßchirurgie (Tabelle 1). Zuletzt hat Covid-19 noch einmal den Stellenwert dieser besonderen Biologika in der Medizin verdeutlicht (7, 8).
Parameter | Heparine, parenterale Antikoagulanzien | VKA | DOAK |
---|---|---|---|
Applikation | parenteral | oral | oral |
Interaktionen | keine pharmakokinetischen | sehr häufig, komplex und nicht vorhersehbar | überwiegend milde CYP3A4-/Pgp-Interaktionen |
Anwendung bei gastrointestinalen Problemen | problemlos | eingeschränkt | eingeschränkt |
Anwendung bei CKD | je nach NMH ohne Dosisanpassung | CKD-Progression, negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis bei CKD5 | Dosisreduktion in bestimmten Fällen |
Monitoring | kein Routinemonitoring, Methode breit etabliert | Routinemonitoring erforderlich | kein Routinemonitoring, Methoden nicht breit etabliert |
Dosierung | Fehler möglich | »personalisiert« | Fehler möglich |
perioperatives Management | unverzichtbar für das Bridging bei VKA-Einnahme | Bridging-Problematik | kein Bridging erforderlich |
Zulassung für die VTE-Prophylaxe | ja | nein | nur nach Hüft- und Kniegelenkersatz-OP |
Schwangerschaft | Mittel der Wahl | kontraindiziert | kontraindiziert |
Stillzeit | Mittel der Wahl | Warfarin möglich | kontraindiziert |
Anwendung bei Intensivpatienten | UFH oder NMH | nein | nein |
Indikationsbreite | groß | groß | gering* |
CKD: chronische Nierenerkrankung; Pgp: P-Glykoprotein
*) beispielsweise nicht bei Patienten mit künstlichen Herzklappen, Antiphospholipid-Syndrom, nach Schlaganfall ohne Vorhhofflimmern, Dialyse, Thrombophilie
Angesichts der pandemischen afrikanischen Schweinegrippe mit ihren Auswirkungen auf die Heparin-Ressourcen und extremen Preissteigerungen für Rohheparin stellt sich jedoch aktuell die Frage der Versorgungssicherheit. Hinzu kommt, dass durch den Kostendruck (Festbetragsreduktionen, Rabattverträge, Biosimilars) das »Heparin-Geschäft« immer weniger attraktiv wird.