Muslime in der Apotheke |
Die grundsätzliche Verschiedenartigkeit in Kulturen wird besonders in der Kommunikation deutlich. So können die gleichen Worte in verschiedenen Kulturen eine vollständig andere tiefere emotionale Bedeutung haben.
Der Begriff der Leber ist beispielsweise in der türkischen Sprachbedeutung eher mit der Bedeutung unseres Begriffs Herz zu vergleichen. Ein türkischer Patient fühlt sich also nicht traurig mit einem »schweren Herzen«, sondern klagt über die Befindlichkeit seiner Leber. Außerdem können Organe »fallen« oder »verrutschen«. Das »Fallen des Kreuzes oder des Rückens« kann die Bedeutung von Kreuzschmerzen haben. Ein »Verrutschen der Zunge« kann unter anderem Stottern, Schluckbeschwerden oder Stimmverlust durch eine Kehlkopfentzündung meinen. Das »Fallen des Nabels« bedeutet Übelkeit, Schwäche oder Schmerzen am ganzen Körper.
Die Schilderung von Symptomen wird traditionell eher ausgeschmückt. Nebenbeschwerden werden oft mit viel Intensität vorgetragen, die Haupterkrankung erscheint zunächst unklar und verschwommen. Dies richtig einzuordnen, ist besonders in der Selbstmedikation eine Herausforderung.
Manche sprachlichen Unklarheiten kann man unter Umständen überwinden, wenn man sich nicht die Symptome weiter schildern lässt, sondern den Patienten nach seinen Vorstellungen der Therapie fragt: »Wie würden diese Beschwerden bei Ihnen zu Hause (in Ihrem Herkunftsland) behandelt werden?« Dies ist ein Signal, dass das Apothekenteam den Patienten ernst nimmt und sich um ihn sorgt, und kann die Tür zu weiteren und besser verständlichen Informationen öffnen. Ein klares »Nein« ist zu vermeiden, denn es gilt als störend, konfrontierend und kontraproduktiv und vermittelt den Eindruck, auf der Suche nach einer Lösung zu früh aufgegeben zu haben.
Das arabische Wort »Halal« bezeichnet nach islamischem Recht erlaubte oder zulässige Handlungen. Im Sprachgebrauch gängig ist der Begriff insbesondere im Zusammenhang mit Lebensmitteln. Bekanntlich sind Muslimen das Essen von Schweinefleisch, dessen Produkte und Blut sowie der Genuss von berauschenden Mitteln wie Alkohol verboten.
In der Folge können einige Arznei- oder Hilfsstoffe problematisch sein. Arzneimittel mit wirksamen Bestandteilen vom Schwein wie Phospholipide aus der Schweinelunge zur Therapie des Atemnotsyndroms bei Frühgeborenen sowie Pankreasenzyme vom Schwein kommen aber selten vor und können ersetzt werden. Hilfsstoffe sind häufiger ein Problem, etwa Gelatine aus Schweineausgangsstoff. Gelatine vom Rind ist zulässig.
Eine gute Übersicht zu gedruckten Hilfen, die das Beratungsgespräch in der Apotheke unterstützen, darunter auch mehrsprachige Dosierzettel in Arabisch, Farsi, Albanisch, Türkisch, Französisch und Englisch, bietet die Seite des Hessischen Apothekerverbands (www.h-a-v.de/service/beratung-von-zugewanderten.html).
Die Deutsche Atemwegsliga bietet Videos in vielen Sprachen zur Anwendung aller Inhalatortypen (www.atemwegsliga.de).
Vielfältige Informationen zu mehr als 20 Indikationsgebieten in sechs Sprachen bietet das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ; www.patienten-information.de).
Übersetzungshilfen von und ins Chinesische, Japanische und viele europäische Sprachen: www.deepl.com.
Die Non-Profit-Organisation Triaphon bietet einen telefonischen 24-Stunden-Übersetzungsdienst in Sprachen wie Arabisch, Bulgarisch, Farsi/Dari, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Türkisch oder Vietnamesisch an. Sprachmittler sind sofort verfügbar und übersetzen telefonisch kurze Gespräche zwischen dem heilberuflichen Personal und dem Patienten (https://triaphon.org).
Mitunter haben Patienten Vorbehalte gegen Sondennahrung, wenn sie nicht wissen, dass in der parenteralen Ernährung keine tierischen Produkte verarbeitet werden. Nährstoffe wie Kohlenhydrate und Eiweiße werden in der Regel chemisch hergestellt, Fette aus Pflanzenölen (Soja- oder Olivenöl) gewonnen.
Magnesiumstearat kann ein problematischer Hilfsstoff sein. Das Magnesiumsalz der Stearinsäure wird als Schmiermittel bei der Tablettenherstellung eingesetzt. Als Ausgangsbasis für die Gewinnung von Stearinsäure können pflanzliche Fette wie Soja-, Raps- oder Maiskeimöl, aber auch tierische Fette, zum Beispiel Milchfett, Rindertalg oder Schweineschmalz, verwendet werden. Magnesiumstearat nach Arzneibuchqualität kann also Schwein als Ausgangsmaterial beinhalten. Hersteller, die ausschließlich Magnesiumstearat aus pflanzlichen Quellen verwenden, gehen immer mehr dazu über, dies in der Fachinformation explizit auszuweisen. Ansonsten hilft eine Frage beim pharmazeutischen Unternehmer.
Alkohol ist als Hilfsstoff und Auszugsmittel in Tinkturen enthalten. Die Restmenge Alkohol in Trockenextrakten ist zwar sehr gering, aber analytisch bestimmbar. Auch Aromen können Kleinstmengen Alkohol enthalten, teilweise sind diese undeklariert.
Jedoch gilt in vielen Konfessionen des Islam der Grundsatz, dass der Gläubige seiner Gesundheit nicht schaden soll und deshalb Ausnahmen zugunsten der Gesundheit akzeptiert werden. Die Einnahme sonst prekärer Arzneimittel ist erlaubt, wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen. Als guter Indikator kann die Zulassung in strenggläubigen Ländern wie Saudi-Arabien dienen. Ist ein Arzneimittel in der dortigen »Drug List« zu finden, kann es in der Regel als zulässig gelten (www.sfda.gov.sa/en/drugs-list). Allerdings sollte man die Zusammensetzung der Hilfsstoffe genau prüfen, denn manchmal werden länderspezifische Spezifikationen verwendet.
Weitere Datenbanken und andere Informationsquellen helfen dem Apothekenpersonal, problematische Arzneimittel zu erkennen und Alternativen zu finden. Mit der von einem Apotheker entwickelten App »whatsin« (www.whatsinmymeds.de) lassen sich unerwünschte Inhaltsstoffe leicht erkennen. Aber auch andere kritische Inhaltsstoffe, zum Beispiel bei Lactose- und Histamin-Intoleranz, und vegane Arzneimittel markiert die App. Darüber hinaus werden teilbare Medikamente besonders angezeigt.
Christiane Staiger studierte Pharmazie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und wurde an der Philipps-Universität Marburg im Fach Pharmaziegeschichte promoviert. Nach beruflichen Stationen in der öffentlichen Apotheke und bei der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ist sie seit 2002 in der pharmazeutischen Industrie im Bereich der medizinischen Wissenschaften und der klinischen Forschung tätig. Seit vielen Jahren befasst sich Dr. Staiger mit dem Thema Arzneimittel und muslimische Kultur.