Mit diesen Nebenwirkungen ist zu rechnen |
Theo Dingermann |
11.12.2020 07:00 Uhr |
Schmerzen an der Einstichstelle, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Fieber sind häufige Nebenwirkungen der Impfung, doch meist in geringer Ausprägung und nur für ein bis zwei Tage anhaltend, so das bisherige Studienfazit mit mehr als 43.000 Probanden. / Foto: Biontech
Wie so häufig in diesen Tagen waren auch die hier vorgestellten Daten in großen Teilen bereits in einer Pressemitteilung kommuniziert worden. Zudem waren erste Erfolgsmeldungen wenig später noch einmal nach oben korrigiert worden, allerdings auch dieses Mal wieder in Form einer Pressemeldung. Nun sind die Ergebnisse der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie (NCT04368728) zum Biontech/Pfizer-Impfstoffkandidaten BNT162b2 nach einem üblich Peer-Review-Begutachtungsprozess offiziell im »New England Journal of Medicine« (NEJM) erschienen.
In die multinationale, placebokontrollierte, verblindete Wirksamkeitsstudie waren Probanden ab 16 Jahren eingeschlossen und in einem Verhältnis von 1:1 randomisiert worden. Jeder Proband hatte zwei Impfdosen im Abstand von 21 Tagen erhalten, entweder in Form einer Placeboinjektion oder in Form von 30 μg des Impfstoffkandidaten BNT162b2.
BNT162b2 ist ein mit Lipid-Nanopartikeln formulierter, nukleosidmodifizierter mRNA-Impfstoff, der für ein präfusionsstabilisiertes, membranverankertes SARS-CoV-2 Spike-Protein voller Länge kodiert. Die primären Endpunkte waren die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen eine im Labor bestätigte Covid-19-Erkrankung und die Sicherheit des Impfstoffkandidaten.
Insgesamt waren 43.548 Probanden randomisiert worden. Die Auswertung basierte auf 21.720 Verum-Impfungen und 21.728 Placebo-Impfungen. Nach der Entblindung wurden acht Fälle von Covid-19 mit Beginn mindestens sieben Tage nach der zweiten Dosis unter den Probanden diagnostiziert, die BNT162b2 erhalten hatten. Im Gegensatz dazu waren in der Placebogruppe 162 Fälle von Covid-19 diagnostiziert worden. Daraus errechnet sich, dass BNT162b2 zu 95 Prozent Covid-19 verhindern kann (95 Prozent-Konfidenzintervall: 90,3 bis 97,6). Zehn Fälle von schwerem Covid-19 wurden beobachtet. Neun davon traten bei den Probanden auf, die eine Placeboinjektion erhalten hatten.
Eine ähnlich gute Wirksamkeit des Impfstoffs (90 bis 100 Prozent) wurde in den Untergruppen beobachtet, die hinsichtlich des Alters, des Geschlechts, der Ethnie, des Ausgangs-Body-Mass-Index und des Vorhandenseins von Begleiterkrankungen zusammengestellt waren.
Das Sicherheitsprofil von BNT162b2 war unter anderem gekennzeichnet durch kurzzeitige, leichte bis mäßige Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit und Kopfschmerzen. Schmerzen wurden von Teilnehmern, die älter als 55 Jahre waren, weniger häufig berichtet (71 Prozent berichteten über Schmerzen nach der ersten Dosis, 66 Prozent nach der zweiten Dosis) als von jüngeren Teilnehmern (83 Prozent nach der ersten Dosis, 78 Prozent nach der zweiten Dosis).
Deutlich weniger Probanden klagten über Rötungen oder Schwellungen an der Injektionsstelle. Der Anteil der Probanden, die lokale Reaktionen meldeten, stieg nach der zweiten Dosis nicht an und kein Teilnehmer berichtete über eine lokale Grad-4-Reaktion. Im Allgemeinen waren die lokalen Reaktionen meist leicht bis mittelschwer und klangen innerhalb von ein bis zwei Tagen ab.
Systemische Nebenwirkungen wurden häufiger von jüngeren Probanden (16 bis 55 Jahre) als von älteren (über 55 Jahre) gemeldet und solche Wirkungen traten häufiger nach der zweiten Dosis als nach der ersten Dosis auf. Hier klagten die Probanden am häufigsten über Müdigkeit und Kopfschmerzen (59 beziehungsweise 52 Prozent nach der zweiten Dosis bei jüngeren Probanden, 51 und 39 Prozent bei älteren Empfängern). Allerdings berichteten auch viele Probanden aus der Placebogruppe diese unerwünschten Wirkungen (23 beziehungsweise 24 Prozent nach der zweiten Dosis bei jüngeren Impfstoffempfängern, 17 und 14 Prozent bei älteren Empfängern).
Ein schweres systemisches Ereignis nach der ersten Dosis trat bei weniger als 0,9 Prozent der Geimpften auf. Berücksichtigt man beide Dosen, wurden schwerwiegende systemische Ereignisse von weniger als 2 Prozent der Impflinge berichtet, mit Ausnahme von Müdigkeit (3,8 Prozent) und Kopfschmerzen (2,0 Prozent) nach der zweiten Dosis.
Fieber (Temperatur ≥38 °C) wurde nach der zweiten Dosis von 16 Prozent der jüngeren Probanden und von 11 Prozent der älteren Probanden berichtet. Nur 0,2 Prozent der Probanden aus der Verumgruppe und 0,1 Prozent der Probanden aus der Placebogruppe berichteten über höheres Fieber (38,9 bis 40 °C) nach der ersten Dosis, verglichen mit 0,8 versus 0,1 Prozent nach der zweiten Dosis. Jeweils nur zwei Teilnehmer in der Impfstoff- und Placebogruppe meldeten Temperaturen über 40 °C.
Jüngere Impflinge nahmen häufiger fiebersenkende oder schmerzstillende Medikamente ein (28 Prozent nach der ersten Dosis, 45 Prozent nach der zweiten Dosis) als ältere Impflinge (20 Prozent nach der ersten Dosis, 38 Prozent nach der zweiten Dosis). Placebo-Empfänger nahmen diese Medikamente seltener ein (10 bis 14 Prozent) als Impflinge, unabhängig von Alter oder Dosis. Systemische Ereignisse, einschließlich Fieber und Schüttelfrost, traten an den ersten beiden Tagen nach der Impfung auf und klangen kurz darauf ab.
Über ein unerwünschtes Ereignis berichten mehr BNT162b2- als Placebo-Empfänger (27 versus 12 Prozent). 64 Probanden aus der Verum-Gruppe (0,3 Prozent) und sechs aus der Placebogruppe (<0,1 Prozent) berichteten über eine Lymphadenopathie.
Nur wenige Teilnehmer in beiden Gruppen hatten so schwere unerwünschte Ereignisse, dass sie die Studie abbrechen mussten. Unter den BNT162b2-Empfängern wurden vier schwerwiegende unerwünschte Ereignisse berichtet (Schulterverletzung im Zusammenhang mit der Verabreichung des Impfstoffs, Lymphadenopathie in der rechten Achselhöhle, paroxysmale ventrikuläre Arrhythmie und Parästhesie im rechten Bein).
Zwei BNT162b2-Empfänger starben im Verlauf der Studie (einer an Artherosklerose, einer an Herzstillstand), ebenso wie vier Placebo-Empfänger (zwei aus unbekannter Ursache, einer an einem hämorrhagischen Schlaganfall und einer an einem Myokardinfarkt).
Keine Todesfälle wurden von den Prüfärzten als mit dem Impfstoff oder Placebo in Verbindung stehend angesehen. Es wurden keine Covid-19-assoziierten Todesfälle beobachtet. Die Sicherheitsüberwachung wird für zwei Jahre nach Verabreichung der zweiten Impfstoffdosis fortgesetzt.
In einem Kommentar zu der Publikation betonen Eric J. Rubin und Dan L. Longo, die verantwortlichen Chefredakteure des NEJM, wie wichtig die nun publizierten Daten seien. Zwar hatten auch schon frühe klinische Studien gezeigt, dass der Impfstoff sowohl humorale als auch zelluläre Immunität induzieren kann. Allerdings war unklar, ob diese Reaktionen ausreichen, um vor einer symptomatischen Infektion zu schützen. »Heute wissen wir es«, so die beiden Editoren. Und sie ergänzen: »Die Ergebnisse sind beeindruckend.«
Allerdings weisen sie auch auf einige Ungewissheiten hin. So ist die Zahl der schweren Fälle von Covid-19 (einer in der Verum-Gruppe und neun in der Placebo-Gruppe) zu gering, um Rückschlüsse darauf zu ziehen, ob die seltenen Fälle, die bei geimpften Personen auftraten, tatsächlich schwerer sind. Aus praktischen Gründen hatten sich die Studienärzte nämlich darauf verlassen, dass die Studienteilnehmer Symptome aus eigenem Antrieb meldeten und auch zur Untersuchung erschienen. Hier könnte sich ein Bias verstecken: Symptome, die eigentlich auf Covid-19 hindeuteten, könnten von den Studienteilnehmern als impfassoziiert interpretiert und in der Folge nicht gemeldet worden sein.
Zudem wurden einige wichtige Daten wie die Rate der asymptomatischen Erkrankungen (gemessen an der Serokonversion gegen ein virales Nukleoprotein, das nicht Bestandteil des Impfstoffs ist) bisher nicht erhoben. Trotz alldem seien die Studienergebnisse beeindruckend genug, um jeder denkbaren Analyse standzuhalten, so die NEJM-Editoren. »Dies ist ein Triumph«, resümieren sie.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.