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Impfpflicht

Für und Wider aus medizinischer Sicht

Rechtlich wäre irgendeine Form von Impfpflicht gegen Covid-19 wohl möglich, aber wäre sie auch medizinisch sinnvoll? Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen.
Annette Rößler
14.01.2022  18:00 Uhr

Die mögliche Einführung einer Pflicht zur Impfung gegen Covid-19 ist ein momentan auf allen Ebenen heiß diskutiertes Thema. Da sie einen Eingriff in die im Grundgesetz verankerte körperliche Unversehrtheit darstellt, sind die juristischen Hürden dafür hoch. Laut dem ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht Professor Dr. Udo Di Fabio müssen folgende Kriterien erfüllt sein: Erstens muss es einen legitimen Grund dafür geben, zweitens muss sie das beste Mittel sein, um ein wichtiges Ziel zu erreichen, und drittens darf dieses nicht durch andere Mittel erreicht werden können. Das sagte Di Fabio kürzlich bei einer Veranstaltung der Initiative House of Pharma & Healthcare.

Ein legitimer Grund wäre etwa eine mögliche Ausrottung des Erregers, wie sie mit der für Teile der Bevölkerung geltenden Masernimpfpflicht angestrebt wird. Beim Coronavirus SARS-CoV-2 ist die Situation jedoch anders als beim Masernvirus und eine Ausrottung durch Impfung scheint derzeit unmöglich (siehe Kasten).

Ein legitimer Grund für eine Coronaimpfpflicht wäre laut Di Fabio aber auch das Erreichen einer Herdenimmunität, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Allerdings ist fraglich, ob das mit den zurzeit verfügbaren Impfstoffen überhaupt möglich ist. Denn diese sind darauf optimiert, schwere Verläufe von Covid-19 zu verhindern, nicht Infektionen. Schon mit der Delta-Variante von SARS-CoV-2 und stärker noch mit der Omikron-Variante konnten und können sich auch Geimpfte infizieren. Diese Durchbruchinfektionen verlaufen zwar meistens mild, doch ist die im Sinne einer Herdenimmunität erforderliche Unterbrechung der Infektionskette dann nicht gewährleistet.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) nannte im Juli 2021 Impfquoten von mindestens 85 Prozent bei Zwölf- bis 59-Jährigen und 90 Prozent bei Personen ab 60 Jahren als Ziele für die Impfkampagne in Deutschland und bekräftigte dies noch einmal im Dezember. Da die im Vergleich zur Delta-Variante noch ansteckendere Omikron-Variante mehr und mehr das Infektionsgeschehen dominiert, dürfte jedoch selbst bei Erreichen dieser Impfquoten eine Herdenimmunität verfehlt werden. Laut RKI wird die Dynamik der Pandemie aktuell nicht nur durch fehlenden, sondern auch durch »nachlassenden beziehungsweise weniger effektiven Impfschutz« getrieben. Somit wird nicht nur die Grundimmunisierung des noch ungeimpften Bevölkerungsteils für die Eindämmung der Pandemie als erforderlich angesehen, sondern auch die Verbesserung des Schutzes der bereits Geimpften durch Booster. Eine Impfpflicht müsste daher, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen, auch die Pflicht zu einer, wahrscheinlich sogar mehrerer Booster-Impfungen zum jeweils richtigen Zeitpunkt beinhalten.

Allerdings senkt eine Impfung das Risiko für Covid-19-bedingten Krankenhausaufenthalt so stark, dass sich eine Impfpflicht trotz der wohl unerreichbaren Herdenimmunität juristisch womöglich dennoch mit der zu erwartenden Entlastung des Gesundheitssystems rechtfertigen ließe. In Folge wäre auch ein zügiger Verzicht auf die vielen Alltagsrestriktionen möglich, die derzeit auch für Geimpfte gelten. Nur stellt sich die Frage, ob die Impfpflicht tatsächlich das einzige Mittel ist, um die Impfquote von derzeit 72,3 Prozent (Stand 13. Januar) weiter zu erhöhen.

Hierzu merkt das RKI an: »Ohne zusätzliche politische Maßnahmen ist keine baldige Verbesserung der Impfquote zu erwarten«, und verweist auf die seit Juni 2021 stagnierende Impfquote sowie auf die laufende COSMO-Studie, für die seit März 2020 alle zwei Wochen knapp 1000 Erwachsene im Alter bis 74 Jahre zur Pandemie befragt werden. Die letzte Erhebung am 14./15. Dezember 2021 ergab, dass von den bislang Ungeimpften nur 13 Prozent impfbereit sind und 26 Prozent zögerlich oder unsicher, während 61 Prozent sagen, dass sie sich auf keinen Fall impfen lassen wollen. Allerdings beträgt der Anteil der Verweigerer laut COSMO-Studie zurzeit absolut lediglich 7 Prozent aller Befragten, sodass es bei der erreichbaren Impfquote eigentlich durchaus noch Luft nach oben gibt.

Ist dann jedoch eine Impfpflicht das am besten geeignete Mittel, um diejenigen zu erreichen, die sich immer noch nicht selbst dazu motivieren beziehungsweise durchringen konnten? Bei dieser Frage spielt die Psychologie eine zentrale Rolle, wie eine Gruppe um die COSMO-Studienleiterin Professor Dr. Cornelia Betsch von der Universität Erfurt Ende November in einem Preprint auf »PsyArXiv« darlegte. »Aktuell ist der wichtigste Grund für die Ablehnung der Impfung das fehlende Vertrauen in die Sicherheit der Impfung. Hierzu bedarf es – mit oder ohne Impfpflicht – schnellstens bester Aufklärung, um Menschen die Angst vor der Impfung zu nehmen«, sagte Betsch dazu.

Eine Impfpflicht müsse klug designt werden. So könnten verschiedene Aspekte verpflichtend gemacht werden, etwa der Erhalt eines Termins, eine Beratung zur Impfung oder die Impfung selbst. »Für alle gilt: Nicht-Impfen sollte mindestens ebenso aufwendig sein wie Impfen«, erklärte Betsch.

Welchen Mehrwert eine Impfpflicht verglichen mit anderen möglichen Maßnahmen hat, hängt in der Pandemie aber auch stark von der aktuellen Situation ab – und die kann sich überaus schnell verändern, wie die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante gezeigt hat. Diese ist einerseits hochansteckend und führt andererseits womöglich tatsächlich häufiger zu milden Krankheitsverläufen als frühere SARS-CoV-2-Varianten. Wenn sich die Politiker also nicht bald auf eine Impfpflicht einigen, könnte es durchaus sein, dass die noch bestehenden Impflücken durch Infektionen geschlossen sind, bevor es soweit ist.

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