Kein Ende in Sicht |
25.09.2017 14:14 Uhr |
Von Josephin Mosch / Die Impfung gegen Masern ist wirksam und sicher. Keine Impfung ist ohne Risiken, nicht zu impfen, birgt aber ein viel größeres Risiko. Dennoch sind die Impfquoten in Deutschland nicht ausreichend, und das WHO-Ziel der Masern-Elimination bis 2015 wurde nicht erreicht. Wie lassen sich Impflücken überwinden?
Masern sind eine der ansteckendsten Infektionskrankheiten des Menschen. Vor Einführung der Impfung 1963 traten alle zwei bis drei Jahre größere Epidemien auf. Schätzungen zufolge gab es zuvor jährlich weltweit etwa 30 Millionen Menschen, die an Masern erkrankten; zwei Millionen starben daran. Es wird angenommen, dass ohne Impfung etwa 95 Prozent der Menschen bis zum 15. Lebensjahr mit dem Masernvirus infiziert wären (1).
Keine Bagatelle: Kleinkind mit Masern-Exanthem
Foto: Your Photo Today
Der aktuelle Masern-Lagebericht von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem UN-Kinderhilfswerk (UNICEF), der Impfallianz Gavi sowie der US-Gesundheitsbehörde (CDC) stellt fest: Die Zahl der Masern-Todesfälle konnte zwischen 2000 und 2015 um 79 Prozent gesenkt werden; dabei seien durch Impfkampagnen in diesem Zeitraum mehr als 20 Millionen Menschenleben gerettet worden. Doch trotz dieser großen Erfolge sterben weltweit jeden Tag etwa 400 Kinder an der Krankheit (2). In Deutschland erkrankten 2015 nach Angaben des Robert- Koch-Instituts (RKI) knapp 2500 Menschen (6).
Die Masern sind weiterhin eine ernst zu nehmende Bedrohung – auch in Deutschland. Im August dieses Jahres gab es hierzulande bereits mehr als 800 Fälle. Im gesamten letzten Jahr waren es rund 300 Menschen (3, 6). Damit ist Deutschland, nach Italien und Rumänien, innerhalb der Europäischen Union für die meisten Masernfälle verantwortlich.
Fernziel Elimination
Impfungen gehören zu den größten Erfolgen in der Medizin. Dass Krankheiten mit Impfstoffen nicht nur verhindert, sondern gänzlich ausgerottet werden können, wird am Beispiel der Pocken deutlich. Auch Polio ist in weiten Teilen der Welt nicht mehr anzutreffen. Impfungen retten jedes Jahr weltweit ungefähr sechs Millionen Menschenleben (4).
Bereits mehrmals hatte die Weltgesundheitsversammlung (WHA) Ziele zur Elimination der Masern formuliert. Im Globalen Impfaktionsplan von 2012 war die Elimination in vier von sechs WHO-Regionen bis zum Jahr 2015 anvisiert worden (5). Auch Deutschland hatte sich dazu bekannt, dieses Ziel aber nicht erreicht.
Für eine Elimination ist eine Herdenimmunität erforderlich, für die mehr als 95 Prozent der Bevölkerung gegen Masern immun sein müssen. Aktuell erreicht Deutschland für die erste Impfung (measles containing vaccine, MCV, 1) zwar Durchimpfungsquoten von 97 Prozent, die zweite Masernimpfung (MCV2) deckt aber nur 93 Prozent ab (6). Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kinder bei der Schuleingangsuntersuchung und sagen nichts über Impfquoten in anderen Bevölkerungsgruppen aus, die möglicherweise großen Nachholbedarf haben. Ein weiteres Kriterium für eine Elimination: Infektionsketten dürfen nicht länger als zwölf Monate anhalten und es darf maximal ein Fall pro eine Million Einwohner auftreten.
Medizinischer Hintergrund
Laut STIKO sollen alle Kinder in den ersten beiden Lebensjahren zweimal geimpft werden.
Foto: Shutterstock/Oksana Kuzmina
Das Masernvirus ist ein Einzelstrang-RNA-Virus der Gattung Morbillivirus aus der Familie der Paramyxoviridae (Kasten). Das Virus ist ausschließlich humanpathogen, das heißt, dass der Mensch der einzige natürliche Wirt ist. Die Übertragung erfolgt über die Atemwege durch Tröpfcheninfektion oder über direkten Kontakt mit infiziertem Sekret. Masern sind extrem ansteckend, die Kontagiosität liegt bei über 95 Prozent. Das bedeutet, dass sich nahezu jeder nicht gegen Masern immune Mensch bei entsprechender Exposition mit dem Virus ansteckt (1).
Normalerweise beträgt die Inkubationszeit etwa zehn bis 14 Tage, bis erste Symptome wie Fieber, Husten, Schnupfen, Krankheitsgefühl und Konjunktivitis (Bindehautentzündung) auftreten. Das charakteristische Exanthem zeigt sich meist innerhalb von zwei bis vier Tagen nach dieser Prodromalphase. Die Patienten sind bereits vor Auftreten des Ausschlags ansteckend: etwa vier Tage vor bis vier Tage nach Ausbruch des typischen fleckig-knotigen Exanthems. Dann ist die Viruslast im Respirationstrakt am höchsten (7, 8). Der Hautausschlag ist häufig begleitet von hohem Fieber mit Spitzen von 39 bis 40,5 °C. Noch vor Beginn des Ausschlags können in der Mundschleimhaut die für Masern pathognomonischen bläulich-weißen Koplik-Flecken sichtbar werden. Dabei handelt es sich um zart rote, punktförmige Flecken mit einem weißen Zentrum.
Bei unkompliziertem Verlauf bessert sich der Zustand der Patienten etwa am dritten Tag nach Beginn des Ausschlags. Nach sieben bis zehn Tagen sind sie wieder vollständig genesen (9), aber vorübergehend noch immunschwach und empfänglich für bakterielle Superinfektionen (10). Komplikationen treten bei etwa 30 Prozent der Patienten, abhängig von Alter und Vorerkrankungen auf. Das Risiko, dass die Erkrankung schwer oder sogar tödlich verläuft, ist besonders hoch bei
Zu den häufigeren Komplikationen zählen Mittelohrentzündung, Lungenentzündung, Kehlkopfentzündung unter Beteiligung von Luftröhre und Bronchien sowie Diarrhö. Hörschäden können sich anschließen. In einem von 1000 bis 2000 Fällen tritt eine Enzephalitis auf. Noch deutlich seltener ist eine Komplikation, die noch Jahre nach einer überstandenen Maserninfektion auftreten kann: die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE). Dabei verliert der Patient allmählich jegliche vormals erlernten Fähigkeiten – Laufen, Sprechen, Schreiben, Lesen, Kontinenz. Durch die schwere Hirnschädigung können im Verlauf zunehmend neurologische Symptome wie Krampfanfälle auftreten. Im Endstadium geht die Erkrankung häufig in ein apallisches Syndrom über, bevor der Patient stirbt.
Bei Einzelfällen ist für die Diagnosestellung neben klinischen Symptomen wie Fieber und Ausschlag eine Laboruntersuchung notwendig, um Infektionskrankheiten mit einem Masern-ähnlichen Exanthem auszuschließen. Dies sind zum Beispiel Röteln (Rubella-Virus), Ringelröteln (Parvovirus B19), Drei-Tage-Fieber (Humanes Herpesvirus 6), Dengue-Virus und Scharlach (Streptococcus pyogenes). In der Phase des Ausbruchs des Exanthems bis zu sechs Wochen danach können mittels ELISA (Enzyme-linked Immunosorbent Assay) Anti-Masernvirus-IgM-Antikörper im Serum detektiert werden. Ein Virusgenom-Nachweis ist durch die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) möglich, die auf Masernvirus-RNA testet. Dafür werden vor allem Proben eines Rachenabstrichs oder Urin verwendet (1), der Nachweis gelingt bis etwa eine Woche nach Ausbruch des Exanthems.
Es gibt keine spezifische Therapie. Im Vordergrund stehen Symptomlinderung, Prävention von Komplikationen und Sekundärinfektionen sowie die Isolation der Patienten wegen der hohen Ansteckungsgefahr (11). Umso mehr Bedeutung kommt der präventiven Impfung zu.
Lebendimpfstoff schützt lebenslang
Die Masernimpfung kann die Krankheit effektiv und sicher verhindern. Seit Jahrzehnten hat das Virus seine monotypische Antigenstruktur beibehalten, und die Wirksamkeit des Impfstoffs ist unverändert gut (12, 13). Das Genom des Masernvirus kodiert für acht Proteine, darunter für Hämagglutinin (H) und das Fusionsprotein (F), die als Oberflächenproteine wichtig für den Eintritt des Virus in die Zelle sind. Die lebenslange Immunität nach durchgemachter Infektion oder Impfung beruht auf neutralisierenden Antikörpern gegen das H-Protein (14).
Bei dem Impfstoff handelt es sich um einen attenuierten Lebendimpfstoff. Dieser stammt in der Regel vom Edmonston-Stamm des Masernvirus ab und schützt vor allen Wildtyp-Masernvirus-Genotypen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps, Röteln, gegebenenfalls auch gegen Varizellen (MMR und MMR-V).
In Deutschland spricht die STIKO am Robert-Koch-Institut (RKI) Impfempfehlungen aus. Sie empfiehlt, alle Kinder in den ersten zwei Lebensjahren zweimal zu impfen: einmal im Alter von etwa elf bis 14 Monaten, ein weiteres Mal im Alter von 15 bis 23 Monaten. Darüber hinaus sollten alle nach 1970 geborenen Erwachsenen, die nicht gegen Masern geimpft wurden, nur eine Impfung in der Kindheit erhalten haben oder deren Impfstatus unklar ist, nachgeimpft werden (6).
Für Beschäftigte in medizinischen Berufen wie Ärzte, Pflegepersonal, Apotheker und pharmazeutisch-technische Assistenten besteht eine besonders dringliche Indikation für einen ausreichenden Impfschutz. Ihr berufliches Infektionsrisiko ist bis zu 19-mal so hoch wie das Risiko der Normalbevölkerung (15). Dabei kann jeder vierte medizinische Beschäftigte keine Angaben zu seinem Masern- und Mumpsimpfstatus machen (16). Insbesondere jüngeres Personal ist häufig nicht ausreichend geschützt (17).
In der Regel ist die MMR-Impfung gut verträglich. Lokale Reaktionen wie Rötung oder Schwellung an der Einstichstelle sind möglich. Es können auch Kopfschmerzen, Mattigkeit oder Magen-Darm-Beschwerden auftreten, die nach kurzer Zeit abklingen. Nach einer bis vier Wochen können mitunter sogenannte Impfmasern auftreten. Dabei handelt es sich um einen den Masern ähnlichen Hautausschlag, der aber nicht ansteckend ist. Nach einer Masernerkrankung kann es zu bei etwa einem von 1000 Erkrankten zu einer Gehirnentzündung kommen. In weltweit sehr wenigen Einzelfällen wurden auch nach der Impfung Gehirnentzündungen beobachtet. Doch trotz möglicher Nebenwirkungen sind die Risiken der Impfung wesentlich geringer als die der Erkrankung (18).
Deutschland ist nach Italien und Rumänien für die meisten Masernfälle innerhalb der Europäischen Union verantwortlich.
Politik in Sachen Masern
Professor Dr. Sabine Wicker, Mitglied der STIKO und Vorsitzende der Nationalen Verifizierungskommission Masern/Röteln am RKI, sieht die nach wie vor unzureichenden Impfquoten kritisch. Im Interview mit der Pharmazeutischen Zeitung sagte sie: »Deutschland war im Jahr 2015, in dem die Masern-Elimination für Europa geplant war, davon so weit entfernt wie lange nicht. Deutschland stellte 2015 mehr als 60 Prozent der Masernfälle innerhalb der Europäischen Union. Das ist für ein Land mit so einem Gesundheitssystem, mit so einem Bruttoinlandsprodukt, in meinen Augen ein beschämendes Ergebnis.«
Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe nannte es gegenüber der PZ »sehr ärgerlich«, dass das Ziel nicht erreicht wurde. Er sei allerdings zuversichtlich, dass die bisherigen Maßnahmen ausreichen, die Impfquoten zu verbessern. Grundlage ist das Infektionsschutzgesetz, das 2015 durch das Präventionsgesetz (19) und 2017 durch das Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten (20) geändert beziehungsweise ergänzt wurde.
Oben: In der Ambulanz von Flying Medical Service in Arusha Mitte: Mutter mit Baby bei der Untersuchung Unten: Patienten und ihre Angehörigen warten vor der Gesundheitsstation in Arusha.
Fotos: Mosch
Das neue Gesetz, das im Juli 2017 in Kraft trat, sieht vor, dass für die Aufnahme eines Kindes in eine Kindertagesstätte ein Nachweis über eine Impfberatung vorgelegt werden muss und die Kita die Eltern an das Gesundheitsamt meldet, wenn sie eine solche Impfberatung verweigern (20). Dann drohen unter Umständen Bußgelder bis zu 2500 Euro. Wenn sich Eltern nach einem Beratungsgespräch gegen eine Impfung entscheiden, hat das keine Konsequenzen. Bei einem Masernausbruch kann ein nicht-geimpftes Kind von Gemeinschaftseinrichtungen ausgeschlossen werden. Die Impfung wird aber nicht zur Aufnahmebedingung in Kitas oder Schulen. Gröhe erläutert, warum: »Wir haben in Deutschland eine Schulpflicht. Ein Ausschluss von einer Beschulungsmöglichkeit bei Schulpflicht muss auf die unmittelbare Gefahrenabwehr beschränkt werden.«
Noch vor zwei Jahren hatte der Minister gegenüber der Deutschen Presse-Agentur geäußert, dass angesichts der nach wie vor unzureichenden Impfquoten eine Impfplicht »kein Tabu mehr« sein dürfe, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichten. Gegenüber der PZ betonte er nun, dass »eine Impfpflicht immer mit Ausnahmen versehen werden müsste, zum Beispiel aus weltanschaulich-religiösen Gründen«. Beharrliche Erinnerung und Aufklärung würden zum Ziel führen. »Die Quoten von 97 Prozent für die erste Masernimpfung zeigen uns, dass die Zahl der absoluten Verweigerer bei ungefähr 2 bis 3 Prozent liegt. Die Eltern, die ihren Kindern die zweite Impfung nicht zukommen lassen, sind aber – wenn sie sich zuvor für die erste Impfung entschieden haben – nicht prinzipielle Impfgegner.«
Die Impfstatus-Beratung soll laut Gröhe zudem nicht auf die Kinder- und Jugenduntersuchungen beschränkt bleiben, sondern auch für den allgemeinen Check-up, also die regelmäßigen Untersuchungen im Erwachsenenalter gelten. Für medizinisches Personal ist vorgesehen, dass Arbeitgeber in Gesundheitsbereichen wie Kliniken das Recht haben, den Impfstatus zu erfragen und davon auch Einstellung und konkreten Einsatzort abhängig zu machen (21).
Für STIKO-Mitglied Wicker gehen die Maßnahmen in den Gesetzen nicht weit genug: »Beschriebenes Papier haben wir genug. Das, was wir jetzt tun müssen, ist impfen. Nur mit einer Spritze in der Hand können wir Impflücken überwinden und erreichen, dass wir endlich auch in Deutschland die Masern eliminieren können. Dieses Ziel der WHO kann man nur mit nachhaltigen Impfprogrammen erreichen.«
Warum die Elimination nicht gelingt
Dass die Impfquoten in Deutschland nicht ausreichen, hat viele Gründe. Nicht nur Kinder, sondern auch viele junge Erwachsene sind nicht ausreichend geimpft. Welches Kollektiv das betrifft und wer nachgeimpft werden müsste, kann allerdings nicht genau gesagt werden, da es in Deutschland kein Impfregister gibt.
Ein weiteres Problem sind Impfkritiker, die den Nutzen der Impfung relativieren und im Internet über Blogs, Foren und soziale Medien Angst vor Nebenwirkungen verbreiten. In den 1990er-Jahren behauptete der britische Arzt Andrew Wakefield, die Masernimpfung verursache Autismus. Die Studie wurde vom Fachjournal Lancet zurückgezogen; zahlreiche Untersuchungen widerlegten den Zusammenhang. Der Arzt verlor seine Approbation, das Gerücht aber blieb.
Eltern, die unsicher sind, ob und gegen welche Krankheiten sie ihr Kind impfen lassen sollen, sind besonders empfänglich für impfkritische Behauptungen. Oft vertrauen sie mehr ihrem Gefühl als der Beratung der Ärzte und Empfehlungen von Impfexperten. Viele wollen gar nicht überzeugt werden, sondern an ihrer Meinung festhalten (23).
Einer Studie der London School of Hygiene and Tropical Medicine zufolge sind Europäer im weltweiten Vergleich am kritischsten gegenüber Impfungen. Zudem fanden die Forscher eine inverse Korrelation zwischen der Einstellung gegenüber dem Impfen und dem sozioökonomischen Status (24). Gerade Menschen in westlichen Industrieländern sehen keine unmittelbare Bedrohung mehr in der Krankheit und messen daher dem Risiko der Impfung mehr Bedeutung bei als dem der Erkrankung, die dadurch verhindert werden könnte. Diese Haltung gefährdet insbesondere immunsupprimierte und -defiziente Menschen, zum Beispiel intensivpflichtige oder onkologische Patienten, Schwangere oder Neugeborene. Sie können noch nicht gegen Masern geimpft werden, haben aber nach drei bis sechs Monaten auch keine Leihimmunität mehr von der Mutter.
Daraus folgert Wicker, die den Betriebsärztlichen Dienst am Universitätsklinikum Frankfurt am Main leitet, auch eine gesellschaftliche Verantwortung des Einzelnen. Im Gespräch mit der PZ sagte sie: »Die Wirksamkeit des Impfstoffs ist wissenschaftlich unumstritten. Insofern ist Impfen auch eine soziale Entscheidung. Ich lasse mich impfen, um mich selbst zu schützen, aber auch, um andere zu schützen. Als Ärztin bin ich für den Schutz meiner Patienten verantwortlich. Darüber hinaus weiß ich nicht, neben wem ich in der Straßenbahn sitze. Es kann sein, dass eine bestimmte Infektionserkrankung mir selbst gar nichts ausmacht, aber für einen anderen Menschen aufgrund einer Störung des Immunsystems unter Umständen tödlich sein kann.«
Hohe Akzeptanz in Tansania
Dass die Impfung auch hohe Kosten spart, ist in Entwicklungs- oder Schwellenländern für Patienten, ihre Familien und das nationale Gesundheitssystem noch bedeutsamer als in Industrieländern (25). Wenn ein Kind krank wird, kann das den finanziellen Ruin für die Familie bedeuten. Das ist einer der Gründe für die sehr hohe Akzeptanz von Impfungen in diesen Ländern, zum Beispiel in Tansania. Laut Daten der WHO hat das ostafrikanische Land für die erste Masernimpfung (MCV1) mit 99 Prozent sogar eine bessere Impfquote als Deutschland mit 97 Prozent.
Auch wenn die Zahlen in Tansania eher Schätzungen sind und auf Bevölkerungsdaten einer extrapolierten Volkszählung von 2012 beruhen – die Akzeptanz ist wirklich gut. Die Erfahrung mit an Masern erkrankten und sogar verstorbenen Kindern prägt das Bewusstsein der Menschen. Die Angst ist groß, ein Kind an einer impfpräventablen Krankheit zu verlieren. Vielerorts in Tansania sieht man noch ältere Kinder mit Behinderung durch die Kinderlähmung. Die durch die Impfung gelungene weitgehende Elimination von Polio stärkt das Vertrauen der Menschen in Impfungen allgemein.
Innerhalb der letzten 15 Jahre ist die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren in Ostafrika um 60 Prozent zurückgegangen. Für etwa ein Fünftel dieses Rückgangs ist der Einsatz von Impfstoffen verantwortlich, so die ostafrikanische Gemeinschaft (EAC).
Dabei ist Tansania abhängig von Unterstützung von außen. Mit einer Kalkulation über den Bedarf an Impfstoffen stellt die Regierung einen Antrag auf Unterstützung, unter anderem bei der Impfallianz Gavi. UNICEF handelt mit Pharmafirmen Preise für die Impfstoffe aus, die den Ländern zur Verfügung gestellt werden. Die Regierung ist dann verantwortlich, die Impfstoffe zu verteilen und die Kühlkette für den Transport zu garantieren. Nicht nur Ärzte und Krankenschwestern impfen, sondern auch Menschen, die nach einer Schulung als Gesundheitshelfer arbeiten dürfen.
Die zweite Masernimpfung ist nötig, um alle Kinder zu schützen, die nach der ersten Impfung keine ausreichende Immunantwort zeigen. Sie wurde in Tansania erst 2015 eingeführt. Obwohl die Quoten für die zweite Impfung nun langsam ansteigen, gibt es in Tansania weiterhin regelmäßig Masernimpfkampagnen, um die Kinder zu schützen, die noch keinen ausreichenden Immunschutz haben.
Auch in Deutschland erwägen Wissenschaftler, ob Impfkampagnen für Menschen mit unzureichendem Immunstatus sinnvoll wären. Dafür wäre es aber notwendig, genaue Zahlen über Impfquoten in allen Alters- und Bevölkerungsgruppen zu haben. Das mahnt auch Sabine Wicker im Gespräch mit der PZ an: »Es ist ziemlich problematisch, dass wir wenig über die Impfquoten der Bevölkerung aussagen können. Andere Länder sind da sehr viel weiter als wir in Deutschland. Wir haben nur die Daten der Schuleingangsuntersuchung und der Impfsurveillance der Kassenärztlichen Vereinigung. Wir können aber nichts über die Impfquoten der jungen Erwachsenen sagen.« Die Ärztin votiert für Impfregister: »Hier ist die Frage, ob wir nicht analog vieler skandinavischer Länder Impfregister bräuchten. Wenn wir die genauen Impfquoten kennen würden, könnten wir auch besser die Zielgruppen formulieren, für die weitere intensivierte Impfkampagnen erforderlich wären.«
Bis zur weltweiten Eradikation der Masern ist es noch ein langer Weg. Eine Elimination auf nationaler Ebene wäre ein erster Erfolg. /
Josephin Mosch studierte Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und der Université Diderot in Paris. Für ihre Doktorarbeit über Kalzifizierungs- und Entzündungsprozesse an Aortenstenosen bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern forschte sie an der Harvard Medical School in Boston. Während des Studiums absolvierte sie Praktika beim Bayerischen Rundfunk, der Pharmazeutischen Zeitung, Spiegel online und ZEIT-Wissen. Sie arbeitet frei für verschiedene Wissenschaftsredaktionen. Die Recherche zum Thema Masern wurde gefördert durch das Global Health Programme for Germany des European Journalism Centre.
Josephin Mosch
Frankfurter Weg 3
65812 Bad Soden
E-Mail: mosch.josephin@gmail.com
Literatur