Eine ungewöhnliche Häufung bei Geimpften |
Christina Hohmann-Jeddi |
16.03.2021 12:30 Uhr |
Bei einer Sinusvenenthrombose kommt es zu einem Blutgerinnsel in der harten Hirnhaut. / Foto: Adobe Stock/Tatiana Shepeleva
Gestern setzte die Bundesregierung die Impfungen mit der Covid-19-Vakzine des britisch-schwedischen Unternehmens Astra-Zenenca in Deutschlandals Vorsichtsmaßnahme vorübergehend aus. Sie handelte damit nach einer Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Langen, das für die Sicherheit von Impfstoffen in Deutschland zuständig ist.
In den Tagen zuvor hatten Politiker und Fachleute noch betont, dass die beobachteten Fälle von thromboembolischen Ereignissen bei Geimpften nicht häufiger seien als die Zahl der Thrombosen, die statistisch zufällig in der Bevölkerung auch ohne Impfung vorkommen würden. Jetzt hat sich die Einschätzung geändert. Vom PEI hieß es am Montag: »Bei der Analyse des neuen Datenstands sehen die Expertinnen und Experten des Paul-Ehrlich-Instituts jetzt eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen (Sinusvenenthrombosen) in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit dem Covid-19-Impfstoff Astra-Zeneca.«
Sieben Fälle dieser Sinusvenenthrombosen auf mehr als 1,5 Millionen verimpfter Astra-Zeneca-Dosen wurden inzwischen an das PEI gemeldet, sechs der Betroffenen sind weiblich. Das sei deutlich und statistisch signifikant oberhalb des Schwellenwertes, sagte PEI-Präsident Professor Dr. Klaus Cichutek gestern Abend in den »Tagesthemen«. Drei der Betroffenen seien verstorben. Es sei gerechtfertigt, die Verimpfung des Astra-Zeneca-Präparats einen Moment zu pausieren, bis die Daten gründlich, auch auf europäischer Ebene, beurteilt wurden. Es ist zu kären, ob dafür tatsächlich der Impfstoff verantwortlich gemacht werden kann, oder ob es sich um eine zufällige Fluktuation handelt. »Die Bürgerinnen und Bürger wollen sich darauf verlassen können, dass die angebotenen Impfstoffe sicher sind. Wir haben hier eine besondere Verpflichtung.«
Professor Dr. Anke Huckriede, Vakzinologin an der Universität Groningen in den Niederlanden, erklärte hierzu gegenüber dem »Science Media Center Germany« (SMC): »Vergangene Woche sah es so aus, als würde es sich bei den aufgetretenen Problemen um gewöhnliche Thrombosen handeln. Diese kommen recht häufig vor, was es relativ unwahrscheinlich machte, dass ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung vorliegen würde.« Nun gebe es neuere Informationen, dass es sich um eine sehr spezielle, selten vorkommende Form von Thrombose handele, wovon nun kurz nach Impfung anscheinend einige Fälle aufgetreten seien. »Das ist selbstverständlich schon verdächtig und sollte untersucht werden. Fakt bleibt aber, dass diese Thrombosen sehr selten beobachtet werden nach einer Impfung mit der Astra-Zeneca-Vakzine, nach meinen bisherigen Informationen in deutlich weniger als 1 in 100.000 Geimpften«, sagte Huckriede.
Mediziner und Politiker Professor Dr. Karl Lauterbach ist davon überzeugt, dass es sich bei den Sinusvenenthrombosen um eine Nebenwirkung des Impfstoffs handelt. In der ARD-Sendung »Hart aber Fair« vom 15. März sagte er: »Das Syndrom, das wir hier sehen, mit einem deutlichen Abfall der Thrombozytenzahl, das dann zu einer Thrombose im Gehirn führt, ist mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf den Impfstoff zurückzuführen.« Von diesem Syndrom sehe man in Deutschland sonst etwa 50 Fälle pro Jahr. Jetzt seien sieben Fälle bei 1,6 Millionen Geimpften aufgetreten, was in etwa einer Häufigkeit von 1:250.000 entspreche. »Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hier um eine Komplikation des Impfstoffs handelt, ist überwältigend hoch«, sagte Lauterbach. Das Risiko für diese mutmaßliche Komplikation müsse man aber ins Verhältnis setzen zu dem Nutzen der Impfung, die Covid-19-Erkrankungen mit den bekannten drastischen Folgen verhindern könne.
Lauterbach ist sich sicher, dass die Nutzen-Risiko-Abwägung immer noch positiv bleibe, auch wenn sich der Impfstoff als Ursache für die Komplikation herausstelle. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) vertritt bislang dieselbe Haltung. In einer Mitteilung vom Montag schreibt sie: »Die EMA ist derzeit weiterhin der Ansicht, dass der Nutzen des Impfstoffs von Astra-Zeneca bei der Vorbeugung von Covid-19 mit dem damit verbundenen Risiko von Krankenhausaufenthalten und Tod die Risiken von Nebenwirkungen überwiegt.«
Denn auch das Nicht-Impfen kann Schaden verursachen. Das betonte Professor Dr. Paul Hunter von der University of East Anglia in Norwich, England, gegenüber dem SMC. Signale zu möglichen neuen Nebenwirkungen müssten immer sorgfältig untersucht werden. »Aber wir müssen auch den tatsächlichen Schaden von Verzögerungen der Impfkampagnen mitberücksichtigen, zu einem Zeitpunkt, an dem in vielen europäischen Ländern die Inzidenz immer noch ansteigt.« So betrage die Covid-19-Mortalität von Männern um die 45 Jahre 0,1 Prozent. Mit 1000 Todesfällen pro eine Million Coronavirus-Infektionen übersteige dies das Risiko von Sinusvenenthrombosen.
Eine abschließende Beurteilung der EMA zur Sicherheit des Astra-Zeneca-Impfstoffs wird noch in dieser Woche erwartet. Die Behörde hat für Donnerstag, den 18. März, eine Sondersitzung des Pharmakovigilanzausschusses (PRAC) einberufen, bei der eine Empfehlung ausgesprochen werden soll.
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