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Durchfall

Dünn, dünner, Diarrhö

Ob Säuglinge, Kinder, Erwachsene oder Senioren: Jedes Jahr sind in Deutschland etwa 65 Millionen Menschen von einer akuten Diarrhö betroffen. Der Apotheker muss nicht nur mögliche Ursachen, sondern auch die Grenzen der Selbstmedikation (er-)kennen, um evidenzbasierte Therapieoptionen aufzeigen zu können sowie – wenn angezeigt – an den Arzt zu verweisen.
Daniel Finke
08.09.2022  08:00 Uhr

Vor der Abgabe eines OTC-Präparates zur Selbstmedikation müssen im Beratungsgespräch anamnestisch das genaue Alter und das Allgemeinbefinden, sprich der Grad der körperlichen Schwäche und Dehydratation, sowie das Auftreten möglicher Komorbiditäten (Tumoren, Immunsuppression et cetera) oder Begleitbeschwerden wie Fieber, Krämpfe und Blut im Stuhl erkundet werden (1, 2).

Um Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten und -Intoxikationen, chronisch-entzündliche Darm- oder andere Grunderkrankungen, Nebenwirkungen spezifischer Arzneimittel (Antibiotika, SSRI et cetera) beziehungsweise eine Reisediarrhöe insbesondere nach Aufenthalt in (sub)tropischen Gebieten ausschließen zu können, müssen sehr genau die Lebensgewohnheiten hinterfragt werden.

Bei stabiler Lage und Minderung des Leidensdrucks des Patienten durch eine adäquate symptomorientierte Therapie kann zunächst abgewartet werden. Häufige Toilettenbesuche, erhöhte Temperaturen, Übelkeit, Erbrechen, allgemeines Krankheitsgefühl: Je nach Stärke der Beschwerden kann und muss die ärztliche Differenzialdiagnose jedoch gegebenenfalls vorgezogen werden. Da großes Risikobewusstsein nicht nur bei alten Menschen, sondern insbesondere bei Säuglingen und Kindern angezeigt ist, kann hier die sofortige ärztliche Konsultation angezeigt sein (2).

Rehydratation ist das A und O

Die Mehrzahl akuter, meist bakteriell (Salmonellen, Escherichia coli et cetera) oder viral (Noro-, Rota-, Adenoviren et cetera) bedingter Diarrhöen ist von kurzen, maximal 14 Tage andauernden, milden Krankheitsverläufen mit per Definition mehr als drei ungeformten Stühlen pro Tag oder täglich mehr als 250g ungeformtem Stuhl geprägt (3).

Im Vordergrund steht bei der akuten Diarrhö die symptomatische Behandlung, deren Umfang vom klinischen Befund abhängt. Erste typische Therapiemaßnahme ist die Gewährleistung der ausreichenden oralen Flüssigkeits- und Elektrolytaufnahme. Weltweit kommt hier der oralen Rehydratation gemäß Standardrezeptur der Weltgesundheitsorganisation, also WHO-Lösung (moderne Zusammensetzung: 13,5 g Glucose, 2,9 g Natriumcitrat, 2,6 g Natriumchlorid plus 1,5 g Kaliumchlorid auf einen Liter Wasser) besondere Bedeutung zu. Diese hat eine lange Geschichte und wurde ursprünglich zur Behandlung der Cholera entwickelt. Mit vier Teelöffeln Zucker, einem dreiviertel Teelöffel Salz, einer Tasse Orangensaft und einem Liter Mineralwasser kann sie im Notfall auch provisorisch hergestellt werden (4).

Als sehr viel professioneller, da dosierungsgenauer gilt der Einsatz von Fertigpräparaten auf der Basis spezifischer Glucose-Elektrolyt-Lösungen. Aufgrund erhöhter Nachfrage, sprich der Tatsache, dass diese von Influencern gegen den Kater nach durchzechten Nächten empfohlen wurden und werden, ist auf dem deutschen Markt im Moment ein Lieferengpass zu verzeichnen. Als Alternative kann die Rezepturherstellung gemäß NRF-Vorschrift 6.5. dienen, unter der drei Glucose-Elektrolyt-Mischungen zu finden sind.

Die drei ORS-Mischungen (Oral Rehydration Salts) ORS 40, ORS 60 und New-ORS-WHO unterscheiden sich hauptsächlich in ihrem Gehalt an Natrium-Ionen (ORS 40: 0,85g Natriumchlorid, ORS 60: 1,75g Natriumchlorid, New-ORS-WHO: 2,6g Natriumchlorid) in der fertigen Lösung. Die Ziffer hinter der Abkürzung »ORS« gibt den Gehalt an Kationen in mmol/L an. Sollte auf der Verschreibung keine nähere Bezeichnung der Glucose-Elektrolyt-Mischung erfolgt sein, ist die Mischung New-ORS-WHO herzustellen.

Mit Blick auf die Wirkeffekte der oralen Rehydratation wird diskutiert, dass die Darmwand trotz Diarrhö weiter in der Lage ist, durch Stimulation eines spezifischen mukosagebundenen Transportsystems Glucose und Aminosäuren in einem Verhältnis von 1:2 zu resorbieren. Es kommt zu einer Verschiebung des osmotischen Gradienten, sodass Wasser aus dem Darmlumen in den Körper diffundiert. Der Hydratationsstatus wird verbessert, der Darminhalt eingedickt, der Durchfall vermindert.

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