Dünn, dünner, Diarrhö |
Jedes Jahr leiden in Deutschland etwa 65 Millionen Menschen unter den Folgen einer akuten Diarrhö. / Foto: Adobe Stock/Roman
Vor der Abgabe eines OTC-Präparates zur Selbstmedikation müssen im Beratungsgespräch anamnestisch das genaue Alter und das Allgemeinbefinden, sprich der Grad der körperlichen Schwäche und Dehydratation, sowie das Auftreten möglicher Komorbiditäten (Tumoren, Immunsuppression et cetera) oder Begleitbeschwerden wie Fieber, Krämpfe und Blut im Stuhl erkundet werden (1, 2).
Um Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten und -Intoxikationen, chronisch-entzündliche Darm- oder andere Grunderkrankungen, Nebenwirkungen spezifischer Arzneimittel (Antibiotika, SSRI et cetera) beziehungsweise eine Reisediarrhöe insbesondere nach Aufenthalt in (sub)tropischen Gebieten ausschließen zu können, müssen sehr genau die Lebensgewohnheiten hinterfragt werden.
Bei stabiler Lage und Minderung des Leidensdrucks des Patienten durch eine adäquate symptomorientierte Therapie kann zunächst abgewartet werden. Häufige Toilettenbesuche, erhöhte Temperaturen, Übelkeit, Erbrechen, allgemeines Krankheitsgefühl: Je nach Stärke der Beschwerden kann und muss die ärztliche Differenzialdiagnose jedoch gegebenenfalls vorgezogen werden. Da großes Risikobewusstsein nicht nur bei alten Menschen, sondern insbesondere bei Säuglingen und Kindern angezeigt ist, kann hier die sofortige ärztliche Konsultation angezeigt sein (2).
Die Mehrzahl akuter, meist bakteriell (Salmonellen, Escherichia coli et cetera) oder viral (Noro-, Rota-, Adenoviren et cetera) bedingter Diarrhöen ist von kurzen, maximal 14 Tage andauernden, milden Krankheitsverläufen mit per Definition mehr als drei ungeformten Stühlen pro Tag oder täglich mehr als 250g ungeformtem Stuhl geprägt (3).
Im Vordergrund steht bei der akuten Diarrhö die symptomatische Behandlung, deren Umfang vom klinischen Befund abhängt. Erste typische Therapiemaßnahme ist die Gewährleistung der ausreichenden oralen Flüssigkeits- und Elektrolytaufnahme. Weltweit kommt hier der oralen Rehydratation gemäß Standardrezeptur der Weltgesundheitsorganisation, also WHO-Lösung (moderne Zusammensetzung: 13,5 g Glucose, 2,9 g Natriumcitrat, 2,6 g Natriumchlorid plus 1,5 g Kaliumchlorid auf einen Liter Wasser) besondere Bedeutung zu. Diese hat eine lange Geschichte und wurde ursprünglich zur Behandlung der Cholera entwickelt. Mit vier Teelöffeln Zucker, einem dreiviertel Teelöffel Salz, einer Tasse Orangensaft und einem Liter Mineralwasser kann sie im Notfall auch provisorisch hergestellt werden (4).
Erste typische Therapiemaßnahme ist die ausreichende orale Rehydratation in Anlehnung an die Standardrezeptur der Weltgesundheitsorganisation. / Foto: Adobe Stock/ThamKC
Als sehr viel professioneller, da dosierungsgenauer gilt der Einsatz von Fertigpräparaten auf der Basis spezifischer Glucose-Elektrolyt-Lösungen. Aufgrund erhöhter Nachfrage, sprich der Tatsache, dass diese von Influencern gegen den Kater nach durchzechten Nächten empfohlen wurden und werden, ist auf dem deutschen Markt im Moment ein Lieferengpass zu verzeichnen. Als Alternative kann die Rezepturherstellung gemäß NRF-Vorschrift 6.5. dienen, unter der drei Glucose-Elektrolyt-Mischungen zu finden sind.
Die drei ORS-Mischungen (Oral Rehydration Salts) ORS 40, ORS 60 und New-ORS-WHO unterscheiden sich hauptsächlich in ihrem Gehalt an Natrium-Ionen (ORS 40: 0,85g Natriumchlorid, ORS 60: 1,75g Natriumchlorid, New-ORS-WHO: 2,6g Natriumchlorid) in der fertigen Lösung. Die Ziffer hinter der Abkürzung »ORS« gibt den Gehalt an Kationen in mmol/L an. Sollte auf der Verschreibung keine nähere Bezeichnung der Glucose-Elektrolyt-Mischung erfolgt sein, ist die Mischung New-ORS-WHO herzustellen.
Mit Blick auf die Wirkeffekte der oralen Rehydratation wird diskutiert, dass die Darmwand trotz Diarrhö weiter in der Lage ist, durch Stimulation eines spezifischen mukosagebundenen Transportsystems Glucose und Aminosäuren in einem Verhältnis von 1:2 zu resorbieren. Es kommt zu einer Verschiebung des osmotischen Gradienten, sodass Wasser aus dem Darmlumen in den Körper diffundiert. Der Hydratationsstatus wird verbessert, der Darminhalt eingedickt, der Durchfall vermindert.
In der symptomatischen Behandlung von akuten Durchfällen ist der synthetische Opioidrezeptoragonist Loperamid die Nummer 1 unter den Antidiarrhoika. Loperamid bindet an Opioidrezeptoren in der Darmwand und hemmt so die Freisetzung von Acetylcholin und Prostaglandinen. Durch die damit verbundene Minderung der propulsiven Peristaltik wird die Resorption von Wasser und Elektrolyten begünstigt, die Stuhlfrequenz verringert und die Stuhlkonsistenz erhöht. Zudem werden durch eine Steigerung des Analsphinktertonus Stuhlinkontinenz und Stuhldrang verringert (6).
Im Erwachsenenalter haben sich gemäß Fachinformationen der Hersteller zu Beginn der Behandlung 4mg Loperamidhydrochlorid und dann nach jedem ungeformten Stuhl 2mg bewährt. Die Tageshöchstdosis beträgt 12mg.
Für Kinder älter als acht Jahre werden bei akuten Durchfällen zu Beginn der Behandlung und nach jedem ungeformten Stuhl 2mg Loperamidhydrochlorid als geeignet genannt. Die tägliche Dosis von 8mg sollte nicht überschritten werden. Bei Kindern zwischen zwei und acht Jahren beträgt die empfohlene Dosierung 0,04mg Loperamidhydrochlorid pro kg Körpergewicht täglich. Bei Kindern unter zwei Jahren gilt Loperamid als kontraindiziert. Für die Selbstmedikation kommen nur Patienten ab zwölf Jahren infrage.
Stets ist bei der Abgabe von Loperamid auf die Möglichkeit von Wechselwirkungen mit Arzneistoffen wie Chinidin und Ritonavir, Itraconazol, Gemfibrozil oder Ketoconazol zu verweisen, die Einfluss auf das p-Glykoprotein beziehungsweise den p-Glykoprotein-Transporter haben. Bei gleichzeitiger Einnahme zum Beispiel von Verapamil, Doxepin oder Ketoconazol kann Loperamid verstärkt die Blut-Hirn-Schranke überwinden und zentralnervöse Wirkungen wie Übelkeit, Atemdepression und Euphorie auslösen.
Auch hohes Fieber und Darmerkrankungen wie Ileus oder ein (toxisches) Megakolon, also eine mit chronischer Verstopfung einhergehende Erweiterung des Dickdarms, zum Beispiel als Begleiterscheinung von Clostridioides-difficile-Infektionen, stellen Kontraindikationen für den Einsatz von Loperamid dar. Bei bakteriellen Darminfektionen unter anderem durch Salmonellen, Shigellen und Campylobacter wird Loperamid nicht uneingeschränkt empfohlen (7).
Falls in der Schwangerschaft aufgrund einer akuten Diarrhö eine medikamentöse Hemmung der Darmmotilität indiziert ist, kann kurzfristig Loperamid zum Einsatz kommen. / Foto: Adobe Stock/Pormezz
In der Schwangerschaft und Stillzeit macht eine akute Diarrhö gemäß des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Charité Universitätsmedizin Berlin (www.embryotox.de) nur selten eine Behandlung erforderlich, die über diätetische Maßnahmen hinausgeht. Falls tatsächlich eine medikamentöse Hemmung der Darmmotilität indiziert ist, kann Loperamid zum Einsatz kommen. Eine Langzeittherapie sollte während der Schwangerschaft vermieden werden (8).
Als sogenanntes Prodrug, das im Körper durch hydrolytische Spaltung zu Thiorphan umgewandelt wird, das wiederum als Enkephalinase-Hemmer in die Flüssigkeitsregulierung des Darms eingreift, ist Racecadotril als »Durchfallstopper« bekannt.
Enkephalinasen sind Enzyme, die als Neurotransmitter im Magen-Darm-Trakt wirkende Enkephalin-Opioidpeptide abbauen. Sie aktivieren Delta-Opioidrezeptoren mit der Konsequenz, dass der cAMP-Spiegel sinkt und die Sekretion von Wasser und Elektrolyten gemindert wird. Werden diese Enzyme gehemmt, bleibt der antisekretorische Effekt der Enkephaline in der Darmschleimhaut länger bestehen und der Stuhl dickt ein. Racecadotril ist mit 100mg pro Kapsel zur Selbstmedikation nur für Erwachsene erhältlich (9).
Gilt diese Dosierung für Säuglinge, Kinder und Jugendliche als zu hoch, so stehen für kleine und junge Patienten spezielle Formulierungen wie niedriger dosierte Granulate zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen oder auch spezielle Filmtabletten zur Verfügung. Sie können für Kinder ab drei Monaten verwendet werden, unterliegen aber zum Teil der Verschreibungspflicht. Für Kinder ab dem vollendeten 12. Lebensjahr und mindestens 27kg Körpergewicht wurde Racecadotril im März 2016 aus der Verschreibungspflicht entlassen. Allerdings gibt es bis heute kein Präparat zur Abgabe an die jungen Patienten ohne Rezept in der Apotheke.
Zwar haben tierexperimentelle Untersuchungen laut Hersteller keine Hinweise auf schädliche Auswirkungen auf Schwangerschaft, Fertilität, Entwicklung des Embryos, Geburt oder postnatale Entwicklung gezeigt. Da jedoch keine klinischen Studien verfügbar sind, sollte Racecadotril bei Schwangeren nicht angewendet werden. Informationen zum Übergang in die Muttermilch fehlen, der Hersteller rät vom Einsatz in der Stillzeit ab (10).
Zur Selbstmedikation einer akuten unspezifischen Diarrhö sind des Weiteren als Adsorbenzien medizinische Kohle und Heilerde beziehungsweise Präparate mit den Wirkstoffen Tanninalbuminat und Ethacridinlactat-Monohydrat oder auch – gerade für Kinder ab zwei Jahren – mit Pektin aus Äpfeln und Kamillenblüten-Extrakt zugelassen (11).
Hat medizinische Kohle adsorbierende Eigenschaften, so bindet sie verschiedene organische und anorganische Stoffe, Bakterien, Bakterientoxine und Gifte und führt diese über den Stuhl der Ausscheidung zu. Die Datenlage zur Anwendung in hohen Dosierungen als Antidot, zum Beispiel bei Intoxikationen mit Schwermetallen und zur Entgiftung bei diversen Intoxikationen (Opiate, Salicylate, Anticholinergika, Paracetamol, Acetylcystein etcetera), ist belegt. Darauf beruht die Aufnahme von medizinischer Kohle in das Notfalldepot einer jeden Apotheke (12).
Die Studienlage zum Einsatz medizinischer Kohle bei akuter Diarrhö bei Erwachsenen ist jedoch widersprüchlich und von mangelnder Qualität gekennzeichnet. Zur Behandlung der unspezifischen Diarrhö wird medizinische Kohle von der WHO nicht empfohlen, weil deren alleinige Anwendung die Dauer der Erkrankung nicht nennenswert reduziere und die Dehydrierung und den Elekrolytverlust nicht verhindere.
Gleiches gilt für Heilerde. Auch hier wird die Studienlage von Experten als mangelhaft umschrieben. So oder so: Vorsicht sei beim Einsatz von Adsorbenzien dennoch angesichts der Tatsache angebracht, dass von etwaigen Adsorptionseffekten auch Arzneistoffe wie Herzglykoside oder Antibiotika betroffen sind und es zu Interaktionen kommen könnte. Daher sollte stets ein zweistündiger Einnahmeabstand eingehalten werden.
Trinken, trinken, trinken, also Flüssigkeitszufuhr gegebenenfalls auch in Form von Kamillen-, Pfefferminz- oder Fencheltee ist Haupt-Parole. / Foto: Imago Images/Westend61
Bei leichten Formen von Durchfallerkrankungen setzen manche Patienten zudem auf Präparate auf der Basis traditioneller Heilpflanzen wie Uzarawurzel mit den Cardenolid-Glykosiden Uzarin und Xysmalorin, denen eine spasmolytische und motilitätshemmende Wirkung zugeschrieben wird, sowie auf gerbstoffhaltige und somit adstringierende Produkte und Teedrogen auf der Basis von Heidelbeer- und Brombeerblättern, teils ebenfalls in Kombination mit Ethacridinlactat.
Wenn die Studienlage auch hier widersprüchlich ist und gesicherte Wirksamkeitsnachweise nicht existieren: Es gilt die Devise »Wer heilt, hat recht«. Keinesfalls jedoch dürfen Uzarawurzel-haltige Präparate bei Senioren zum Einsatz kommen, die Chinidin, Digitalisglykoside, Glucocorticoide oder auch Calcium in Nahrungsergänzungsmitteln einnehmen.
Wie der rote Fingerhut enthalten auch Extrakte aus der Uzarawurzel der in Südafrika heimischen Staude Xysmalobium undulatum herzwirksame Glykoside, zum Beispiel Uzarigenindiglucosid. Bei paralleler Gabe kann es zu unerwünschten Wirkungen, unter anderem zu Übelkeit und Erbrechen, beziehungsweise zu einer Steigerung der herzwirksamen Arzneimittelwirkungen kommen.
Die Einnahme von Probiotika (Lactobacillus rhamnosus GG, Saccharomyces boulardii et cetera) bewirkt studiengemäß eine Verkürzung der Krankheitsdauer von etwa einem Tag und kann in Erwägung gezogen werden. Erschwert wird eine eindeutige Empfehlung durch die hohe Diversität der eingesetzten Bakterienstämme und die Inhomogenität der Studien. Trotz der geringen Evidenz empfiehlt die »European Society for Paediatric Gastroenterology Hepatology and Nutrition« in ihrer Leitlinie die Gabe von Lactobacillus rhamnosus GG und Saccharomyces boulardii (14).
Diätetische Maßnahmen wie die Zufuhr von leicht gesüßtem Kamillen-, Pfefferminz- oder Fencheltee sowie von leicht verdaulicher, fettarmer Nahrung oder von Salzgebäck, geriebenem Apfel oder Bananenbrei können hilfreich sein. Zur Flüssigkeitszufuhr sind stille Mineralwässer oder auch Leitungswasser geeignet.
Um eine Übertragung der auslösenden Keime auf andere Personen zu verhindern, sollten sich Patienten nach jedem Toilettengang die Hände ausgiebig mit Wasser und Seife waschen. Ebenfalls sollte, wenn möglich, das Handtuch zum Abtrocknen der Hände nur von einer Person genutzt werden. Zum Schutz von Angehörigen sollten in gemeinsamen Haushalten konsequent auch die Türklinken desinfiziert werden, um eine Verbreitung der krank machenden Keime zu verhindern.
Stichwort »Spezifische Arzneimittel als Auslöser einer akuten Diarrhö«: Mehr als 500 Wirkstoffe kommen hier infrage, wobei die Antibiotika-assoziierte Diarrhö (AAD) zu den häufigsten Arzneimittel-induzierten Durchfällen zählt. Allein der Einsatz von Breitspektrum-Antibiotika wie Ampicillin, Amoxicillin, Cefuroxim oder Clindamycin geht in etwa 5 bis 25Prozent der Fälle mit einer akuten Diarrhö einher, da diese die Zusammensetzung der Darmflora verändern und so die Verdauung einzelner Nahrungsbestandteile stören. Die verminderte mikrobielle Fermentation der Kohlenhydrate führt zu einer durch Veränderung der Osmose bedingten wässrigen Diarrhö.
Auch ist die Gefahr der Entstehung einer inflammatorischen Diarrhö und Enterocolitis gegeben. Zudem kann es zu einem übermäßigen Wachstum pathogener Keime wie Clostridioides difficile als Ursache für circa 20 Prozent aller Antibiotika-assoziierten Durchfallerkrankungen kommen (15).
Klagt der Patient über Bauchkrämpfe und Durchfälle mit schleimig grünlich-wässrigem, übelriechendem Inhalt, so ist er umgehend an den Arzt zu verweisen, da sich ein toxisches Megakolon mit nicht selten letalem Verlauf entwickeln kann. Gegebenenfalls muss der Arzt einen Wechsel oder ein Pausieren der ursprünglich angesetzten Antibiotika erwägen. Zur Elimination des Keims Clostridioides difficile ist zumeist die adäquate Antibiose unter ärztlicher Aufsicht in der Klink erforderlich.
Dringender Handlungsbedarf besteht auch bei einer Chemotherapie-induzierten Diarrhö (CID), zum Beispiel infolge der Gabe klassischer (5-Fluorouracil et cetera) oder auch sogenannter gezielter Zytostatika (Tyrosinkinase-Inhibitoren et cetera). Erweist sich Loperamid auch in deutlich höheren Dosierungen als unzulänglich, kann die gleichzeitige Applikation von Octreotid sinnvoll sein.
Als kurzwirksames Somatostatin-Analogon verringert Octreotid die intestinale Mobilität und den Wasser- und Elektrolyttransport. Zugelassen ist der Wirkstoff zur symptomatischen Behandlung von Diarrhöen bei endokrin aktiven Tumoren, nicht jedoch zur Therapie der Chemotherapie-
induzierten Diarrhö. Hier kommt er off label zum Einsatz. Oftmals ist die intravenöse Rehydratation im Rahmen eines stationären Aufenthaltes unumgänglich (16).
Auch selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) und hier vor allem Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Paroxetin und Sertralin sowie zudem Lithium oder Carbamazepin führen sehr häufig zu einer akuten Diarrhö. Selbst in der Phase der Aufdosierung: Patienten, die schwere Durchfälle entwickeln, sollten die SSRI-Therapie keinesfalls selbstständig absetzen. Vielmehr muss neben der symptomorientierten Behandlung mit Loperamid und Elektrolytlösungen umgehend der behandelnde Arzt hinzugezogen werden, der eine entsprechende Umstellung oder Anpassung der SSRI-Therapie erwägen wird.
Zu anhaltendem Durchfall kann durch serotonerge Effekte und somit Malabsorptionen auch die Gabe von Metformin bei Diabetes mellitus Typ 2 und Übergewicht führen, von der 10 bis 53 Prozent der Patienten betroffen sind. Um einer Diarrhö vorzubeugen, sollte Metformin zunächst niedrig dosiert (500mg bis 850mg) zwei- bis dreimal pro Tag eingenommen werden. Eine Dosissteigerung sollte frühestens nach sieben bis zehn Tagen erfolgen. Ebenfalls verbessert dieEinnahme der Tabletten zu einer Mahlzeit die gastrointestinale Verträglichkeit.
Zu Durchfällen kann es insbesondere bei der Umstellung von einem Metformin-Präparat auf ein anderes (Generikum) aufgrund gegebenenfalls höherer Resorptionsraten des Wirkstoffs kommen. Eine rein symptomatisch ausgerichtete antidiarrhoische Therapie ist wenig zielführend. Ein Wechsel zum ursprünglich verordneten Präparat sichert die Adhärenz in der Metformin-Therapie und behebt meist die unerwünschten Effekte (16).
Last but not least ist zu bedenken, dass auch ein übermäßiger Gebrauch von Laxanzien oder Magnesium-Präparaten Ursache für einen unspezifischen Durchfall sein kann. Auch hier gilt es, Betroffene, die dem Irrglauben »viel hilft viel« unterliegen, entsprechend zu informieren und aufzuklären und für das richtige Maß zu sensibilisieren.
Es wurde bereits gesagt, soll jedoch noch einmal betont werden: Alter und Kindheit sind (Risiko-)Faktoren, die im Fall einer akuten Diarrhö besonderes Risikobewusstsein erfordern.
Treten bei Senioren wässrige Stühle mehr als dreimal täglich auf, ist die Gefahr der Dehydratation höher als bei jüngeren Betroffenen, nicht zuletzt, da durch das geringere Durstempfinden im Alter das Flüssigkeitsdefizit nicht so schnell ausgeglichen wird. Trockene Lippen und Schluckbeschwerden sind potenzielle Anzeichen für einen Flüssigkeitsmangel (17).
Zwar kommt der ausreichenden Flüssigkeitszufuhr auch in Form der WHO-Lösung bei akuter Diarrhö gerade im Alter große Bedeutung zu. Bei der Gabe oraler Dehydratationslösungen muss jedoch berücksichtigt werden, dass in hohen Lebensjahren immer auch eine eingeschränkte Nierenfunktion, Herzschwäche oder Hypertonie vorliegen können. Die Begleitung durch den behandelnden Arzt kann unumgänglich werden.
Gilt trotz des hohen Hygienestandards die infektiöse Gastroenteritis selbst in Deutschland als eines der häufigsten Krankheitsbilder bei Kindern, so sind Säuglinge und Kleinkinder am stärksten betroffen. Nicht zufällig wird dieser Thematik durch zahlreiche Leitlinien, unter anderem die »S2k-Leitlinie Akute infektiöse Gastroenteritis im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter« der Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE) Rechnung getragen (18).
Die häufigsten Verursacher sind das Norovirus (Inzidenz 595/100.000) und das Rotavirus (300/100.000), aber auch Campylobacter- und Salmonelleninfektionen (122 bzw. 69/100.000) sind zu finden. Nach einer Inkubationszeit von etwa drei bis vier Tagen kommt es zu Symptomen wie allgemeinem Krankheitsgefühl und Durchfall, zum Teil verbunden mit Übelkeit und Erbrechen.
Geplagt sind die Kinder von verminderter Stuhlkonsistenz sowie erhöhter Stuhlfrequenz. Dehydratation und Hypovolämie sowie Störungen des Säure-Basen- und Elektrolythaushaltes als Hauptkomplikationen sind bei ihnen von besonderer Tragweite. Kinder unter sieben Monaten oder Säuglinge mit einem Gewicht von unter 8kg sind besonders dehydratationsgefährdet.
Die Symptome können von leicht trockenen bukkalen Schleimhäuten, vermehrtem Durst und leicht verminderter Urinmenge (Schweregrad schwach) über Tachykardie, geringe bis gar keine Urinausscheidung, eingesunkene Augen und Hautturgorverlust (mittelschwer) bis hin zu fadenförmigem Puls, Mangel an Tränenflüssigkeit, Zyanose, schneller Atmung, Hypotonie, fleckiger Haut, Koma und verzögerter Rekapillarisierungszeit (schwer) reichen. Sind Kinder in den ersten zwei Lebensmonaten von einem infektiösen Durchfallgeschehen betroffen, so wird von Pädiatern die stationäre Aufnahme von vornherein empfohlen.
Bei akuter Diarrhö im Kindesalter ist die Kenntnis der Grenzen der Selbstmedikation gemäß Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin besonders relevant. Alarmzeichen sind hohes Fieber über 39,5 Grad Celsius, ein auffälliges Verhalten verbunden mit Gereiztheit, schrillem Schreien oder Trinkschwäche sowie zahlreiche und große Mengen wässriger Stühle, sprich mehr als acht oder zehn Stühle pro Tag. Ein Arzt muss unbedingt auch konsultiert werden, wenn das Kind trotz Anzeichen einer Austrocknung das Trinken verweigert, Blut im Stuhl zeigt und sich der Allgemeinzustand verschlechtert.
Im Gegensatz zur akuten Diarrhö kommen bei chronischen Diarrhöen zahlreiche weitere Ursachen in Betracht, die differenzialdiagnostisch und therapeutisch oft als große Herausforderung gelten. Diese Ursachen reichen von Darminfektionen durch Yersinien, Campylobacter-Enteritis, Giardia lamblia, Entamoeba histolytica, Cyclospora und Nematoden über Malassimilationssyndrome durch Maldigestion, zum Beispiel bei chronischer Pankreatitis, Gallensäureverlustsyndromen oder Mukoviszidose, bis hin zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, Nahrungsmittelintoleranzen, Karzinomen, Hyperthyreose oder Reizdarm-Syndromen.
Dringender Handlungsbedarf besteht nicht nur bei der Antibiotika-assoziierten, sondern auch bei der Chemotherapie-induzierten Diarrhö. / Foto: Adobe Stock/Pixel-Shot
Es können nicht nur mikroskopische Stuhluntersuchungen beziehungsweise eine orientierende Labordiagnostik mit Elektrolyt-, Leber- und Entzündungswerten bei ergänzender Suche nach Ferritin-, Vitamin-B12-, Folsäure- oder 25-OH-Vitamin-D-Mangelerscheinungen angezeigt sein. Grundsätzlich sind zumeist auch eine Koloskopie sowie spezifische bildgebende Verfahren indiziert (19).
Besonderes ärztliches Fachwissen erfordert auch die paradoxe Diarrhö, also Stuhlinkontinenz mit Koprostase, das heißt Stauung von Kot im Dickdarm bei gleichzeitig wässrigem Stuhl durch Schleimsekretion, die den sich anstauenden Stuhl verflüssigt, sodass dieser soeben passieren kann.
Wesentlicher Baustein der konservativen Behandlung nach Ausschluss von Verengungen durch kolorektale Karzinome ist neben der Loperamidgabe die medikamentöse Therapie mit Macrogol 3350 als Polyethylenglykol, das Wasser bindet und den Stuhl weicher macht. Bewährt haben sich zudem Entleerungshilfen wie Einläufe oder Klysmen, Natriumhydrogencarbonat- oder Glycerin-haltige Suppositorien, Ernährungsberatung und Verhaltensschulung.
Daniel Finke ist Fachapotheker für Allgemeinpharmazie sowie AMTS-Manager. Neben seiner Tätigkeit in der öffentlichen Apotheke arbeitet er seit 2015 als Referent für zahlreiche Apothekerkammern, Verbände und Pflegeeinrichtungen, wobei im Fokus seiner Vorträge insbesondere praxisrelevante Themen und Krankheitsbilder stehen, die der Selbstmedikation zugänglich sind. Zudem betreut er Pharmazeuten im Praktikum in Arbeitszirkeln der Apothekerkammer Westfalen-Lippe.