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Digitalisierung und Ethik

»Das Wichtigste ist Vertrauen«

Im Internet finden Menschen eine Fülle von Gesundheitsinformationen. Eines kann das Web aber nicht: Vertrauen schaffen. Wie Heilberufler diesen Trumpf geschickt ausspielen, erläuterte Professor Peter Dabrock vom Deutschen Ethikrat beim Wirtschaftsforum des Deutschen Apothekerverbands (DAV).
Christina Müller
09.05.2019  18:56 Uhr

»Die Heilberufler-Patienten-Beziehung ist das Herzstück der Gesundheitsversorgung«, betonte der Vorsitzende des Ethikrats am Donnerstag in Berlin. »Das Wichtigste ist Vertrauen.« Dabrock appellierte an die Apotheker, sich selbst nicht als Wissensvermittler zu betrachten, sondern die eigene Rolle neu zu definieren. Inzwischen könne sich jeder Mensch zu jedem Thema im Internet belesen. Damit gerate auch das Wissensmonopol der Heilberufler ins Wanken. »Die Einteilung in Experten und Laien ist oft gar nicht mehr so einfach«, sagte Dabrock. Vor allem chronisch Kranke seien häufig bestens über ihre Leiden und möglichen Therapieoptionen informiert.

Den Pharmazeuten riet er, diesen Wandel in das eigene Expertenverständnis zu integrieren. Die Lösung sei jedoch nicht, den Patienten auf Augenhöhe zu begegnen. Stattdessen warb er dafür, ihnen beratend zur Seite zu stehen. »Der Patient hat das letzte Wort«, so Dabrock. Der Heilberufler müsse ihn befähigen, eine kompetente Entscheidung zu treffen. »Das ist es, was Vertrauen schafft.«

Die vierte Revolution

Die Digitalisierung nannte der Theologe »das zentrale Thema für das 21. Jahrhundert«. Er verwies auf den italienischen Philosophen Luciano Floridi, der sie als vierte Revolution bezeichnet hatte. Mit Kopernikus und Galilei ging zunächst der Glaube verloren, die Erde und ihre Bewohner seien der Mittelpunkt des Universums. Darwin konnte zeigen, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung ist. Und Freud habe ihn der Gewissheit beraubt, Herr im eigenen Haus zu sein. Die Entwicklung künstlicher Intelligenzen kratze nun ebenfalls am Überlegenheitsgefühl des Menschen. Viele fürchteten, zu Marionetten von Plattformen, Ökonomie und Kapitalismus zu werden.

Blindes Vertrauen in trainierte Maschinen ist aus Dabrocks Sicht auch nicht angebracht. Ein Punkt findet seiner Meinung nach bisher zu wenig Beachtung: Künstliche Intelligenzen können lediglich Muster erkennen. Wenn sie also etwa Prognosen stellen, beruhen diese auf Korrelation und nicht auf Kausalität. »Das ist wissenschaftlich natürlich sehr fragwürdig, birgt aber ein gewisses Potenzial für Alltagsprozesse.«

Digitale Freunde

Dabrock berichtete von einem Facebook-Algorithmus, der anhand von Likes und Posts ermittele, ob der Nutzer suizidgefährdet ist und ihn gegebenenfalls auf Hilfsangebote aufmerksam macht. Er wies gleichzeitig auf die Schattenseiten solcher Programme hin. »Es kann sein, dass einzelne Betroffene dadurch erst zu etwas stimuliert werden.« Andererseits sei es möglicherweise an der Zeit, die eigenen Vorbehalte zu hinterfragen. »Vielleicht müssen wir in unserer durch und durch vernetzten Welt akzeptieren, dass auch ein digitaler Freund ein Freund sein kann.«

Dass der Mensch Herr über seine Daten bleiben muss, ist nicht nur im Gesundheitswesen inzwischen zu einer deutlich überstrapazierten Phrase verkommen. An Konzepten, wie das gelingen kann, mangelt es jedoch zumeist. Den Chancen, die große Datenmengen vor allem in der Medizin mit sich bringen, stehen dann häufig strenge Datenschutzbestimmungen im Weg. »Big Data hat ein ungeheures Potenzial, das wir uns in Deutschland oft verbauen, weil wir Vernetzung nicht zulassen«, sagte Dabrock. Es gelte, dieses Potenzial zu heben und gleichzeitig die Menschenwürde zu wahren, die er etwa durch den erwähnten Facebook-Algorithmus tangiert sieht.

Daten-Agenten statt AGB

Um die Datensouveränität des Einzelnen zu sichern, hat der Chef des Ethikrats einen Vorschlag: Statt ständig gezwungen zu sein, Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu akzeptieren, die ohnehin niemand lesen würde, wünscht er sich einen sogenannten Daten-Agenten. Mithilfe dieser Anwendung könne jeder in Echtzeit auf seinem Smartphone nachvollziehen, was mit den eigenen Daten geschieht und einschreiten, falls er seine persönlichen Informationen für einen spezifischen Zweck nicht zur Verfügung stellen möchte. »Technisch ist das absolut machbar«, so Dabrock.

Derzeit sei das Häkchen unter den AGB noch alternativlos. »Entweder Sie stimmen allem zu, oder Sie können nicht teilnehmen.« Das will der Theologe ändern: Er plädiert für eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema. Nach seiner Idee sollte jeder seinen Daten-Agenten so einstellen können, dass dieser die Weitergabe der Daten des Nutzers – je nach Präferenz – automatisch blockiert oder zulässt. Nur im Zweifelsfall müsse der Mensch selbst entscheiden. Der Sinn sei es, die nötigen Aktionen für den Anwender auf ein Maß zu beschränken, das dieser noch gut bewältigen könne. In diesem Konzept sieht Dabrock die Chance, zum Beispiel im medizinischen Bereich große Datenmengen zu generieren, die etwa in der Krebsforschung von enormem Wert wären, ohne dabei dem Einzelnen seine informelle Freiheit zu entziehen.

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