Da kommt noch was |
Daniela Hüttemann |
30.11.2020 18:00 Uhr |
Zu Beginn der hochaktiven antiretroviralen Therapie hatten die Patienten sprichwörtlich eine gute Hand voll Tabletten täglich zu schlucken. Neben neuen Wirkstoffen wird weiter an besserer Verträglichkeit und Depotpräparaten geforscht. / Foto: Adobe Stock/Maksim G
Zwischen 1991 und 2020 haben Pharmaunternehmen im Schnitt pro Jahr einen neuen antiretroviralen Wirkstoff auf den Markt gebracht. Während bis Mitte der 2000er-Jahre vor allem daran gearbeitet wurde, die Virusreplikation wirksam zu verhindern, legte die Forschung bei weiteren Neuentwicklungen verstärkt den Blick auf geringe Nebenwirkungen und einfache Anwendbarkeit. Jüngstes Beispiel ist der Integrase-Hemmer Cabotegravir (Vocabria®), der nur alle zwei Monate gespritzt werden muss und für den die Zulassung in der EU bald erwartet wird.
Nach Angaben des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) stehen mittlerweile 33 verschiedene Arzneistoffe zur Therapie und Prävention einer Infektion mit dem Humanen Immundefizienzvirus (HIV) zur Verfügung. Sie basieren auf sieben grundsätzlichen Wirkmechanismen und sind einzeln oder in Kombination in mehr als 35 Originalpräparaten und vielen Generika enthalten. Mit verschiedenen Kombinationen lässt sich die Infektion in der Regel gut unter Kontrolle halten und ein Ausbruch der Immunschwäche-Krankheit Aids vermeiden. Auch gibt es bekanntlich mittlerweile die Möglichkeit, sich durch die tägliche vorbeugende Einnahme bestimmter Präparate vor einer Infektion zu schützen (Präexpositions-Prophylaxe, PrEP).
Warum wird trotzdem weiter geforscht? »Neue Medikamente gegen HIV stehen weiterhin hoch auf der Agenda forschender Pharmaunternehmen«, versichert vfa-Präsident Han Steutel. »Sie sollen Menschen noch besser vor Ansteckung schützen und die Behandlung von Infizierten sicherstellen, bei denen die Viren gegen ältere Mittel resistent geworden sind. Und eines Tages sollen Arzneimittel die Krankheit heilbar machen.« HIV-Infektionen gehörten in den kommenden Jahren zu den Top-Ten-Krankheiten, auf die sich die Pharmaindustrie konzentrieren wolle. Dies habe eine Erhebung des vfa gezeigt. Neben neuen Wirkstoffen werde auch weiterhin an Impfstoffen geforscht.
Als vielversprechend bezeichnet der Verband die Entwicklung von künstlich hergestellten breit neutralisierenden Antikörpern (bNAb). Sie sollen unterschiedliche HIV-Varianten ausschalten und zur Therapie und Prävention zum Einsatz kommen. »Andere Antikörper verhindern das Eindringen des Virus in Immunzellen, indem sie wichtige Eintrittspforten blockieren, also Rezeptoren wie CCR5 oder CD4«, informiert der vfa auf seiner Website. Die klinischen Prüfungen einiger solcher Antikörper seien bereits weit fortgeschritten. Zudem werde weiter an therapeutischen Impfstoffen gearbeitet. Diese sollten das Immunsystem bereits infizierter Menschen so stimulieren, dass es die Viren selbst in Schach halten kann.
Auch die Entwicklung präventiver Schutzimpfungen, die eine Infektion verhindern sollen, habe man trotz aller Rückschläge der vergangenen Jahrzehnte noch nicht aufgegeben. Ein Ansatz sind dabei sogenannte Mosaik-Impfstoffe, die eine Vielzahl unterschiedlicher HIV-Gensequenzen enthalten, um vor den verschiedenen HIV-Typen zu schützen. Auch wird geprüft, ob die PrEP-Pillen ausreichend schützen, wenn sie nur bei Bedarf und nicht durchgehend eingenommen werden.
Nicht zuletzt besteht immer noch Hoffnung, das Virus doch noch aus dem Körper zu bekommen und so eine echte Heilung zu erreichen. »Einige Gentherapie-Studien setzen am CCR5-Rezeptor an«, informiert der vfa. »Dabei wird in bestimmten Zellen das Gen für diesen Rezeptor so verändert, dass HIV ausgesperrt bleibt. Erste Versuche mit Menschen laufen.«
Zudem gebe es noch den »Kick-and-Kill«-Ansatz. Dabei kommen sogenannte Latency Reversing Agents (LRA) zum Einsatz. Diese Wirkstoffe sollen die HI-Viren aus ihren Verstecken im Körper herauslocken, sodass sie mit einer antiretroviralen Standardtherapie eliminiert werden können. Hier laufen noch keine klinischen Prüfungen.