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Plausibilitätsprüfung

Lipide in wässrig-alkoholischer Lösung

11.12.2012  16:08 Uhr

Von Thomas Hanke und Holger Reimann / Lipidzusätze zu Haut­spiritus-Rezepturen können das Apothekenpersonal bei dermatologischen Ad-hoc-Verschreibungen in Verlegenheit bringen. Denn es ist kaum vorherzusagen, ob die lipophile Komponente mit dem Alkohol-Wasser-Gemisch ein einphasiges System ausbildet. Andernfalls kommt es bei solchen tensidfreien Emulsionen rasch zu Aufrahmung oder Sedimentation und Phasentrennung. Die erforderlichen Schätzungen zur Plausibilität sollten sich an Experimentaldaten orientieren.

Kurzkettige Alkohole, wie Ethanol und 2-Propanol, werden in Rezepturarzneimitteln hauptsächlich als polare, nicht okklusiv wirkende Arzneiträger verwendet. Daneben spielen sie als Kosolventien zur Lösung unpolaren Substanzen, als Penetrationsförderer und als Desinfektionsmittel eine Rolle. 2-Propanol hat die bessere Desinfektionswirkung und das höhere Lösevermögen. Als Nachteil beider Alkohole gilt gemäß klinischem Erfahrungswissen, dass sie bei wiederholter Anwendung auf der Haut stark austrocknend und entfettend wirken. Zwar lässt sich bei einmaliger Anwendung experimentell Dehydratation der Haut nachweisen, aber, gemessen am transepidermalen Wasserverlust, weder eine Störung der Barrierefunktion noch Irritationen. Jedoch werden mit dem Anspruch, diese unerwünschten Wirkungen zu kompensieren, häufig flüssige Lipide mit »rückfettenden« Eigenschaften rezeptiert.

 

Was sind Lipide?

 

Lipide ist der unscharf definierte Begriff für Stoffe meist biologischen Ursprungs, die in unpolaren Lösemitteln löslich beziehungsweise in Wasser im Allgemeinen unlöslich sind. Amphiphile Lipide können jedoch Kolloide, Mizellen oder flüssig-kristalline Phasen bilden. Zu den zum Teil auch synthetisch hergestellten, pharmazeutisch verwendeten »einfachen Lipiden« gehören die Kohlenwasserstoffe (zum Beispiel die verzweigtkettigen Verbindungen des Dickflüssigen Paraffins), Fettalkohole (zum Beispiel das verzweigtkettige Octyldodecanol), Ether, Carbonsäuren, Amide sowie Ester mit den Gruppen der flüssigen Wachse (zum Beispiel Isopropylmyristat, Isopropylpalmitat), der Diester (zum Beispiel Propylenglycoldicaprylocaprat) und die Triacylglycerol-Verbindungen (zum Beispiel Mittelkettige Triglyceride sowie Natives Olivenöl, Raffiniertes Rizinusöl und andere pflanzliche fette Öle). Die komplexen Lipide sind »Organfette« mit mehr als zwei Hydrolyseprodukten, wie Lipoproteine, Lipopolysaccharide, Glykolipide und Phospholipide. Flüssige Lipide werden selbst als Träger für lipophile Wirkstoffe in Hautölen für einphasige Dermatika verwendet. Isopropylmyristat und Isopropylpalmitat erhöhen die Spreitung auf der Haut, Isopropylmyristat und Oleylalkohol auch die Wirkstoffpenetration durch Beeinflussung des Stratum corneum. Vor allem flüssige Paraffine sind häufig die Lipidphase in Hautemulsionen, Salben und Cremes mit beabsichtigter Okklusivwirkung und können wie andere Lipide auch zur Hautreinigung von Dermatikaresten verwendet werden.

 

Experimentaldatenbasis

 

Wird zu definierten binären Ethanol-Wasser- beziehungsweise 2-Propanol- Wasser-Gemischen bei Raumtemperatur das betreffende Lipid in Anteilen bis zur stabilen Trübung hinzugefügt, lässt sich die Mischungsfähigkeit zu ternären Systemen prüfen. Im niedrigen Lipid-Konzentrationsbereich ist die Trübung häufig nicht eindeutig festzustellen. Dann eignet sich als Kriterium für »Nicht-Mischbarkeit« dass kleine Lipidtröpfchen in der klaren kontinuierlichen Phase auftreten. Die »Grenzrezeptur«, bei der gerade noch eine klare Flüssigkeit entsteht, charakterisiert eine spezifische Konzentration des Lipids.

 

Abbildungen 1 und 2 zeigen den prozentualen Lipidanteil, den ein Alkohol-Wasser-Gemisch aufnehmen kann. Diese Darstellung erlaubt den schnellen Überblick, welche Lipidmenge sich in vorgegebene Trägerflüssigkeiten einarbeiten lassen. Natives Olivenöl und dickflüssiges Paraffin mischen sich selbst in kleinsten Mengen nicht mit Ethanol 90 % (V/V) beziehungsweise mit 2-Propanol 90 % (V/V).

Für die Interpolation eignet sich die grafische Auswertung als Kurvendiagramm (Abbildungen 3 und 4): die Alkoholkonzentration in Volumenprozent der aufnehmenden binären Mischung aufgetragen über der prozentualen Lipidkonzentration. Wie an Octyldodecanol veranschaulicht, ergibt sich jeweils eine Kurve, die dem Graphen einer Potenzfunktion der Form y = a xr ähnelt mit positivem a und dem Exponenten r zwischen den Werten Null und Eins. Bei Bedarf lassen sich mithilfe der Ethanol- beziehungsweise 2-Propanol-Tabellen in Arzneibuch und DAC leicht die massebezogenen prozentualen Alkoholkonzentrationen ableiten. Zum Bezug auf die volumenbezogene Lipidkonzentration sind weitergehende Umrechnungen mithilfe der Flüssigkeitsdichten notwendig.

 

Anwendung im Rezepturbetrieb

 

Nicht immer sind lipidhaltige Rezepturen standardisiert, wie die NRF- Vorschriften 11.45. »Fettender Salicylsäure-Hautspiritus 1 % bis 5 %« oder 11.121. »Minoxidil-Haarspiritus 2 % / 5 %«. Bei Ad-hoc-Rezepturverordnungen muss die Praktikabilität abgeschätzt werden. Normalerweise können die Auswirkungen der im einstelligen Prozentbereich enthaltenen Wirkstoffe auf die Mischbarkeit mit Lipiden vernachlässigt werden. Höhere Wirkstoffkonzentrationen (Salicylsäure) können sogar die Mischbarkeit fördern. Selbstverständlich müssen bei Lösungen zur Auftragung auf die Haut neben den Lipiden auch die Wirkstoffe gelöst vorliegen. Aller Erfahrung nach steigen sowohl die Mischbarkeit mit Lipiden als auch die Wirkstofflöslichkeit stetig mit der Alkoholkonzentration bis zum Maximum. Die Wirkstofflöslichkeit kann dabei, wie im Falle des Minoxidil, bei geringem Wasseranteil höher sein als im unverschnittenen Alkohol.

Mit Ethanol 96 % beziehungsweise unverschnittenem Isopropylalkohol als Träger lassen sich größere Lipidmengen verarbeiten. Dies wurde aber im Rahmen der Untersuchung nicht quantifiziert. Denn für die Behandlung ist der hohe Alkoholanteil häufig per se unerwünscht und nur ein notwendiges Übel zur Lösung des Wirkstoffs. Der völlige Verzicht auf Wasser ist galenisch meist zielführend, liegt aber deshalb selten im Interesse der Behandlung. Jedenfalls kann es sehr wohl dem therapeutischen Konzept besser entsprechen, den eigentlich rezeptierten Lipidanteil zu reduzieren, um den erforderlichen Alkoholanteil niedrig zu halten.

Im Falle einer bloßen Trübung kann die Abgabe vertretbar sein. Dies ist im Einzelfall zu beurteilen.

 

Praxisbeispiele

 

Dem Beispiel 1 der Verordnung im Kasten ist unter Vernachlässigung des Wirkstoffs ein verordneter zehnprozentiger Anteil Octyldodecanol zu entnehmen. Der Träger ist Ethanol 70 % (V/V), auch bekannt als »Spiritus dilutus«. Abbildung 3 lässt erkennen, dass man hier jedoch noch unterhalb der durch die Octyldodecanol-Kurve markierten Grenze im Bereich separierter Phasen liegt. Zur Mischung wird eine Ethanolkonzentration wenig über 85 % (V/V) benötigt. Auf der sicheren Seite ist man mit dem rezepturüblichen »Spiritus«, Ethanol 90 % (V/V), gemäß Vorschlag 1. Soll die Ethanolkonzentration nicht erhöht werden, so dürfen gemäß Vorschlag 2 nur 0,2 g Octyldodecanol zugesetzt werden. Im Prinzip zum gleichen Ergebnis kommt man beim Vergleich der Octyldodecanol-Mengen, die sich gemäß Wertetabelle oder Säulendiagramm in Abbildung 1 in unterschiedlich konzentrierte Ethanol-Wasser-Gemische einarbeiten lassen.

Im Beispiel 2 bleiben die Wirkstoffe ungelöst, und der verordnete zehnprozentige Anteil Octyldodecanol mischt sich nicht mit Ethanol 70 % (V/V). Bei Verwendung des 2-Propanol 70 % (V/V) lösen sich zwar die Wirkstoffe, das Octyldodecanol trübt jedoch die Lösung und schwimmt auf. Klare Lösungen werden jeweils bei Verwendung des Ethanol 90 % (V/V) oder des 2-Propanol 80 % (V/V) erhalten. Im Beispiel 3 ist die hohe Clobetasolpropionat-Konzentration kritisch zu hinterfragen. Auch hier ist die Isopropylalkoholkonzentration zu niedrig. Zur Mischung mit dem Rizinusöl sind 2-Propanol 80 % (V/V) oder Ethanol 90 % (V/V) als Träger geeignet. /

Verordnungen in der Apothekenpraxis*

*Beispiele aus der NRF-Rezeptur-Informationsstelle g
Beispiel 1: »Abscheidung
einer öligen Schicht«| | |
|Verordnung |Vorschlag 1 |Vorschlag 2
Alfatradiol|0,04 g|0,04 g|0,04 g
Octyldodecanol|20,00 g|20,00 g|0,20 g
Ethanol 70 % (V/V)|zu 200,00 g|–|zu 200,00 g
Ethanol 90 % (V/V)|–|zu 200,00 g|–
Beispiel 2: »Trüb von
ungelösten Wirkstoffen und Lipid«| | |
|Verordnung |Vorschlag 1 |Vorschlag 2
Salicylsäure|2,50 g|2,50 g|2,50 g
Mometasonfuroat|0,05 g|0,05 g|0,05 g
Octyldodecanol|5,00 g|5,00 g|5,00 g
Ethanol 70 % (V/V)|zu 50,00 g|–|–
Ethanol 90 % (V/V)|–|zu 50,00 g|–
2-Propanol 80 % (V/V)|–|–|zu 50,00 g
Beispiel 3: »Rizinusöl löst
sich nicht.«| | |
|Verordnung|Vorschlag 1|Vorschlag 2
Clobetasolpropionat|0,1 g|0,1 g|0,1 g
Salicylsäure|3,0 g|3,0 g|3,0 g
Rizinusöl|2,0 g|2,0 g|0,2 g
2-Propanol 40 % (V/V)|zu 100,0 g|– |–
2-Propanol 80 % (V/V)|–|100,0 g |–
Ethanol 90 % (V/V)|–|–|zu 100,0 g

Die Untersuchungen wurden von Thomas Hanke im Rahmen des Pharmaziepraktikums im Pharmazeutischen Laboratorium des NRF ausgeführt. Zu Wertetabellen siehe www.dac-nrf.de, Rubriken: NRF > Aktuelles.

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