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Multitarget-Liganden

Rationales Wirkstoff-Design

21.11.2017  15:11 Uhr

Von Eugen Proschak, Frankfurt am Main / Komplexe Erkrankungen wie das Metabolische Syndrom erfordern eine Polymedikation. Forscher arbeiten daher mit Blick auf Adhärenz und Interaktions­potenzial an der Entwicklung von Multi­target-Wirkstoffen. Dabei handelt es sich um Arzneistoffe, die zugleich an mehreren Ziel­strukturen angreifen.

Die moderne Foschung auf der Suche nach neuen Wirkstoffen war jahrzehnte­lang von dem Paradigma »Ein Wirkstoff – ein Target – eine Krankheit« geprägt. Die Realität ist jedoch von der Ideal­vorstellung, dass ein Wirkstoff nur ein Zielprotein adressiert, weit entfernt. Die meisten Wirkstoffe interagieren mit mehreren Zielproteinen, was in vielen Fällen zu Nebenwirkungen, aber auch zur Effizienzsteigerung führen kann. Im letzteren Fall spricht man von Multi­target-Wirkstoffen.

Das Ziel der Forschung im Arbeitskreis (AK) von Professor Dr. Eugen ­Proschak, Goethe-Universität Frankfurt am Main, ist es, Multitarget-Wirkstoffe rational zu designen. Dazu ­bedarf es der Entwicklung neuartiger Methoden, denn die bisherigen Ansätze verbinden die Pharmakophore der Targets durch einen flexiblen Linker, was zwar zu potenten, aber auch pharmakokinetisch unvorteilhaften Verbindungen führt. Daher fokussiert sich der AK Proschak auf die Identifizierung kleiner niedermolekularer Fragmente (MW < 250 Da), die in der Lage sind, an mehrere Targets von Interesse zu binden. Dazu werden maschinelle Lernverfahren genutzt. Es handelt es sich um ­Algorithmen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz, die zur Muster­erkennung genutzt werden. Im Fall der molekularen Fragmente handelt es sich bei den Mustern um die Anordnung der funktionellen Gruppen, die für die Bindung an die einzelnen Targets wichtig sind. Die identifizierten Fragmente werden dann in biophysikalischen Verfahren wie Kernspinresonanzspektro­skopie oder isothermer Titrationskalorimetrie getestet und sukzessive synthetisch vergrößert, um die ­Bindung an mehrere Targets zu optimieren.

 

Dualer Modulator gegen Metabolisches Syndrom

 

Wirkstoffdesign ist ein interdisziplinäres Arbeitsgebiet. Entsprechend arbeiten im AK Proschak Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachrichtungen zusammen, um möglichst effizient die neuen Wirkstoffklassen zu erschließen. Pharmazeuten, Chemoinformatiker, Chemiker und Biochemiker forschen gemeinsam, um die einzelnen Arbeitsschritte wie das Design der Verbindungen mithilfe des Rechners, Syntheseplanung und präparative Darstellung von bioaktiven Verbindungen sowie die Charakterisierung der Verbindungen in vitro effizient durchzuführen. Die Interdisziplinarität fördert die Kreativität aller ­Arbeitskreismitglieder und führt zu ganz neuen Ansätzen in den einzelnen Projekten.

 

Die Arbeitsgruppe erreichte den ersten Durchbruch durch die Entwicklung ­eines dualen Modulators der löslichen Epoxidhydrolase und des Peroxisom Proliferator-aktivierten Rezeptors γ für die Behandlung des Metabolischen Syndroms. Das Metabolische Syndrom ist eine komplexe Erkrankung, bei der der Patient aufgrund der zentralen Adipositas kardiovaskuläre Probleme, Typ-2-Diabetes, Hypertonie und Hyper­lipidämie entwickelt. Die Behandlung des Metabolischen Syndroms erfordert in der Regel zehn oder mehr Einzel­präparate, welche miteinander wechselwirken können. Die im AK Proschak entwickelte Verbindung RB394 adressiert beide Proteine und wurde in präklinischen Langzeit-­Modellen des Meta­bolischen Syndroms in Zusammenarbeit mit Forschern vom Medical College of Wisconsin getestet. Es konnte gezeigt werden, dass RB394 nach oraler Applikation sowohl im präventiven als auch im kurativen Rattenmodell die Hyper­tonie und die Hyperglykämie ­simultan stark reduzieren kann und protektiv gegen die diabetische Nephropathie wirkt. Daher hat RB394 das Poten­zial, die Behandlung des Metabolischen Syndroms entscheidend zu vereinfachen und effizienter zu machen.

 

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) würdigte die Forschung des Arbeitskreises mit der Bewilligung der Heisenberg-Professur für Dr. Eugen Proschak am Institut für Pharmazeutische Chemie an der Goethe-Universität Frankfurt. Das Heisenberg-Programm der DFG erlaubt es, exzellenten Wissenschaftlern eine Professur mit neuer Ausrichtung an der Hochschule der Wahl zu etablieren, die nach fünf Jahren evaluiert und anschließend von der Hochschule übernommen wird. Die DFG fördert damit die Ansiedlung einer Professur für Wirkstoffdesign an der Goethe-Universität, die sich der Erforschung von Multitarget-Liganden widmet.

 

Ein langer Weg

 

Für Patienten und Apotheker würde die Zulassung von Multitarget-Wirkstoffen mehr Sicherheit durch das verringerte Potenzial von Arzneimittel-Wechselwirkungen aufgrund von Polymedikation bedeuten. Ein langfristiges Ziel der Forschung des AK Proschak ist die Etablierung von Multitarget-Wirkstoffen für die Behandlung von chronischen entzündlichen Erkrankungen. Da die Zulassung der Arzneistoffe jedoch ein sehr langwieriger Prozess ist, ist es bis zum Erreichen dieses hochgesteckten Ziels ein langer Weg. /

Dies ist Teil 3 einer Serie, in der die PZ herausragende pharmazeutische Forschung an deutschen Hochschulen vorstellt. Der erste Teil erschien in der PZ 26/2017 und widmete sich der Abteilung Pharmazeutische Chemie und Bioanalytik in Halle-Wittenberg. Teil 2 fand sich in der PZ 33/2017 und beleuchtete das Zentrum für Arzneimittelsicherheit in Leipzig.

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