Antikoagulation trotz Magenblutung? |
19.11.2012 16:20 Uhr |
Von Ulrike Viegener / Eine echte Zwickmühle: Was tun, wenn ein Patient mit Vorhofflimmern unter oraler Antikoagulation eine Magenblutung entwickelt hat? Die Ergebnisse einer jetzt veröffentlichten US-amerikanische Studie sprechen dafür, die Behandlung fortzuführen.
Rund ein Drittel aller Schlaganfälle dürfte auf das Konto von Vorhofflimmern gehen. Thromben, die sich aufgrund der veränderten Hämodynamik bevorzugt im linken Herzohr bilden, können zur Hirnembolie führen. Anhand verschiedener klinischer Parameter gelingt es, das Schlaganfallrisiko von Patienten mit Vorhofflimmern zu stratifizieren. Bei besonders gefährdeten Patienten ist die orale Antikoagulation ein »Muss«. Laut einer Metaananlyse gelingt es so, das Schlaganfallrisiko um im Mittel 64 Prozent zu senken (Ann Intern Med 146, 2007, 857-867).
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Dem ausgewiesenen Benefit steht das Blutungsrisiko gegenüber. Die Problematik spitzt sich zu in Fällen, in denen der Patient unter oraler Antikoagulation bereits eine schwere Blutung erlitten hat. Soll man die Behandlung in einem solchen Fall abbrechen, um nicht eine erneute – potenziell lebensbedrohliche – Komplikation zu riskieren? Oder wiegt die Emboliegefahr infolge der Grunderkrankung schwerer?
Eine jetzt veröffentlichte Analyse von Versichertendaten aus dem US-Staat Colorado spricht dafür, die Antikoagulation fortzuführen (Witt D.M. et al.: Risc of Thromboembolism, Recurrent Hemorrhage and Death After Warfarin Therapy Interruption for Gastrointestinal Tract Bleeding, Arch Intern Med 2012; 172 (19): 1484-91. doi: 10.1001/archinternmed.2012.4261). Es wurden die Daten von 442 Patienten analysiert, bei denen unter einer Dauertherapie mit dem Vitamin-K-Antagonisten Warfarin eine gastrointestinale Blutung aufgetreten war. Die Patienten waren im Mittel 74 Jahre alt. Die Hälfte der Patienten wurde wegen Vorhofflimmern mit Warfarin behandelt, die andere Hälfte splittete sich in verschiedene Indikationen für eine Thromboseprophylaxe auf.
Bei 260 Patienten wurde die Antikoagulation nach der gastrointestinalen Blutung fortgeführt. Die Behandlung wurde im Mittel vier Tage nach Auftreten der Blutungskomplikation wieder aufgenommen, bei 41 Patienten wurde die Antikoagulation überhaupt nicht unterbrochen.
Thromboembolie wiegt schwerer als Blutung
Unterm Strich schnitten die Patienten, die weiter mit Warfarin behandelt wurden, besser ab. Erfasst wurden einerseits Blutungskomplikationen und andererseits thromboebolische Komplikationen in den ersten neunzig Tagen nach der ursprünglichen Magen-Darm-Blutung. Weitere gastrointestinale Blutungen traten zwar im fortgesetzt behandelten Kollektiv tendenziell häufiger auf (10 versus 6 Prozent), der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war aber nicht signifikant. In allen Fällen ließen sich die Blutungen beherrschen.
Auf der anderen Seite kam es unter fortgesetzter Warfarin-Therapie signfikant seltener zu thromboembolischen Komplikationen: 0,4 versus 5,5 Prozent. Von den Patienten mit Vorhofflimmern erlitten drei ohne Warfarin einen tödlichen Schlaganfall.
Nicht auf den ersten Blick erklärbar ist die deutlich niedrigere Gesamtsterblichkeit bei den weiter mit Warfarin behandelten Patienten. 6 Prozent der Patienten starben in dieser Gruppe innerhalb des dreimonatigen Analysezeitraums. Im »Abbruch-Kollektiv« lag die Sterblichkeit dagegen bei 20 Prozent, wobei aber nur 3 der 37 Todesfälle durch Thromboembolien verursacht wurden. Eine Erklärung könnte sein, dass diese Patienten per se einen schlechteren Gesundheitszustand aufwiesen, was auch im Einklang mit der Entscheidung stehen würde, die Warfarin-Therapie abzusetzen.
Ergebnisse nicht übertragbar
Trotz dieser »Ungereimtheit« und trotz der Tatsache, dass es sich nicht um prospektive Daten handelt, wertet ein Kommentar in derselben Ausgabe der »Archives of Internal Medicine« die Studienergebnisse als wichtige, weil bislang einzige Daten zu dieser Frage. Es könne empfohlen werden, die Antikoagulation mit Warfarin im Fall einer gastrointestinalen Blutung innerhalb einer Woche wieder aufzunehmen. Andererseits wird nachdrücklich gefordert, dass die Indikation für eine Antikoagulation in jedem Fall kritisch gestellt werden muss. Und weiter wird betont, dass die Daten nur für Warfarin gelten und nicht auf neuere Antikoagulanzien übertragbar sind. /