Von Geheimratsecken bis zur Glatze |
02.11.2015 14:50 Uhr |
Von Nicole Schuster / Eine volle glänzende Haarpracht steht für Jugend und Gesundheit. Umso größer das Leid, wenn Haare in Massen ausfallen. Meist ist der Verlust reversibel. Je nach Ursache können auch Medikamente helfen. Perücken, Toupets, Kopfbedeckungen oder eine absichtliche Glatze kaschieren das Problem.
Jeder Mensch hat etwa 90 000 bis 150 000 Haare auf dem Kopf. Davon verliert er täglich 60 bis 100. Es handelt sich um einen natürlichen Erneuerungsprozess, der vom Haarfollikel ausgeht. Dieser durchläuft regelmäßig einen dreiphasigen Zyklus. Der größte Teil der Haare befindet sich in der Wachstumsphase (Anagenphase). Hier wächst das Haar und braucht dazu ausreichend Nährstoffe. Das dauert in der Regel mehrere Jahre. In der Übergangsphase (Katagenphase) bekommt das Haar keine Nährstoffe mehr; nach der Ruhephase (Telogenphase) fällt es aus. Danach beginnt ein neuer Kreislauf, der wieder mit der Wachstumsphase beginnt.
Theodor Fontane, Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller: Schaden Dichten und Denken der Haarpracht?
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Der Verlust von Haaren ist also völlig normal. Sind es dauerhaft mehr als 100 Haare täglich, sprechen Mediziner von einem Effluvium. Ein solch akut gesteigerter Haarausfall führt aber nicht zwangsläufig zur Haarlosigkeit. Ein Verlust der Behaarung, eine sogenannte Alopezie, liegt erst vor, wenn es zu einer sichtbaren Lichtung kommt. Nicht zu verwechseln ist Haarverlust mit Haarbruch, bei dem Haare relativ weit oben am Ansatz abbrechen. Es bleiben kleine Stoppeln zurück. Ursache kann zum Beispiel ein aggressives Shampoo sein, das den Haarschaft angreift (1, 2, 3).
Faktoren wie Haarmenge und -farbe, Dichte, Durchmesser und Länge werden grundsätzlich durch die Gene vorgegeben. Erbanlagen bedingen auch, dass Menschen mit genetischen Erkrankungen teilweise »andere« Haare haben. Ein Beispiel ist die Trisomie 21, die zu weichen glatten Haaren führt. Betroffene leiden zudem häufig unter kreisrundem Haarausfall, der Alopecia areata.
Haarausfall: Auslöser oft harmlos
Prinzipiell kann Haarausfall viele Ursachen haben. Viele sind ungefährlich und erfordern keine medizinische Behandlung. Offensichtliche Auslöser sind die mechanische Belastung durch einen ständig straff gebundenen Pferdeschwanz oder das Tragen einer eng ansitzenden Kopfbedeckung.
Bei bettlägerigen Patienten oder Babys kann durch das ständige Liegen ein örtlicher Haarausfall am Hinterkopf auftreten. Beseitigt man die Ursachen, wachsen die Haare wieder normal nach, solange die schädigenden Einflüsse die Haarwurzeln nicht dauerhaft zerstört haben.
Nur bedingt beeinflussen lässt sich der altersabhängige Haarausfall, der früher oder später als natürlicher Prozess abläuft. Beide Geschlechter sind davon betroffen.
Androgenetische Alopezie
Der altersabhängige Haarausfall zeigt sich meist erstmals im jüngeren Erwachsenenalter im Bereich der Stirnhöcker und am Scheitel und wird genetisch gesteuert. Bei dieser androgenetischen Alopezie (Alopecia androgenetica, AGA) reagieren die Haarfollikel aufgrund einer erhöhten Anzahl an Rezeptoren für Testosteron und Dihydrotestosteron (DHT) besonders empfindlich auf die beiden Stoffe. Durch Einwirkung der Hormone verkürzt sich die Wachstumsphase und der gesamte Haarzyklus läuft beschleunigt ab. Die Haarfollikel verkleinern sich, ihre Funktion nimmt ab. Es kommt zu einem rascheren Ausfall der Haare.
Bei Männern sind Geheimratsecken ein typisches Erscheinungsbild. Hinweisen zufolge kann der Haarausfall in seltenen Fällen mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Krankheiten einhergehen (Kasten). Auch eine unvollständige Glatzenbildung, bei der die Kopfseiten und der Hinterkopf vom Haarverlust ausgespart werden, kann auftreten. Bei Frauen dünnt die Haarpracht vor allem im Bereich des Scheitels aus und lichtet sich merklich. Zudem kann eine ebenfalls als belastend empfundene, maskulin geprägte Körperbehaarung auftreten, die sich etwa in einem verstärkten Haarwachstum an den Unterschenkeln, an Zehen und im Gesichtsbereich zeigt.
Zur Behandlung der androgenetischen Alopezie gibt es wirksame Medikamente wie das oral einzunehmende Finasterid sowie die äußerlich anzuwendenden Mittel Alfatradiol und Minoxidil (Tabelle 1). Finasterid, ein Hemmstoff von DHT, ist verschreibungspflichtig und nur für Männer geeignet.
Minoxidil und Alfatradiol sind als Lösung (Minoxidil auch als Schaum) rezeptfrei in Apotheken erhältlich und sowohl für Frauen als auch für Männer geeignet. Minoxidil wirkt durch ein Zusammenspiel von Effekten wie einer Vergrößerung des Haarschaftdurchmessers und einer Verlängerung der Wachstumsphase. Frauen sollten eine zweiprozentige, Männer eine fünfprozentige Lösung zwei Mal täglich auftragen. Wichtig für die Beratung: Zu Beginn der Anwendung kann auch eine Verschlechterung auftreten und die Zahl ausfallender Haare steigen. Nach zwei bis drei Monaten sollten erste Erfolge bemerkbar sein. Setzt der Patient das Medikament ab, kehrt der Haarausfall zurück (4).
Alfatradiol ist ein Stereoisomer des weiblichen Sexualhormons 17β-Estradiol, aber praktisch ohne hormonelle Wirkungen. Es hemmt wie Finasterid die Bildung von DHT. Patienten sollen das als Lösung erhältliche Medikament zu Beginn der Behandlung täglich auftragen und können frühestens nach einem Monat erste Erfolge sehen.
Studien zufolge könnte Haarausfall in seltenen Fällen auf ein erhöhtes Risiko für ernste Krankheiten, etwa Prostatakarzinom oder Herzkrankheiten, hindeuten (12, 13). Sowohl Prostatakrebs als auch die androgenetische Alopezie (AGA) treten oft im Verbund mit einer vermehrten Testosteronproduktion auf.
Eine Forschergruppe des US-National Cancer Institute in Bethesda wies nun nach, dass Männer, die bereits vor dem 45. Lebensjahr unter einer AGA mit Rückgang des Haaransatzes leiden, stärker gefährdet sind, an Prostatakrebs zu erkranken als Männer ohne frühen Haarverlust (Journal of Clinical Oncology, doi: 10.1200/JCO.2014.55.4279).
Männer, bei denen sich infolge einer AGA eine Glatze am oberen Hinterkopf bildet, scheinen ein erhöhtes Risiko für eine koronare Herzkrankheit zu haben. Dies ergab die Metaanalyse von drei Kohorten- und drei Fall-Kontroll-Studien mit insgesamt 36 990 Teilnehmern, die Wissenschaftler von der Universität in Tokio veröffentlichten (BMJ Open 2013;3: e002537).
Diffuser Haarausfall: postpartal, saisonal, pathogen
Normalerweise durchlaufen die Haare den dreiphasigen Wachstumskreislauf alternierend und völlig unabhängig voneinander. Unter dem Einfluss von äußerlichen und innerlichen Faktoren kann es aber zu einer Synchronisation der Zyklen kommen.
»Hier verlassen Haarfollikel vorzeitig die Wachstumsphase, gehen also gleichzeitig vom Anagen ins Telogen über«, sagt Professor Dr. Henning Hamm, Leitender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum Würzburg, im Gespräch mit der PZ. Nach etwa zwei bis vier Monaten komme es dadurch zu einem spürbar stärkeren Haarausfall. Dies führt zu einer Lichtung des Kopfhaares, wobei die Kopfhaut an manchen Stellen sichtbar werden kann.
Dieser Vorgang tritt bei einigen Menschen saisonal auf. Die Betroffenen – umgangssprachlich als »Fellwechsler« bezeichnet – verlieren meist im Frühjahr und Herbst mehr Haare. Mögliche Einflussfaktoren sind aber auch Hormone, systemische Krankheiten, Medikamente oder Stress.
A propos Medikamente: Der Apotheker kann in der Beratung darauf hinweisen, dass etwa Betablocker, Phenprocoumon oder Simvastatin als unerwünschte Begleiterscheinung Haarausfall auslösen können. Ohne Rücksprache mit dem Arzt sollten Patienten aber freilich weder die Arzneimittel absetzen noch die Dosis verändern.
Ebenfalls zum diffusen Haarausfall zählt das postpartale Effluvium. Es tritt zwei bis vier Monate nach der Entbindung auf. Als Auslöser für die Synchronisation der Wachstumsphasen gilt hier vor allem die hormonelle Umstellung. Junge Mütter, bei denen plötzlich vermehrt Haare ausfallen, müssen sich in der Regel aber keine Sorgen machen, da sich der übermäßige Haarverlust meist von selbst reguliert.
Anders ist es, wenn eine Krankheit oder ein Nährstoffmangel zugrunde liegen. So können Schilddrüsenfehlfunktion, Syphilis oder schwere Infektionen, zum Beispiel eine Lungenentzündung, ein Effluvium auslösen. Auch Eisenmangel sowie ein Mangel an Biotin, B-Vitaminen, Zink oder Eiweiß stehen im Verdacht, Haarverlust zu verursachen (5). Eventuell könnte eine Nährstoffsubstitution hier hilfreich sein (Tabelle 1).
Stigma: Haarverlust unter Chemotherapie
Ein klassisches Beispiel für medikamentenbedingten Haarverlust ist die Chemotherapie. Zytostatika greifen gezielt sich schnell teilende Zellen an. Dazu gehören auch die Haarwurzelzellen.
Eine belastende Nebenwirkung vieler Chemotherapeutika ist der Haarausfall.
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Daher kann eine Therapie mit Zytostatika bewirken, dass alle Kopfhaare, die sich gerade in der stoffwechselaktiven Phase befinden, nach einer bis zwei Wochen in der Wurzel abbrechen. Die restlichen Haare fallen in den nächsten Monaten aus – für viele Frauen eine dramatische Nebenwirkung.
Dr. Kristina Drinkut, Assistenzärztin an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), berichtet gegenüber der PZ aus ihrer ärztlichen Erfahrung: »Haarverlust unter Chemotherapie wirkt sich zusätzlich negativ auf die Lebensqualität aus. Die Frauen fühlen sich stigmatisiert, da man nun sehen kann, dass sie an einer Krebserkrankung leiden. Meist fühlen sich die Patientinnen dadurch noch kränker.« Auch das ständige Sich-erklären-Müssen sei unangenehm.
Ein kleiner Trost kann sein, dass der Haarausfall vorübergehend ist. »Vier bis acht Wochen nach Ende der Chemotherapie wachsen die Haare in der Regel wieder nach, manchmal in einer anderen Farbe, manchmal auch dichter«, bestätigt Drinkut. Betroffen sind nicht nur die Kopfhaare, sondern manchmal auch Augenbrauen, Wimpern, Achsel-, Bein- und Schamhaare.
Ein wichtiger Hinweis (6): Nicht jede Chemotherapie bringt diese psychisch belastende Nebenwirkung mit sich. Dafür bekannt sind zum Beispiel Ifosfamid und Doxorubicin. Auch die Dosis der Medikamente spielt eine Rolle.
Dem Haarverlust mit kühlem Kopf begegnen
Apotheker können Frauen nicht nur über mögliche Nebenwirkungen der Chemotherapie aufklären, sondern ihnen auch helfen, sich auf den Haarverlust vorzubereiten. Es gibt mehrere Möglichkeiten, das kosmetische Problem zu kaschieren. Jede Frau muss den für sie geeigneten Weg finden.
Das kann zum Beispiel eine Perücke sein. Oft ist es hilfreich, wenn die Zweithaare möglichst viel Ähnlichkeit mit den natürlichen haben. Die Patientin sollte die Perücke bereits vor Therapiebeginn individuell nach ihren Wünschen anfertigen lassen. Viele Kassen übernehmen oder bezuschussen die Kosten, wenn der Arzt das Hilfsmittel verordnet. Andere Frauen bevorzugen einen schicken Hut, ein Kopftuch oder eine Mütze.
Wenn auch Augenbrauen und Wimpern ausfallen, kann eine Kosmetikerin Tipps geben, wie die Patientin den Verlust durch richtiges Schminken weniger auffällig gestalten kann (6). Gegen ausfallende Wimpern setzen manche Patienten auch Arzneimittel ein. Wirkstoffe wie Bimatoprost, die zur Behandlung des Glaukoms zugelassen sind, regen als Nebenwirkung das Wachstum der Wimpern an. Dieser Einsatz des verschreibungspflichtigen Medikaments geschieht allerdings außerhalb der Zulassung (Off-Label-Use) (7). Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen unter anderem eine verstärkte Bindehautdurchblutung, gereizte und juckende Augen, bleibende verstärkte Irispigmentierung und Veränderung der Augenfarbe sowie Kopfschmerzen.
Neue Entwicklungen könnten es ermöglichen, massiven Haarverlust unter Chemotherapie künftig zu verhindern. Gute Ergebnisse erzielten Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) mit einer Methode der Kopfhautkühlung. Bei dem verwendeten System zirkuliert 30 Minuten vor, während sowie eine Stunde nach der Chemotherapie Kühlflüssigkeit durch eine flexible Kappe, die die Frauen auf den Kopf aufsetzen. Dies bewirkt eine lokale Verengung der Blutgefäße sowie eine Verlangsamung des Stoffwechsels. Es gelangen nicht nur weniger Therapeutika zu den Haarwurzeln, sondern auch deren Wirkung ist reduziert.
»Unsere eigene Auswertung und auch die Daten anderer Studien zeigen überzeugende Ergebnisse für Patientinnen, die die Standardchemotherapie bei Mammakarzinom, also Epirubicin und Cyclophosphamid, gefolgt von Paclitaxel erhalten«, sagt Drinkut. Auch für wöchentliche Behandlungen mit einem Taxan und das Standardschema bei Ovarialkarzinom (Carboplatin und Paclitaxel) seien die Daten überzeugend. Die Betroffenen würden – so das Ergebnis der Auswertung von Fotodokumentationen und Fragebögen – dank der Kühlkappe nur noch etwa 30 Prozent ihrer Haare verlieren. »Diese Menge fällt der Patientin im Spiegel und auch Außenstehenden meist kaum auf«, weiß die Expertin. Sie hofft, dass Frauen unter Chemotherapie dadurch künftig eine höhere Lebensqualität haben und vermieden werden kann, dass Patientinnen aus Angst vor dem Verlust ihrer Haare zögern, einer lebensrettenden Therapie zuzustimmen (6, 8).
Eine allgemeine Empfehlung für die präventive Behandlung kann aber noch nicht ausgesprochen werden. Die verringerte Zufuhr an Chemotherapeutika zur Kopfhaut könnte verhindern, dass das Medikament in vollem Umfang gegen versprengte Tumorzellen wirkt. Da diese Gefahr bislang nicht ausgeschlossen werden konnte, ist von einem unkritischen Einsatz abzuraten (6).
Wirkstoff | Art des Haarausfalls | Wirkung |
---|---|---|
Rezeptfrei | ||
Minoxidil | Alopecia androgenetica | stimuliert das Haarwachstum bei Haarausfall |
Alfatradiol | Alopecia androgenetica | fördert das Haarwachstum bei Haarausfall, reduziert hormonbedingten Haarausfall |
Nahrungsergänzungsmittel | diffuser Haarausfall | wirken durch Zufuhr von Nährstoffen dem Haarverlust entgegen |
Rezeptpflichtig | ||
Finasterid | Alopecia androgenetica | verringert hormonell-erblichen Haarausfall (androgenetische Alopezie) bei Männern |
Hormonbehandlung | Alopecia androgenetica | möglicherweise hilfreich bei anlagebedingtem Haarausfall der Frau durch Zufuhr von Antiandrogenen |
Corticosteroid-haltige Präparate | Alopecia areata vernarbende Alopezien | immunsupprimierend |
Alopecia areata: Immunsystem außer Kontrolle
Wie der altersbedingte Haarausfall ist vermutlich auch die Neigung zum kreisrunden Haarausfall – zumindest teilweise – in den Genen angelegt, da dieser familiär gehäuft auftritt. Bei der auch als Alopecia areata bezeichneten Störung soll es sich um eine Autoimmunreaktion handeln.
Betroffen sind Menschen beiderlei Geschlechts, jeden Alters und sogar Kinder – in Deutschland etwa eine Million Menschen. Die Krankheit führt zu meist kreisrunden, kahlen Stellen an bestimmten Bereichen des Kopfs oder Körpers. Bisweilen fallen vor allem pigmentierte Haare aus und es entsteht der Eindruck, quasi über Nacht zu ergrauen. Die stärkste Ausprägung der Alopecia areata ist die Alopecia universalis, der Verlust der kompletten Körperbehaarung.
Eine Zweithaarfrisur ist für manche, aber längst nicht alle Frauen der geeignete Weg, mit Haarausfall nach einer Chemotherapie umzugehen.
Foto: Fotolia/exopixel
Die genauen Ursachen sind unbekannt. »Es wird eine Kombination aus genetischer Disposition und Umweltfaktoren angenommen«, sagt Professor Dr. Regina C. Betz, Heisenberg-Professorin für Dermatogenetik am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn, gegenüber der PZ. Auffällig sei, dass viele Patienten gleichzeitig an weiteren Autoimmunerkrankungen leiden, zum Beispiel allergischen Erkrankungen wie Heuschnupfen, Asthma oder Neurodermitis, an Schilddrüsenerkrankungen oder der Weißfleckenkrankheit Vitiligo. Zu möglichen Umweltfaktoren gebe es noch zu wenige große systematische Untersuchungen. »Vermutlich spielen Stressfaktoren, möglicherweise auch hormonelle Faktoren eine Rolle.«
Eine ursächliche Therapie gibt es nicht. Der Arzt kann versuchen, mit entzündungshemmenden Mitteln, etwa Cortison-haltigem Haarwasser und systemisch wirksamen Corticoiden, die überschießende Immunreaktion des Körpers gegen die Haarfollikel zu stoppen. Die topische Immuntherapie mit Diphenylcyclopropenon (DCP) ist bislang die Option, die am meisten Erfolg verspricht. Die Therapie ist derzeit nicht zugelassen, aber beispielsweise über Hautkliniken erhältlich. Gelegentlich wird die Einnahme von Zink oder Thymuspeptiden empfohlen; der Nutzen ist allerdings umstritten.
Eine weitere Möglichkeit ist die Vereisung der von Alopecia areata betroffenen Stellen mit flüssigem Stickstoff. Die Behandlung führt zu einer Entzündung der Haut und soll die Immunabwehr von den Haarwurzeln ablenken. Allerdings kann der Haarausfall nach Therapieende erneut auftreten. Oft kommt es auch ganz ohne Behandlung nach Monaten zu einer spontanen Wiederbehaarung. Patienten sollten jedoch wissen, dass das Risiko eines Rückfalls hoch ist (4).
Haarverlust kann in seltenen Fällen auch die Folge einer gestörten Impulskontrolle sein (14). Bei der Trichotillomanie reißen sich Betroffene vor allem unter Anspannung die eigenen Haare aus. Die Handlung wirkt auf sie entspannend und befriedigend. Neben den Kopfhaaren können auch Wimpern, Augenbrauen, Bart oder Schamhaare betroffen sein. Auf Dauer kommt es zu haarlosen Stellen, die den Patienten unangenehm sind und schlimmstenfalls dazu führen, dass sie sich sozial isolieren.
Bei der psychischen Krankheit ist in der Regel eine Verhaltenstherapie angezeigt. Wichtig für die Patienten ist es, alternative Möglichkeiten zur Entspannung zu erlernen.
Verlust unumkehrbar: vernarbende Alopezie
Während meistens die Haarfollikel erhalten bleiben und somit prinzipiell ein erneuter Haarwuchs möglich ist, ist das bei den vernarbenden Alopezien ausgeschlossen.
Dabei handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, zu denen Autoimmunerkrankungen wie der chronisch-diskoide Lupus erythematodes und der Lichen ruber der Kopfhaut gehören. Pathologisch spielen Entzündungsvorgänge eine Rolle.
Ein bekanntes Beispiel ist die postmenopausale frontale fibrosierende Alopezie. »Sie betrifft fast ausschließlich ältere Frauen und führt schleichend zu einem von Jahr zu Jahr höher werdenden Stirn-Haar-Ansatz«, erklärt der Würzburger Dermatologe Hamm. Die Behandlung, zum Beispiel mit Corticosteroid-Lösungen, zielt darauf ab, das Fortschreiten aufzuhalten. Präparate mit Wirkstoffen wie Clobetasol, Diflorason oder Betamethason werden im behaarten Randbereich von Bezirken, die bereits durch die narbige Alopezie geschädigt sind, aufgetragen, um die dort wachsenden Haare zu schützen (9).
Bei der Hypertrichose wachsen übermäßig lange, dicke oder dunkle Haare entweder lokal begrenzt oder am ganzen Körper. Als Ursache kommen angeborene Gendefekte, ein hormonproduzierender Tumor oder die Einnahme bestimmter Medikamente infrage.
Während beide Geschlechter eine Hypertrichose entwickeln können, trifft Hirsutismus nur Frauen. Auffällig ist eine übermäßige, männlich geprägte Behaarung wie behaarte Brust und Bauch oder ein Damenbart. Ursächlich sind ein zu hoher Testosteronspiegel oder eine zu hohe Empfindlichkeit der Haarfollikel auf das Hormon.
Zur symptomatischen Therapie werden die unerwünschten Haare etwa durch Rasur, Enthaarungscreme oder Epilation entfernt (15). Der Arzt kann als dauerhafte Lösung eine Laserenthaarung anbieten. Bei Patienten mit krankhaftem oder entstellendem Haarwuchs ist auf Kosten der Krankenkassen eine Elektro-Epilation möglich.
Haarschaftanomalien
Veränderungen der Struktur des Haarschafts bezeichnen Ärzte als Haarschaftanomalien (2, 9). Sie äußern sich beispielsweise als verstärkte Neigung zu Haarbruch, stumpfem Haar, Änderungen der Haarfarbe oder Formauffälligkeiten wie Kräuseln und Haarstarre (Tabelle 2).
Diese Veränderungen können infolge äußerer Schadeinflüsse auftreten; dazu zählen etwa intensives Bürsten und Toupieren, Färben, Dauerwellen, häufiges Waschen mit Alkali-haltigen Shampoos, übermäßige Hitzeeinwirkung beim Föhnen oder intensive UV-Bestrahlung. Andere gehen auf angeborene Erkrankungen zurück.
Zur Diagnose untersucht der Dermatologe die Haarschäfte im Trichogramm (Haarwurzelstatusanalyse). Zudem prüft er unter dem Mikroskop, ob knotige oder spindelige Auftreibungen der Haare oder Erscheinungen wie Brüche, Stauchungen, Verdrehungen oder Verfilzungen vorliegen.
Anomalie | Merkmale |
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gegabelte Haare (Pili bifurcati) | Haare spalten sich und schließen sich wieder; es resultieren Löcher in Längsrichtung. |
Ringelhaare (Pili anulati) | Haare weisen in regelmäßigen Abständen Lufteinschlüsse auf; diese erscheinen bei hellen Haaren als Ringe. |
Spindelhaare (Aplasia pilorum intermittens) | Haare brechen infolge von abwechselnden Anschwellungen und Einschnürungen entlang des Haarschafts ab. |
brüchige Haare (Trichorrhexis nodosa) | pinselartige Aufsplittungen der Haare, die zu einer erhöhten Brüchigkeit führen |
Diagnose beim Experten
Angesichts der vielen möglichen Ursachen sollte bei einem außergewöhnlich starken und länger anhaltenden Haarausfall ein Arzt, am besten ein Dermatologe, konsultiert werden. Auch ein Besuch in einem spezialisierten Zentrum kann empfehlenswert sein.
Nach der Anamnese wird der Arzt die Haare genau anschauen. Dazu zählen nicht nur die Kopfhaare, sondern auch die übrigen Körperhaare und sogar die Nägel. Beim Zupftest oder klinischen Epilationstest prüft der Arzt, wie viele Haare sich durch leichtes Zupfen bereits lösen. Ein Blick durch die Lupe verrät, ob an kahlen Stellen noch Haarfollikel vorhanden sind. Ist dies der Fall, liegt kein vernarbender Haarausfall vor, und der Patient kann hoffen, dass die Haare wieder nachwachsen.
Für ein Trichogramm braucht der Arzt 50 bis 100 Haare von unterschiedlichen Bereichen der Kopfhaut. Unter dem Mikroskop erkennt er an der Haarwurzel, wie viele Haare sich in jeweils in der Wachstums-, Übergangs- und Ruhephase befunden haben. Eine Biopsie ist selten und hauptsächlich bei narbigen Alopezien oder unklaren Befunden erforderlich. Um möglichen Krankheiten oder Mangelerscheinungen als Ursache auf den Grund zu gehen, ist eine Blutuntersuchung erforderlich. Von besonderem Interesse sind unter anderem die Eisen-, Schilddrüsen- und Entzündungswerte (1, 2, 9).
Schadfaktor | Gegenmaßnahmen |
---|---|
chemische Behandlung wie Dauerwellen oder Färben, aber auch intensive Sonneneinstrahlung, Salz- und Chlorwasser | spezielle Pflegeprodukte aus der Apotheke benutzen |
heißes Föhnen oder Frisieren mit Glätteisen | Haare nur mit dem Handtuch trocknen vor dem Föhnen/Frisieren Hitzeschutz aufbringen |
Mangel an Vitaminen und Spurenelementen | ausgewogene Ernährung, nach ärztlicher Anweisung Nahrungsergänzungsmittel |
Stress | Entspannungsmethoden, Sport |
mechanische Belastung | streng gebundene Frisuren meiden |
Hilfe aus der Apotheke
Auch wenn Haarausfall an sich nicht gefährlich ist, verursacht er gerade bei Frauen einen immensen Leidensdruck. Sie sehen schöne gesunde Haare oft als Teil ihrer Weiblichkeit. Eine lichter werdende Haardecke hingegen steht für Verlust der Jugend, für Vergänglichkeit, Krankheit und Alter.
Während bei jüngeren Männern eine absichtlich rasierte Glatze in der Regel sozial akzeptiert wird, wirft Haarlosigkeit bei Frauen meist nur unangenehme Fragen auf. Umso wichtiger ist gerade für sie eine fachliche Beratung, wie sie dem Haarausfall entgegenwirken und Schadfaktoren vermeiden können (Tabelle 3).
Das Apothekenteam sollte auf die ärztliche Abklärung hinweisen, unrealistische Erwartungen an eine Therapie dämpfen und von »Wundermitteln« aus dem Internet abraten. Bei entsprechender Diagnose bieten Minoxidil, Finasterid und Co. anerkannte Therapien. Ebenso kann der Apotheker – wenn der Arzt einen Nährstoffmangel bestätigt hat – Nahrungsergänzungsmittel empfehlen und den Kunden über die korrekte Dosierung informieren. Fragen die Betroffenen nach traditionellen Mitteln, etwa Brennnesseltee, oder Haarwässern mit Brennnessel, Rosmarin oder Thymol sollte der Apotheker darauf hinweisen, dass deren Wirkung wissenschaftlich nicht belegt ist.
Ist der Leidensdruck der Patienten sehr hoch, kann bei bestimmten Indikationen in einem nicht zu weit fortgeschrittenen Stadium eine Eigenhaarverpflanzung in Betracht kommen. Hier entnimmt der Arzt gesunde Haarfollikel und verpflanzt sie an die kahlen Stellen. Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen diese kosmetische Maßnahme aber nicht (10). /
Nicole Schuster studierte zwei Semester Medizin in Bonn, dann Pharmazie und Germanistik in Bonn und später in Düsseldorf. Während ihres Studiums machte sie Praktika bei verschiedenen wissenschaftlichen Verlagen. Nach dem zweiten Staatsexamen und der Approbation 2010 absolvierte Schuster ein Aufbaustudium in Geschichte der Pharmazie in Marburg und arbeitet seitdem an ihrer Dissertation zu traditionellen pflanzlichen Heilmitteln.
Nicole Schuster
Zimmererstraße 9
92318 Neumarkt
E-Mail-Adresse: nicole.m.schuster@gmx.de
Literatur