Medikamente können Fehltage am Arbeitsplatz reduzieren |
02.11.2010 17:37 Uhr |
Von Stephanie Schersch, Berlin / Die Zahl chronisch kranker Menschen in der deutschen Bevölkerung wächst. Das hat Auswirkungen auf die volkswirtschaftliche Produktivität, denn chronisch Kranke fehlen oft im Beruf. Eine Studie ist der Frage nachgegangen, wie eine verbesserte Arzneimittelversorgung die Verluste reduzieren kann.
Durchschnittlich 42 Prozent der deutschen Frauen und 36 Prozent der Männer leiden an einer chronischen Erkrankung. Aufgrund ihrer Beschwerden können sie in der Regel an mehreren Tagen im Jahr nicht zur Arbeit erscheinen – und erbringen entsprechend weniger Leistung. Die Situation verschärft sich in der Altersklasse der 45- bis 64-Jährigen: Hier ist fast jeder Zweite chronisch krank. Professor Dr. Peter Oberender, Direktor der Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie an der Universität Bayreuth, sprach in Berlin von Verlusten für die volkswirtschaftliche Produktivität, die sich infolge demografischer Veränderungen bald noch vergrößerten. »Vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels wird es schon in Kürze notwendig sein, dass ältere und chronisch kranke Menschen länger arbeiten.«
Ein Asthmatiker, der zu 60 Prozent gemäß der Leitlinien mit Arzneimitteln versorgt wird, fehlt nur noch halb so oft bei der Arbeit, ergab eine Analyse.
Foto: Fotolia/Corbis
Oberender hat im Auftrag des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VFA) die Auswirkungen chronischer Krankheiten auf die Volkswirtschaft untersucht. In einem zweiten Schritt ist er der Frage nachgegangen, inwieweit eine leitliniengetreue Arzneimittelversorgung chronisch kranker Menschen Einfluss auf deren Erwerbsleben und Fehlzeiten am Arbeitplatz nimmt. Für die Studie wertete Oberender Daten von neun Millionen Versicherten aus und erstellte Hochrechnungen für die vier chronischen Krankheiten Asthma, Rheuma, Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Herzinsuffizienz. Das Ergebnis: Wenn alle Asthmakranken ein besseres Versorgungsniveau mit Arzneimitteln erreichen, ließen sich bis zum Jahr 2020 rund 76 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage vermeiden. Auch wenn eine bessere Versorgung nur bei 60 Prozent gelänge, reduzierten sich die Produktivitätsverluste immerhin noch um beinahe die Hälfte, nämlich 47 Prozent.
Geringer fallen die Effekte bei den anderen Indikationen aus. So lassen sich für Rheuma die Fehltage bei einem optimalen Versorgungsgrad um knapp 50 Prozent, bei einem Versorgungsgrad von 60 Prozent um circa ein Drittel (29 Prozent) verringern. Bei COPD ergibt sich lediglich ein Versorgungseffekt von minus 16 beziehungsweise minus 8 Prozent. Kaum Einfluss nimmt eine optimierte Versorgung auf die Fehlzeiten von Patienten mit Herzinsuffizienz. Als Grund nannte Oberender, dass eine leitliniengerechte Versorgung bei dieser Indikation generell nur schwer zu erreichen sei.
Prävention im Betrieb wird wichtig
Für alle vier untersuchten Erkrankungen zusammen lassen sich laut der Studie bis zum Jahr 2020 Produktivitätsverluste in Höhe von 220 bis 360 Millionen Euro vermeiden, je nachdem wie viele Patienten eine bessere Arzneimittelversorgung erreicht. Oberender verwies angesichts dieser Ergebnisse auf den Forschungsbedarf zu Therapien und Versorgungsleitlinien bei chronischen Krankheiten. Aber auch Arbeitgeber seien gefordert: »Betriebliche Prävention wird zukünftig eine deutlich größere Rolle spielen müssen,« sagte er. Das Potenzial einer verbesserten Vorsorge berücksichtigte die aktuelle Untersuchung jedoch nicht..
Die Hauptgeschäftsführerin des VFA, Cornelia Yzer, nutzte die Präsentation der Studie, um für mehr innovative Arzneimittel zu werben. In Deutschland kämen so wenig neue Medikamente in der Therapie zum Einsatz wie in keinem anderen europäischen Land. »Das hat nicht nur Nachteile für die Patienten zur Folge, sondern eben auch volkswirtschaftliche Verluste«, sagte Yzer. Für die künftige Bewertung von Arzneimitteln forderte sie daher einen Nutzenbegriff, der neben der individuellen Bedeutung für den Patienten auch den gesamtgesellschaftlichen Nutzen berücksichtigt. /