Kassen kritisieren Zukunftsmodell |
25.10.2011 17:35 Uhr |
Von Stephanie Schersch, Berlin / Bis in die Abendstunden hat der Gesundheitsausschuss im Bundestag über das Versorgungsstrukturgesetz debattiert. Das Zukunftsmodell von ABDA und Kassenärztlicher Bundsvereinigung kam dabei nur kurz zur Sprache. Krankenkassen und Hersteller halten weiterhin nichts von dem Konzept.
Mehr als fünf Stunden lang dauerte die Anhörung zum Versorgungsstrukturgesetz vergangene Woche im Gesundheitsausschuss. Das Interesse an der Veranstaltung war groß, so groß sogar, dass der Ausschuss aus den gewohnten Räumlichkeiten im Regierungsviertel in das Bundesfinanzministerium umziehen musste. In einem großen Saal wurden Experten und Verbände dort bis in die Abendstunden zu den Regelungen im geplanten Versorgungsstrukturgesetz angehört.
Zuckerbrot und Peitsche
Mit dem Gesetz will die Bundesregierung die medizinische Versorgung verbessern und den Ärztemangel in unterversorgten Gebieten abbauen. In Deutschland gibt es zwar eine Rekordzahl an Medizinern, das Problem ist aber die Verteilung. So fehlen Ärzte in ländlichen Regionen und in den Problemvierteln der Städte.
Mit dem Versorgungsstrukturgesetz will die Regierung mehr Ärzte für eine NIederlassung auf dem Land gewinnen. Den Krankenkassen gehen die Regelungen nicht weit genug.
Foto: imago/NBL Bildarchiv
Das Gesetz erfasse die großen Zukunftsprobleme der Gesundheitsversorgung, sagte der Einzelsachverständige und Rechtsanwalt Professor Dr. Wolfgang Spoerr. Es beinhalte allerdings »viel Zuckerbrot und relativ wenig Peitsche«. Tatsächlich sollen Ärzte, die eine Praxis in unterversorgten Gebieten eröffnen, finanziell belohnt werden. Wer sich als Mediziner hingegen in einer Region niederlässt, in der es bereits viele Praxen gibt, muss keine Abschläge fürchten.
Genau das kritisieren auch die Krankenkassen. »Die Maßnahmen greifen zu kurz«, sagte der Vizevorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Johann-Magnus von Stackelberg. Das Thema Überversorgung werde kaum angegangen. So sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen zwar ein Vorkaufsrecht für freiwerdende Arztsitze erhalten, um diese in überversorgten Gebieten stilllegen zu können. »Das Ganze ist aber nur eine Option und keine Pflicht, das ist sehr schade«, so von Stackelberg.
Rund 300 Millionen Euro soll das Gesetz laut Gesundheitsministerium kosten. Nicht jeder traut diesen Zahlen, darunter auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Er befürchtet erhebliche Mehrkosten und hat daher auf eine Zusatzklausel im Gesetz gedrängt. Danach wird 2014 geprüft, welche Kosten das Versorgungsstrukturgesetz tatsächlich verursacht hat. Finanz- und Gesundheitsministerium müssen sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin zusammensetzen und über den Bundeszuschuss für den Sozialausgleich sprechen, denn der dürfte 2014 erstmals zum Tragen kommen.
Extraprämie für Versicherte
Doris Pfeiffer, Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, will diese Prüfklausel unbedingt verhindern. Sie fürchtet, dass dem Finanzminister damit eine Hintertür bleibt, sollte das Gesetz tatsächlich teurer werden als geplant. Denn theoretisch könnte er die Extrakosten dann mit den Zuschüssen für den Sozialausgleich verrechnen. »Es besteht die Gefahr, dass sich der Bund aus der Finanzierung des Sozialausgleichs zurückzieht«, so Pfeiffer. Die Kosten müssten dann die Versicherten über Zusatzbeiträge schultern. Die Gewerkschaften teilen diese Einschätzung. Ohne Bundeszuschuss für den Sozialausgleich würden 2014 mehr als 3 Euro Extraprämie pro Versichertem anfallen, sagte Verdi-Gesundheitsexperte Herbert Weisbrod-Frey.
Im Versorgungsstrukturgesetz ist auch ein Praxistest für das Zukunftsmodell von ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) vorgesehen. Das Konzept für mehr Arzneimitteltherapiesicherheit soll in einer Modellregion erprobt werden, so steht es in einem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen.
Rausgeschmissenes Geld
Erst kurz vor Ende der Anhörung beschäftige sich der Gesundheitsausschuss mit diesem Thema. Biggi Bender von den Grünen fragte die Krankenkassen nach ihrer Meinung zu dem Konzept. Die Antwort fiel wenig überraschend aus. »Das ist rausgeschmissenes Geld«, sagte von Stackelberg. Das Modell sehe Regelungen vor, die bereits heute erlaubt seien. »Ich weiß nicht, was da noch erprobt werden soll.«
Nach dem ABDA-KBV-Konzept verordnet der Arzt einen Wirkstoff, die Basis dafür ist ein kassenübergreifender Medikationskatalog. Der Apotheker wählt anschließend das richtige Präparat. Chronisch kranke Patienten sollen Anspruch auf ein Medikationsmanagement erhalten. Von Stackelberg hält nichts davon, die gemeinsame Idee von Ärzten und Apothekern in einer Modellregion zu testen. Laut Änderungsantrag soll eine Schiedsstelle entscheiden, wenn es keine Einigung über diesen Praxistest gibt. Dies sei ein Versuch, die Krankenkassen zu dem Modellversuch zu zwingen, sagte von Stackelberg. Ein solches Projekt müsse jedoch auf »allseitiger Freiwilligkeit« beruhen. Dass auch die Apotheker in der Schiedsstelle vertreten sein sollen, hält er für »unnötig und unangemessen«.
Den Krankenkassen ist besonders der Medikationskatalog ein Dorn im Auge. »Die Gefahr ist groß, dass die Rabattverträge konterkariert werden«, sagte von Stackelberg. An die von ABDA und KBV prognostizierten Einsparungen von mehr als 2 Milliarden Euro glaubt er nicht.
Hersteller fordern Studien
Das sieht die Industrie ebenso. »Der Arzneimittelmarkt ist bereits stark reguliert, wo sollen die Einsparungen denn herkommen«, fragte Matthias Diessel vom Branchenverband Pro Generika, der stellvertretend auch für den Verband forschender Arzneimittelhersteller sprach.
Er forderte Ärzte und Apotheker auf, zunächst Studien vorzulegen, die das Sparpotenzial belegen. Insgesamt hält Diessel das Modell für überflüssig. Schon heute sei ein Medikationsmanagement für Patienten Aufgabe von Hausärzten und Apothekern.
ABDA und KBV erhielten während der Anhörung keine Möglichkeit, ihr Modell selbst zu kommentieren. In ihren schriftlichen Stellungnahmen, die sie im Vorfeld der Anhörung beim Gesundheitsausschuss eingereicht hatten, verweisen beide Verbände jedoch auf die Bedeutung der Vorschläge für die Arzneimittelversorgung in Deutschland. Sie fordern, einen Anspruch auf Medikationsmanagement für chronisch Kranke gesetzlich festzulegen. »Zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit, der Therapietreue der Versicherten sowie der Kommunikation zwischen Arzt, Patient und Apotheker soll ein Medikationsmanagement im SGB V verankert werden, das auf einem Anspruch der Versicherten auf eine neue Leistung durch Arzt und Apotheker basiert«, schreibt die ABDA in ihrer Stellungnahme.
Ziel beider Verbände ist weiterhin, das Konzept insgesamt und über einen Modellversuch hinaus in das Versorgungsstrukturgesetz einzubringen. /