Galenische Plausibilitätsprüfung |
07.09.2010 16:52 Uhr |
Von Antje Lein / Die Verordnung standardisierter Rezepturen steht nach wie vor zahlenmäßig hinter frei komponierten Zubereitungen zurück. Da der Arzt die Verordnung in der Regel am Therapieziel orientiert, muss in der Apotheke vor der Herstellung die galenische Plausibilität geprüft werden. Welche Punkte dabei berücksichtigt werden müssen, und welche Recherchemöglichkeiten es gibt, soll im Folgenden gezeigt werden.
Bevor eine Rezeptur im Herstellungsablauf geplant und praktisch ausgeführt werden kann, muss sichergestellt sein, dass die Verordnung keine Fehler enthält und die Bestandteile miteinander verträglich sind. Die Leitlinie der Bundesapothekerkammer zur »Herstellung und Prüfung der nicht zur parenteralen Anwendung bestimmten Rezeptur- und Defekturarzneimittel« fordert daher zunächst eine Plausibilitätsprüfung.
Darreichungsform und Anwendung
Während es bei dermatologischen Rezepturen vergleichsweise einfach erscheint, ihnen die Art der Anwendung und bestenfalls sogar die Indikation zuzuordnen, ist bei Zubereitungen für andere Anwendungsbereiche nicht immer klar ersichtlich, wie, wo und wozu sie appliziert werden sollen.
Bevor eine Rezeptur praktisch ausgeführt werden kann, muss sichergestellt sein, dass die Verordnung keine Fehler enthält.
Foto: PZ/Müller
Um die Wirkstoffauswahl und die Zusammenstellung der Hilfsstoffe auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen zu können, muss Wesentliches zur Anwendung bekannt sein. Außerdem sind für bestimmte Darreichungsformen besondere Hygienemaßnahmen bei der Herstellung zu berücksichtigen, wie die Sterilisation von Augentropfen. Zudem wäre es schlecht, wenn der Patient mit dem Rezepturarzneimittel nicht umgehen kann, weil zum Beispiel das Abgabegefäß oder die Applikationshilfe für die vorgesehene Anwendungsart ungeeignet ist. Ist der Patient zu seiner Verordnung nicht ausreichend informiert, sind Unklarheiten durch Rücksprache mit dem Arzt auszuräumen. Das NRF 2010 wird Korrespondenzvorschläge für spezifische, häufig vorkommende Fälle machen (Muster siehe Serviceteil der Druckausgabe).
Rezepturformel
Hat der Arzt eine Rezepturformel mit Wirk- und Hilfsstoffen (Salben- oder Cremegrundlage) vorgegeben, kann die galenische Qualität direkt beurteilt werden. Verordnet er aber zum Beispiel nur eine wirkstoffhaltige »Salbe«, ist daraus weder eindeutig abzuleiten, ob er der Systematik nach tatsächlich eine Salbe im arzneimittelrechtlichen Sinne meint, noch liegt die Zusammensetzung vor. Zum Teil lassen die Akuität der Erkrankung und der Applikationsort eine Creme oder eine Hautemulsion sinnvoll erscheinen. In diesem Fall müssen Vorschläge ausgearbeitet und unter Umständen mit dem Arzt besprochen werden. Im besten Fall stehen standardisierte Rezepturen zur Verfügung. Das Neue Rezeptur-Formularium (NRF®) enthält mehr als 240 standardisierte Vorschriften für verschiedene Darreichungen und Indikationen. Mit dem Register im Loseblattwerk und der Suchfunktion auf der DAC/NRF-CD-ROM erhält man rasch einen Überblick, ob für die beanspruchte Anwendung eine passende Rezeptur zur Verfügung steht.
Bedenklich, umstritten und obsolet
Die moderne Arzneimittelrezeptur soll aktuellen Therapiestandards entsprechen. Die Verordnung obsoleter und umstrittener Wirk- und Hilfsstoffe ist deshalb kritisch zu prüfen. In erster Linie sollen Rezepturalternativen überlegt werden. Für zahlreiche solcher Fälle findet man in den NRF-Rezepturhinweisen (www.dac-nrf.de) Kommentierungen und Hinweise auf möglichen Ersatz. Wie für die Beurteilung der Anwendung, können für die Recherche von Therapiealternativen die AWMF-Leitlinien im Internet (www.leitlinien.net) genutzt werden. Besteht der Arzt auf der Verordnung, ist die Entscheidung für die Herstellung und Abgabe nachvollziehbar zu dokumentieren. Bedenkliche Stoffe im Sinne § 5 AMG dürfen in Rezepturen dagegen definitiv nicht verarbeitet werden. Hier endet auch die Therapiefreiheit des Arztes. Welche Stoffe als bedenklich eingestuft werden und wie die Verordnung umstrittener Stoffe zu beurteilen ist, ist in der Stellungnahme der Arzneimittelkommission zu bedenklichen Rezepturarzneimitteln nachzulesen (NRF, Allgemeine Hinweise I.5., Tab. I.5.-2 oder www.pharmazeutische-zeitung.de > AMK > Archiv).
Prüfzertifikate für Ausgangsstoffe
Wichtige Voraussetzung für die Herstellung einer Arzneimittelrezeptur ist die Qualität der Ausgangsstoffe. Dass diese pharmazeutische Qualität haben müssen, ist in der Apothekenbetriebsordnung festgeschrieben. Es muss in Erfahrung gebracht werden, ob die benötigten Rezeptursubstanzen in Spezifikationen des Europäischen, Deutschen beziehungsweise eines anderen nationalen Arzneibuches oder des Deutschen Arzneimittel-Codex (DAC®) und mit Prüfzertifikat erhältlich sind. Ist dies nicht der Fall, muss auch hier eine Alternative erarbeitet werden.
Deutscher Arzneimittel-Codex / Neues Rezeptur-Formularium: Prüfvorschriften, standardisierte Rezepturen, Haltbarkeitsbeurteilung (NRF I.4.), Umgang mit umstrittenen Rezepturen (NRF I.5.), obere Richtkonzentrationen dermatologischer Wirkstoffe (NRF I.6.)
Tabellen für die Rezeptur: Eigenschaften offizineller Grundlagen und Wirkstoffe, Konservierungsmittel, dermatologische Richtkonzentrationen
NRF-Rezepturhinweise online (www.dac-nrf.de): Inkompatibilitäten, Alternativen für umstrittene Stoffe, seltene Indikationen
Wirkstoffdossiers der Gesellschaft für Dermopharmazie: Wirkstoffeigenschaften, Inkompatibilitäten
Pädiatrische Dosistabellen, Normdosentabellen: Konzentrationen und Dosierungen insbesondere für nichtdermatologische Rezepturen
Herstellerinformationen: Rezepturen mit industriellen Basisdermatika, Kompatibilität
AWMF-Leitlinien (www.leitlinien.net): Therapieleitlinien aus unterschiedlichen Fachrichtungen
Konzentration der Wirkstoffe
Die Überprüfung der Dosierung beziehungsweise Wirkstoffkonzentration muss bei jeder eingehenden Rezepturverordnung Routine sein. Verordnungsfehler können passieren, auch wenn die Zubereitung häufiger in der Apotheke vorgelegt wird. Bei potenten Wirkstoffen können Dosis- oder Konzentrationsüberschreitungen gesundheitliche Risiken bergen. Ist die Überschreitung therapeutisch begründet, ist dies vom Arzt durch ein Ausrufezeichen kenntlich zu machen. Werden therapeutisch übliche Dosen unterschritten, ist der Therapieerfolg fraglich. Dermatologische Wirkstoffkonzentrationen und Dosierungen können zum Beispiel in den Tabellen für die Rezeptur (Beilage zum NRF 2009), den NRF-Rezepturhinweisen, in den Pädiatrischen Dosistabellen und Normdosentabellen nachgeschlagen werden. Obere Richtkonzentrationen ausgewählter dermatologischer Wirkstoffe gibt die Tabelle I.6.-1 in den Allgemeinen Hinweisen I.6. des NRF an.
Konservierung
In der Apotheke muss sichergestellt werden, dass das Rezepturarzneimittel über den angegebenen Aufbrauchszeitraum mikrobiologisch stabil ist. Die Konservierung ist dabei der Normalfall. Soll eine Zubereitung ausdrücklich unkonserviert abgegeben werden, soll der Arzt dies auf der Verordnung vermerken (»Nicht konserviert!«). Ob ein Wirkstoff selbst antimikrobielle Eigenschaften hat, und wie welche Darreichungsform konserviert werden kann, ist in den Tabellen für die Rezeptur nachzulesen.
Nicht alle Rezepturen sind ohne weiteres in der Apotheke herstellbar. Für die Rücksprache beim Verordner kann es unterschiedliche Gründe geben.
Foto: NRF/Lein
Inkompatibilitäten
Frei komponierte Rezepturen können sichtbare (manifeste) oder nicht sichtbare (larvierte) Unverträglichkeiten aufweisen. Sie sind meist auf chemische und physikalische Wechselwirkungen bei Wirkstoffkombinationen und zwischen Wirkstoffen und Grundlagenbestandteilen zurückzuführen, seltener auf Packmittelunverträglichkeiten. Als Beispiele seien Kation-Anion-Wechselwirkungen, Löslichkeitsveränderungen mit Ausfällungen oder unterschiedliche rezeptierbare pH-Bereiche genannt.
Informationen über mögliche Inkompatibilitäten und wie man sie umgehen kann, findet man in den NRF-Rezepturhinweisen, den Tabellen für die Rezeptur und den Wirkstoffdossiers der Gesellschaft für Dermopharmazie (www.gd-online.de). Bei Verwendung industrieller Basisdermatika sind die Hinweise der Hersteller zu beachten.
Aufbrauchsfrist
Die Dauer, über die das Rezepturarzneimittel ohne Qualitätseinbußen angewendet werden kann, ist für den Patienten eine wichtige Orientierung. Die früher häufig übliche Angabe »Zum alsbaldigen Verbrauch« ist nicht aussagekräftig. Dem Patienten soll eine klare Frist vorgegeben werden, die anhand der Stabilität der Zubereitung oder in bestimmten Fällen auch nach der Therapiedauer festgelegt wird. Hilfestellung gibt hier die Abbildung I.4.-1 in den Allgemeinen Hinweisen I.4. des NRF. Sie ermöglicht die Einordnung der Rezeptur in eine bestimmte Kategorie, aus der sich die Festlegung der Aufbrauchsfrist ableitet.
Checkliste
Für die Dokumentation der qualitätsgesicherten Rezeptur kann eine Checkliste zur Plausibilitätsprüfung hilfreich sein. Komprimiert nach den Empfehlungen der BAK-Leitlinie kann sie wie in obiger Abbildung dargestellt aussehen. Je nach Fragestellung sind gegebenenfalls weitere Maßnahmen zur Klärung notwendig. Ausführlich erläutert ist dies in den NRF-Rezepturhinweisen »Plausibilitätsprüfung der Rezeptur«. /
Prüfparameter | ja | nein | Maßnahme |
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Darreichungsform/Gebrauchsanweisung bekannt? | |||
Rezepturformel bekannt/rationale Wirkstoffkombination? | |||
Bedenkliche, umstrittene Bestandteile enthalten? | |||
Ausgangsstoffe mit Prüfzertifikat erhältlich? | |||
Konzentration der Wirkstoffe plausibel? | |||
Rezeptur konserviert? | |||
Inkompatibilitäten/Instabilitäten? | |||
Aufbrauchsfrist bekannt? |