Attacke des fremden Immunsystems |
14.08.2012 11:58 Uhr |
Von Verena Arzbach / Rund 11 000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich neu an Leukämie. Eine Übertragung von Stammzellen ist für viele dieser Patienten die einzige Chance auf Heilung. Vielfach richten sich die Immunzellen des Spenders jedoch gegen die Körperzellen des Empfängers. Das kann im Extremfall tödlich enden – oder dem Empfänger sogar zugute kommen.
Eine Chemotherapie allein reicht bei Leukämie-Patienten häufig nicht, um alle entarteten Zellen zu zerstören. Für viele ist daher eine Transplantation blutbildender Stammzellen die einzige Option. Damit erhält der Patient ein komplett neues Immunsystem. Bei allogener Stammzellübertragung, wenn also der Patient die Stammzellen eines Fremden erhält, kann es jedoch auch zu einer unerwünschten Immunantwort kommen, der sogenannten Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion (englisch Graft-versus-Host-Disease, GvHD). Die Immunzellen des Spenders erkennen dabei die Körperzellen des Empfängers als fremd und greifen diese an.
HIV-Medikament gegen Abstoßungsreaktion
Die gefürchtete Reaktion richtet sich oft gegen Haut-, Leber- oder Darmzellen des Betroffenen. Es kommt zu Hautausschlägen, Mukositis und Gelbsucht, in schweren Fällen zu starken Durchfällen und Organversagen. Eine akute GvHD tritt bei Patienten, die Stammzellen von einem verwandten Spender mit identischen Leukozyten-Oberflächenmerkmalen erhalten haben, mit 30- bis 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit auf. Da bei einem Fremdspender oft weniger Merkmale mit dem Patienten übereinstimmen, liegt das Risiko hier bei 50 bis 70 Prozent. Bei mehr als drei Viertel aller Patienten mit akuter GvHD treten Hautreaktionen auf, mehr als die Hälfte sind von gastrointestinalen Beschwerden betroffen.
Patienten mit Leukämie haben vor und unmittelbar nach einer Stammzelltransplantation praktisch keine Immunabwehr. Sie müssen daher in speziellen Reinräumen isoliert werden, um Infektionen zu vermeiden.
Foto: dpa
Bei der Erkrankung spielen T-Zellen eine wichtige Rolle. Diese werden unter anderem über Chemokine rekrutiert, die an den CCR5-Rezepor binden. Denselben Rezeptor nutzen auch HI-Viren, um in CD4+-Helferzellen einzudringen. Das HIV-Medikament Maraviroc blockiert den CCR5-Rezeptor und verhindert so das Eindringen der Viren in die Zelle. Der Wirkstoff könnte daher auch das Potenzial haben, eine GvHD nach einer Stammzelltransplantation zu verhindern, wie US-Forscher kürzlich im »New England Journal of Medicine« berichteten (doi: 10.1056/NEJMoa1201248). Anhand von In-vitro-Tests zeigten sie, dass Maraviroc die Chemotaxis durch Zytokine verhindern kann. Auch eine kleine Studie an 38 Patienten habe erste positive Ergebnisse geliefert, so die Forscher. Die Rate einer schweren GvHD lag mit 6 Prozent deutlich niedriger als erwartet.
Obwohl die GvHD in einer schweren Verlaufsform tödlich enden kann, ist sie in einer milden Form durchaus erwünscht. Denn Studien haben gezeigt, dass das Auftreten einer GvHD mit signifikant weniger Rezidiven der Krebserkrankung assoziiert ist. Erklärt wird dies damit, dass die fremden Stammzellen auch verbliebene Krebszellen abtöten. Dieser sogenannte Transplantat-gegen-Leukämie-Effekt (englisch Graft-versus-Leukemia, GvL) kann heute in der Therapie gezielt eingesetzt werden.
Therapie ist besser verträglich
So soll eine Infusion von Lymphozyten des Spenders wenige Wochen nach der Stammzelltransplantation den positiven GvL-Effekt verstärken und das Rezidiv-Risiko senken. Zum Einsatz kommt diese Therapie heute bei Rückfällen nach einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation. Auch bei der dosisreduzierten Transplantation, der sogenannten Minitransplantation, nutzen Mediziner den GvL- Effekt. Der Patient erhält dabei eine weniger intensive Chemotherapie, die nicht alle Krebszellen abtötet, aber das Immunsystem schwächt. Die Immunzellen des Spenders zerstören dann die Leukämiezellen des Empfängers.
Ein großer Vorteil des Verfahrens ist, dass es im Vergleich zur sonst bei akuten Leukämien eingesetzten, sehr aggressiven Chemotherapie wesentlich besser verträglich ist. So können Ärzte auch ältere Patienten oder Patienten mit schlechtem Allgemeinzustand mit einer Stammzelltransplantation behandeln. Es treten weniger Organschäden auf, weniger inflammatorische Zytokine werden freigesetzt. Morbidität und Letalität nach der Transplantation sind geringer. Dennoch ist die Inzidenz einer akuten GvHD hoch, die Symptome fallen jedoch moderater aus. /
Obwohl weltweit mittlerweile mehr als 13 Millionen Stammzellspender registriert sind, findet in Deutschland noch jeder fünfte Patient keinen passenden Spender. Grundsätzlich kann jeder gesunde Mensch zwischen 18 und 55 Jahre Spender werden. Zur notwendigen Typisierung der Gewebemerkmale reicht ein Wangenabstrich. Das zentrale Knochenmarkspenderregister bietet Interessierten unter www.zkrd.de Informationen sowie eine Übersicht über alle deutschen Spenderdateien. Sets zur Typisierung können auch online bei der deutschen Knochenmarkspenderdatei DKMS unter www.dkms.de angefordert werden.