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Demenzpatienten

Bloß nicht ins Krankenhaus

17.07.2012  11:22 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler / Ein Klinikaufenthalt wirft demenzkranke Menschen oft völlig aus der Bahn. Häufig verschlechtert sich ihr Zustand dadurch massiv, wie eine Studie aus den USA belegt. Um Demenzpatienten besser zu versorgen, fordern Experten spezielle Weiterbildungen für Ärzte und Pflegende. Auch Angehörige sollten an der Betreuung auf Station beteiligt werden.

Etwa die Hälfte der Alzheimer-Patienten, die in ein Krankenhaus aufgenommen werden, entwickelt dort ein Delir (Verwirrtheitszustand). Das verschlimmert ihre Situation weiter, wie eine Untersuchung des US-amerikanischen Massachusetts Alzheimers Disease Research Center ergab. Die Studie, publiziert im Fachblatt »Annals of Internal Medicine« (156 (2012) 848-856), schloss 771 Patienten mit der klinischen Diagnose Alzheimer-Demenz ein. Die Patienten waren im Mittel 77 Jahre alt, litten an eher milder Demenz und hatten wenige Begleiterkrankungen.

Von den Patienten, die in der Klinik ein Delirium erlitten hatten, kamen 43 Prozent innerhalb eines Jahres in ein Senio­renheim. Von den hospitali­sier­ten Patienten ohne Delir waren es 29 Prozent. Dagegen mussten nur 4 Prozent der Demenz­kran­ken ohne stationären Klinikaufenthalt innerhalb Jahresfrist in ein Seniorenheim aufgenommen werden. Auch die Sterberate war am höchsten bei den Delir-Patienten. Von ihnen starben 15 Prozent während des Beobachtungs­zeitraums, deutlich mehr als von den hospitali­sierten Patienten ohne Delir (9 Prozent) und von den Patienten ohne Krankenhausaufenthalt (2 Prozent).

 

Ungewohnte Umgebung macht Angst

 

Ein Klinikaufenthalt kann demnach für Demenzpatienten katastrophale Folgen haben kann. Das liegt vor allem daran, dass ihnen in der unbekannten Umgebung alles fremd und unheimlich ist. Was das für die Patienten bedeutet, erklärte Christine Zarzitzky, Geschäftsführerin der Alzheimer Gesellschaft München, im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung: »Menschen mit Demenz können sich meist nicht kurzfristig auf neue Umgebungen einstellen und verstehen nicht, wo sie sich befinden und warum. Nicht zu verstehen, was passiert, erzeugt ein Gefühl von Hilflosigkeit, das zu starker Unruhe und Abwehrverhalten führen kann.«

 

In den meisten Krankenhäusern gebe es niemanden, der Demenzkranken die Abläufe in Ruhe erklärt. Viele Patienten könnten ihre Schmerzen und Anliegen gar nicht richtig mitteilen, berichtete Zarzitzky. Die Unruhe im Zimmer durch Menschen, die bei der Visite oder Pflege kommen und gehen, und zu schnelles Reden wirken verstörend. Zudem würden medizinische Maßnahmen nicht als helfend, sondern oft als bedrohlich wahr­genommen. »Das alles macht Angst.«

 

Pflegerische und medizinische Defizite konstatierte vor Kurzem auch eine Studie des Lehrstuhls für Geriatrie der Universität Witten-Herdecke. In einer Pressemitteilung kommentierte Ko­autor Professor Dr. Ingo Füsgen: »Für diese Patienten mit kognitiven Störungen wird der Aufenthalt zu einer Einbahnstraße in ein Pflegeheim, weil die Untersuchungen und Behandlungen die Verwirrung weiter steigern können.« Basis der Untersuchung bildete eine deutschlandweite Befragung von rund 130 Pflegedirektionen in Krankenhäusern.

 

Der Erhebung zufolge leiden etwa 30 Prozent aller Patienten in Krankenhäusern unter Hirnleistungsstörungen oder Demenz. In geriatrisch spezialisierten Abteilungen ist es sogar die Hälfte der älteren Patienten. Doch weder Ärzte noch Pflegende seien auf Patienten mit kognitiven Störungen eingestellt. Sie seien zudem unzureichend dafür ausgebildet, kritisierte Füsgen. Der Geriater forderte daher spezielle Weiterbildungen für Ärzte und Pflegende im Umgang mit Demenzpatienten, Erfassung des Risikopotenzials bei der Aufnahme, wie es beispielsweise für das Wundliegen längst üblich ist, und Anpassungen bei den Fallpauschalen.

 

Angehörige können helfen

 

Selbst wenn all diese Vorschläge umgesetzt werden, kann damit erst in der Zukunft die Versorgung von Demenz­patienten verbessert werden. Angehörige wollen und können Betroffenen aber bereits heute viel helfen. Ideal ist es, wenn sie möglichst lange bei ihrem demenzkranken Verwandten in der Klinik bleiben können. Doch dieses sogenannte Rooming-in ist nur in manchen Häusern vorgesehen. »Ich weiß von einer Angehörigen, die mit der eigenen Liege ausgerüstet im Krankenzimmer blieb, nachdem man ihr gesagt hatte, dass Rooming-in nicht möglich sei«, berichtete Zarzitzky.

 

Können die Angehörigen nicht dableiben, hilft es, wenn sie Angaben etwa zu körperlichen Einschränkungen, Sprachverständnis und Sprechfähigkeit oder zur regionalen Herkunft des Patienten für die Pflegekräfte auf einem Informationsbogen zusammenfassen. Einen entsprechenden Vordruck finden Interessierte auf der Website der Deutschen Alzheimer Gesellschaft unter http://tinyurl.com/d75omga. Außerdem empfiehlt Zarzitzky, guten Kontakt zu den Pflegekräften und den Zimmernachbarn zu halten. Angehörige könnten ihnen auffällige Verhaltensweisen des Patienten erklären und damit Verständnis für dessen Situation schaffen.

 

Hilfen bieten auch die Krankenhäuser an. Der Krankenhaussozialdienst stehe Angehörigen während des Klinikaufenthalts beratend zur Verfügung, betont die Alzheimer-Expertin. Sehr hilfreich sind Ehrenamtliche, die sich stundenweise um Demenzkranke oder andere Menschen mit Unterstützungsbedarf kümmern. Doch dieses Angebot ist längst kein Standard, bedauert Zarzitzky: »Leider sind die meisten Krankenhäuser noch nicht auf die Unterstützung durch Ehrenamtliche ausgerichtet.« / 

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