Zu viele Psychopharmaka zur Ruhigstellung |
Brigitte M. Gensthaler |
23.11.2020 18:00 Uhr |
Viele Demenzpatienten bekommen Antipsychotika oder Hypnotika gegen Unruhe oder Aggressivität. Meist schadet ihnen dies mehr als es nützt. / Foto: Adobe Stock/bilderstoeckchen
Für den Demenzreport 2020 wertete der Apotheker und Gesundheitswissenschaftler Glaeske in Kooperation mit der Handelskrankenkasse (HKK) Daten von HKK-Versicherten mit Demenzdiagnose aus den Jahren 2017 bis 2019 in Bremen, Niedersachen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen aus. Im vergangenen Jahr erhielt demnach rund ein Drittel Antipsychotika verordnet. 22,3 Prozent bekamen Antidementiva, 10,6 Prozent Benzodiazepine und 3,8 Prozent Z-Substanzen.
Dieses »Missverhältnis« zwischen Antipsychotika – klassische ebenso wie atypische – und Antidementiva kritisierte Glaeske bei der Online-Präsentation des Demenzreports vergangene Woche nachdrücklich. Seit Langem sei aus Studien bekannt, dass Antipsychotika das Mortalitäts- und Schlaganfall-Risiko bei Demenzpatienten um das 1,6- bis 1,7-Fache erhöhen. Die Analyse zeige sogar, dass der prozentuale Anteil der HKK-Versicherten mit Antipsychotika-Verordnungen über die Jahre insgesamt gestiegen ist. Die meisten Antipsychotika, Z-Substanzen und Benzodiazepine würden von Hausärzten verordnet, während Antidementiva-Rezepte vor allem von Neurologen kommen.
Antipsychotika werden meist wegen Verhaltensauffälligkeiten und nicht kognitiven Symptomen verordnet. Tatsächlich entwickeln viele Demenzkranke Halluzinationen, Unruhe, Aggressivität, Angst oder Apathie, die die Pflegenden hochgradig belasten. Es sei aber nicht belegt, dass die Medikamente Verhaltensstörungen bei den Betroffenen positiv beeinflussen; sie könnten dagegen die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, mahnte der Arzneimittelexperte. Zugelassen bei Demenzkranken ist nur Risperidon für sechs Wochen bei bestimmten Indikationen.
Die meisten Antipsychotika werden in der stationären Pflege eingesetzt. »Dies lässt stark vermuten, dass der Mangel an Pflegepersonal durch die Arzneimittel ausgeglichen werden soll; das ist nicht zu verantworten«, betonte Glaeske. Die Ruhigstellung von Menschen könne keine Strategie sein. Nur im Einzelfall sei es vertretbar, diese Medikamente längere Zeit zu geben.
Als Alternative forderte Glaeske eine personenzentrierte, aktivierende Pflege und mehr Personal, um den Bedarf an Medikamenten zu senken. »Gebt uns mehr Pfleger, dann brauchen wir weniger Haldol«, zitierte er einen Pfleger.