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TCM

Traditionell heilen, modern forschen

12.07.2010  17:37 Uhr

Von Daniela Biermann, Hamburg / In Hamburg hat Anfang Juli das erste deutsche Zentrum für traditionelle chinesische Medizin (TCM) eröffnet. Altes heilkundliches Wissen trifft hier auf evidenzbasierte Wissenschaft.

In einem alten Backsteingebäude mitten auf dem Campus des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) liegt der Geruch von Beifuß in der Luft. Am Empfang des »HanseMerkur Zentrums für traditionelle chinesische Medizin« begrüßt eine chinesische Studentin in hochgeknöpfter Seidenbluse die Patienten. Fotografien typischer Landschaften Chinas hängen an den Wänden. Die Räume sind hell und sparsam eingerichtet.

Auf einer Pritsche liegt Sylke Renner – ganz entspannt, obwohl gleich 18 Na­deln in jedem ihrer Füße stecken wer­den. Seit etwa zwei Jahren leidet die 54-Jährige an einer idiopathischen Poly­neu­ropathie. Gegen dieses Nerven­leiden sind die Behandlungsmöglich­keiten der Schulmedizin begrenzt. Daher hofft Renner nun auf die TCM. Es ist bereits ihre zehnte Akupunktursitzung. »An­fangs tat die Therapie etwas weh«, er­zählt die Patientin. Mittlerweile vertrage sie nicht nur die Nadeln besser, auch die Symptome haben sich gebessert.

 

»Im Alltag sehen wir die Erfolge, und die Patienten sind zufrieden«, sagt der Neu­rologe Dr. Sven Schröder, einer der Ge­schäftsführer des von Privatversiche­rer HanseMerkur und der Stadt Hamburg geförderten Zentrums. »Wir wollen je­doch nach objektiven Parametern su­chen, um diese Erfolge zu überprüfen.« Ziel ist, eine Brücke zwischen der Schul- und der sogenannten Alternativmedizin zu bauen, ergänzt Dr. Roland Salchow, ebenfalls Geschäftsführer des neuen Zentrums und dessen Initiator. »Bis jetzt hat die evidenzbasierte Medizin die Augen vor der Komplementärmedizin verschlossen, daher ist die Qualität vieler Angebote ungewiss«, sagt Professor Dr. Jörg F. Debatin, Ärztlicher Direktor des UKE. Im neuen TCM-Zentrum sollen die Patienten nicht nur von chinesischen und deutschen Ärzten mit Teemischungen, Akupunktur, Moxibustion und anderen Techniken mit hohem Qualitätsanspruch behandelt werden. Parallel führt ein internationales Wissenschaftlerteam klinische Studien durch, die die alternativen Heilmethoden auf eine evidenzbasierte Grundlage stellen sollen. Auch der molekulare Wirkmechanismus von Akupunktur und TCM-Drogen soll analysiert werden. Dabei arbeitet das TCM-Zentrum zusammen mit dem UKE, der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, einer niederländischen Forschungseinrichtung in Utrecht sowie zwei Universitäten aus Hamburgs Partnerstadt Schanghai.

 

Drogen aus zertifizierten Apotheken

 

»Wir wollen unter anderem den Therapieeffekt von chinesischen Arzneidrogen überprüfen«, berichtet Schröder der Pharmazeutischen Zeitung. Und zwar mit hochmodernen Methoden wie Genomics, Proteomics und Metabolomics. »Diese Untersuchungen wollen wir auch mit klinischen Studien verbinden«, so der Neurologe, der seine TCM-Ausbildung in Deutschland und China absolvierte. »Bei vielen Drogen kennen wir nicht einmal die wirksamen Inhaltsstoffe. Daher werden wir auch Naturstoffanalysen betreiben.« Die Arzneidrogen bezieht das Zentrum ausschließlich über deutsche Apotheken, die sich auf TCM spezialisiert haben und entsprechend zertifiziert sind. Dazu zählen die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Deutscher TCM-Apotheken (www.tcm-apo.de). »Nur so können wir sichergehen, Material in guter Qualität zu erhalten«, betont Schröder. »Identität, Pestizid- und Schwermetallgrenzwerte müssen stimmen. Außerdem verwenden wir keine artgeschützten Pflanzen. Wir warnen auch unsere Patienten davor, sich selbst TCM-Drogen über ausländische Internetapotheken zu bestellen.« In einer ersten klinischen Studie wollen die Wissenschaftler auch die Wirksamkeit der Akupunktur bei Polyneuropathien überprüfen. »Hierfür haben wir bereits Drittmittel einwerben können«, berichtet Schröder. In die Studie sollen etwa 120 Probanden eingeschlossen werden, die an verschiedenen Arten der Polyneuropathie leiden, zum Beispiel einer Diabetes bedingten oder einer chemotherapieinduzierten Neuropathie. Während einige Patienten traditionell mit Nadeln behandelt werden, erhält eine zweite Gruppe eine moderne schmerzfreie Laser-Akupunktur. In der Placebogruppe wird der Laser für die Probanden unbemerkt inaktiviert. Als objektiver Parameter wird die Veränderung der Nervenleitungsgeschwindigkeit gemessen.

 

Um einen Placeboeffekt zu vermeiden, wechseln die Therapeuten. Heute behandelt Dr. Katrin Banhart die Patientin Sylke Renner. Während ihres Medizinstudiums hat Banhart drei Monate in China verbracht, um die traditionelle Heilkunde zu lernen. Der Unterricht war zum Teil auf Chinesisch, daher habe sie dort vor allem durch Zuschauen und Praktizieren gelernt. Zu einer TCM-Ausbildung gehört auch eine jahrelange theoretische Fortbildung, die Banhart neben ihrer Ausbildung zur Fachärztin für Allgemein- und Innere Medizin in Deutschland absolviert. »Letztlich ist es ein lebenslanges Studium«, sagt Banhart.

Das weiß auch Dr. Hu Weiguo. Die Ausbildung von Medizinern und Apo­thekern in China besteht zu etwa glei­chen Anteilen aus westlicher Schul­medi­zin und traditioneller Heilkunde, erklärt er der PZ. Nach seiner medizinischen Aus­bildung in China arbeitete er bereits in Nizza und Genf. Hu ist Vize-General­sekre­tär der World Federation of Acu­punc­ture-Moxibustion Societies (WFAS), die der Weltgesundheits­organi­sation angeschlossen ist. Ihm liegt die evidenzbasierte Medizin (EBM) daher sehr am Herzen. Er forscht daran, welche Krankheiten mit Akupunktur nach EBM-Kriterien behandelt werden können. In ihrem Fortschrittsglauben hätten viele Chinesen in den vergan­ge­nen Jahren das Interesse an ihrer eige­nen traditionellen Heilkunde verloren. Der Fokus läge auf westlicher Schulmedizin. Seit 2008 nimmt sich jedoch die chinesische Politik der TCM an. »Die Politik unterstützt nun die Erforschung und Anwendung der TCM«, so Hu. Die Forschungsgelder hätten sich seitdem verzehnfacht. »Mittlerweile gibt es auch EBM-Zentren für TCM in China«, so Hu. TCM-Praktiken würden mittlerweile weltweit genutzt. Nun gelte es, gemeinsame Standards zu entwickeln. Informationen: www.tcm-am-uke.de/

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