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Kritik am AMNOG auch von Kassen

13.07.2010  16:35 Uhr

Von Werner Kurzlechner, Berlin / Der Gesetzgeber plant, das Substitionsgebot für Rabattarzneimittel zu lockern. Krankenkassenvertreter sind damit überhaupt nicht einverstanden, bekennen sich aber zum Patientennutzen als Richtschnur ihres Handelns.

Von einem Fehlerforscher und selbsternannten »AMNOG-Alien« sind unkonventionelle Einblicke fast zu erwarten. Prof. Matthias Schrappe, Direktor des Institutes für Patientensicherheit der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, erfüllte diese Annahme vergangene Woche mühelos und nahm dabei ausdrücklich die Apotheker in die Pflicht. Die Barmer GEK und das Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen hatten in Berlin zu einem Kongress über Arzneimittelbewertung und -versorgung geladen, auf dem selbstverständlich das AMNOG im Mittelpunkt stand, also das geplante Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz der Bundesregierung.

 

Schrappe blieb bewusst abseits der zentralen Aspekte im Gesetzentwurf und hielt ein flammendes Plädoyer für ein flächendeckendes und zielorientiertes Aufspüren von Fehlern in der Arzneimitteltherapie. Damit sind nicht die unerwarteten Ereignisse durch Wechsel- und Nebenwirkungen gemeint, sondern das Ausleuchten von menschlichen Versehen und Fehlern – durch Ärzte etwa, die unbedacht ein Rezept fehlerhaft ausfüllen, oder Pfleger, die irrtümlich zur grünen statt zur roten Pillen greifen. Der gelernte Infektiologe Schrappe sprach sich vehement dafür aus, Daten über wie auch immer bemerkte Fehler systematisch zu erfassen, um daraus lernen und im Sinne der Patienten richtige Schlüsse ziehen zu können. Mehr als erste Ansätze gebe es in Deutschland bisher nicht.

 

Hier brachte der Mediziner die Apotheker ins Spiel: »Diese befreundete Großgruppe könnte hier eine wichtige aktive Rolle übernehmen.« Also mitdokumentieren und die Vorgänge bei der Therapie genau im Blick behalten. Voraussetzung dafür sei ein verändertes Selbstverständnis. Die Apotheker sollten weniger als Einzelkämpfer denn als Teamarbeiter an der Seite von Ärzten auftreten, so Schrappe.

Auch in der engeren Diskussion über das AMNOG standen die Apotheken mit im Fokus – etwa in der Kritik von Dr. Rolf-Ulrich Schlen­ker an der anvisierten Regelung. Der Stellver­tretende Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK lederte etwa gegen die vorgesehene Lockerung des Substitutionsgebots für Ra­batt­arzneimittel in der Apotheke. »Das will uns nicht einleuchten, weil es die Rabatt­verträge aushebelt«, so Schlenker. So sei eine Umsatzgarantie für die Pharmahersteller kaum mehr möglich. Außerdem bestehe die Gefahr, dass Patienten ohne medizinische Notwendigkeit finanziell übervorteilt würden.

 

Ferner belaste die Kostenerstattungsregelung die Kassen mit erhöhtem Verwaltungsaufwand. Schlenker stellte überhaupt die Kassensicht ungeschminkt dar: »Die vorgesehene Mehrkostenregelung ist für einen Kassenvertreter schrecklich.« Außerdem hätte die Barmer sich eine »echte vierte Hürde« gewünscht, also eine für die Erstattung in der GKV bindende Kosten-Nutzen-Bewertung bereits zum Zeitpunkt der Zulassung eines neuen Medikaments.

 

Keine Vergleiche mit dem Ausland

 

An einer Stelle habe er inzwischen dazugelernt, so Schlenker. Ein Vergleich der hierzulande erstatteten Preise für innovative Arzneimittel mit dem europäischen Ausland bringe in der Praxis nichts, weil neue Wirkstoffe in der Regel zuerst in Deutschland eingeführt würden. Die Barmer-Vorstandsvorsitzende Birgit Fischer suchte derweil den Schulterschluss mit den Patienten. »Wesentlicher Maßstab für Arzneimittelinnovation und -gesetzgebung muss der Patientennutzen sein«, so Fischer.

Auf eine mögliche Gefahr im jetzigen AMNOG-Entwurf machte der Mannheimer Ökonom Professor Dr. Eberhard Wille aufmerksam. Im Falle von Medikamenten, für die kein Substitut zugelassen sei, könne die Höchstbetragsrege­lung unter Umständen dazu führen, dass Patienten für ihre Therapie künftig zuzahlen müssen. »Die Tendenz des Gesetzentwurfes geht aber in die richtige Richtung«, so Wille.

 

Eine frühzeitige Kosten-Nutzen-Bewertung sei ökonomisch sinnvoll, weil schon der inter­natio­nale Vergleich der Arzneimittelausgaben pro Kopf vorhandene Effizienzpotenziale aufzeige. Aller­dings würden die 542 Euro jährlich pro Bundes­bürger in Ländern wie Griechenland, Frankreich oder den USA übertroffen. Im Markt für generi­kafähige Arzneimittel sei das Potenzial mittlerweile weitgehend ausgereizt. »Fortschritte sind bald nur noch schwer möglich«, sagte Wille. / 

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