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USA

Gesundheitsreform läuft an

22.06.2010  17:07 Uhr

Von Nils Franke, Berlin / Die USA arbeiten an der Gesundheitsreform. Ein enormer Umbau des gesamten Finanzierungssystems steht bevor. Die Vergütung soll nach Leistung erfolgen. Dafür müssen sektorübergreifende Daten her. Auf einem neuen Versicherungsmarkt soll sich jeder Bürger versichern können.

Am 22. März konnte Barack Obama das Gesetz nach langem Ringen unterzeichnen. Der US-Präsident hatte vor allem damit geworben, dass jeder US-Bürger einen Versicherungsschutz bekommen sollte. Dies sei aber eher Mittel zum Zweck, erläuterte Dr. Joachim Roski. »Die wirkliche Zielsetzung ist, die Qualität deutlich zu erhöhen und die Kosten zu senken.« Roski ist zuständig für hochwertige Gesundheitswesen im Brookings Institut, einem großen konservativem Think Tank der USA. In dieser Funktion begleitet er die Reform wissenschaftlich und berät Politiker und Interessenvertreter.

 

Kostenzuwachs von 600 Prozent

 

Dass etwas getan werden muss, sei mittlerweile über die Parteigrenzen hinweg akzeptiert, sagte er auf einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung in Berlin. In einzelnen Bundesstaaten seien die öffentlichen Ausgaben extrem hoch. In den USA sind die über 65-Jährigen staatlich versichert, bei ihnen zahlen einzelne Staaten bis zu 16 000 Dollar pro Kopf und Jahr. Insgesamt sind die Kosten im Gesundheitswesen extrem gestiegen. »Eine Zuwachsrate von 600 Prozent in den letzten dreißig Jahren, das ist natürlich ein unglaublicher Druck.«

Dabei zeuge das teure amerika­nische System noch nicht ein­mal von hoher Qualität. Offenbar stelle sich sogar ein nega­tiver Zu­sammenhang ein, sagt Ros­ki. »Je mehr Geld die Bundes­staaten ausgeben, desto weni­ger Qualität im Gesundheitswe­sen haben sie.« Das habe zum einem damit zu tun, dass bei hohen finanziellen Aufwendun­gen auch die Dichte der Leis­tungserbringer entsprechend hoch sei. »Bei acht bis zwölf Ärzten, die ein Chroniker pro Jahr in Anspruch nimmt, kann man sich vorstellen, das in der Kommunikation auch schon mal was schiefläuft. Es wird teurer und schwieriger, diese Art der Versorgung zu organisieren«, erklärt Roski.

 

Die Reform setzt an drei Schwachstellen des Systems an. Zum einen daran, den Versicherungsschutz auszudehnen – auch um zu sparen. »Denn es ist ja nicht so, dass die Nicht-Versicherten nicht behandelt werden«, sagt Roski. Die einzelnen Bundesstaaten sollen jetzt Märkte für Versicherungen schaffen. Es besteht Kontrahierungszwang, drei verschiedene Versicherungsklassen sollen angeboten werden. Die Prämien werden nach Risiko errechnet. Eine öffentliche Kasse wird es, anders als von Obama angestrebt, nicht geben.

 

Zweitens will die Regierung deutlich mehr für Prävention tun. »Da ist viel Raum, um auf das Patientenverhalten – in den Bereichen Ernährung und Tabakkonsum etwa – einzuwirken. Das Dritte ist die Verbesserung der Versorgung: Wie können Leistungserbringer zusammenarbeiten, und wie lässt sich sektorübergreifende Kommunikation schaffen? Zentrale Bedeutung erlangten hier das Sammeln der Daten und Qualitätsmessungen, so Roski. »Der Hausarzt soll wissen, welchen Test der Facharzt macht oder dass jemand gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurde und nun zur Nachsorge zu ihm kommt.«

 

Leistungsorientierte Vergütung

 

Eine Chipkarte, wie die in Deutschland geplante elektronische Gesundheitskarte, hätten die Amerikaner nie wirklich erwogen. Es laufe eher auf eine Internetlösung hinaus, wo Patienten und Ärzte in die Akte etwas eintragen können.

 

Aus den Daten sollen die Träger dann auch Leistungsresultate abzweigen. Ärzte und andere Leistungserbringer werden somit vergleichbar. Gleichzeitig soll daraus eine leistungsorientierte Vergütung entstehen. Wer gute Ergebnisse erzielt, erhält Boni. Die Hälfte der Einsparungen könnte so an die Versicherung gehen, die andere an die Leistungserbringer, vorausgesetzt die Qualitätsvorgaben werden einge­halten.

 

Noch ist viel zu tun, um das Gesetz umzusetzen. »Die Reform ist eine enorme Möglichkeit des Erfolgs, aber auch des Scheiterns«, weiß Roski. / 

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