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Metoprolol

Austauschbarkeit von Retardpräparaten

21.06.2010  13:48 Uhr

Von Nina Griese, Ralf Goebel, Sabine Breiholz und Martin Schulz / Unter den Metoprolol-Retardpräparaten finden sich Fertigarzneimittel mit einer Freisetzungskinetik 1. und 0. Ordnung. In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass von der Apothekensoftware ein Rabattarzneimittel mit einer anderen als der verordneten Freisetzungskinetik vorgeschlagen wird. Was ist in einem solchen Fall zu beachten?

Metoprolol ist ein Betablocker mit einer höheren Affinität zu den β1- als zu den β2-Adrenorezeptoren (»kardioselektiv«). Zu seinen wichtigsten Anwendungsgebieten zählen arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit (KHK), tachykarde Herzrhythmusstörungen und eine stabile chronische Herzinsuffizienz.

In Fertigarzneimitteln des deutschen Marktes sind zwei unterschiedliche Metoprolol-Salze enthalten: Metoprolol(hemi)succinat und Metoprolol(hemi)tartrat (Tabelle). Nach peroraler Applikation wird das unretardierte Metoprolol(-tartrat) nahezu vollständig und rasch aus dem Gastro­intestinaltrakt resorbiert. Eine Resorption erfolgt im gesamten Dünndarm sowie im Kolon.

 

Ein ausgeprägter First-Pass-Metabolismus reduziert die systemische Verfügbarkeit je nach Darreichungsform auf circa 35 bis 50 Prozent. Metoprolol hat eine Plasmahalb­wertszeit von drei bis sechs Stunden, weshalb unretardiertes Metoprololtartrat auf zwei Tagesgaben verteilt werden sollte, um einen ausreichenden Wirkspiegel über 24  Stunden zu erhalten (1).

Tabelle: Übersicht über Präparate mit Metoprololtartrat und -succinat (Stand: 1. Juni 2010)

Metoprolol-
Salz
Art der Freisetzung (Kinetik) Bezeichnungen/
Namenszusätze der Retardierung
Gehalt in mg, Salz Gehalt in mg, Metoprolol Teilbarkeit Indikationsgebiete
Metoprolol-
tartrat
unretardierte Tabletten 50 39,04 alle außer Jutabloc® teilbar (Metoprolol axcount® nur zur erleichterten Einnahme), einige viertelbar 1. arterielle Hypertonie
2. koronare Herzkrankheit
3. Tachykarde, Herzrhythmusstörungen
4. Migräneprophylaxe
5. Reinfarktprophylaxe
6. hyperkinetisches Herzsyndrom
7. Akutbehandlung des Herzinfarktes
dito 100 78,08 alle teilbar (Metoprolol axcount® nur zur erleichterten Einnahme), einige viertelbar 1. bis 7.
Retard-
tabletten, Freisetzungs-
kinetik 1. Ordnung
retard 100 78,08 alle außer Metobeta® halbierbar 1. bis 6.
dito dito 200 156,17 alle außer Metoprolol axcount® halbierbar 1. bis 6.
Retard-
tabletten, Freisetzungs-
kinetik 0. Ordnung (ZOK-Galenik)
NK, NT, O.K., Zero, Z, ZNT, ZOT
plus retard
50 39,04 alle halbierbar 1. bis 5.
dito dito 100 78,08 alle halbierbar 1. bis 5.
dito dito 200 156,17 alle halbierbar 1. bis 5.
Metoprolol-
succinat
Retard-
tabletten, Freisetzungs-
kinetik 0. Ordnung(ZOK-Galenik)
retard
nur bei Beloc®
ZOK
Kennzeichnung der 0. Ordnung
23,75 19,45 alle halbierbar 1. bis 6.
8. stabile chronisch gering bis mäßig ausgeprägter Herzmuskelschwäche mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion (linksventrikuläre
Auswurfrate ≤40 Prozent)
dito dito 47,5 38,91 alle halbierbar dito
dito dito 95 77,82 alle halbierbar dito
dito dito 142,5 116,72 alle drittelbar dito
dito dito 190 155,63 alle halbierbar dito

Anhand des unterschiedlichen Freisetzungsverhaltens können Metoprolol-Präparate des deutschen Marktes in drei Gruppen unterteilt werden:

 

schnell freisetzende Präparate

Retardpräparate mit einer Freisetzungskinetik 1. Ordnung

Retardpräparate mit einer Freisetzungskinetik 0. Ordnung.

 

In den 1980er-Jahren wurden retardierte Metoprololtartrat-Formulierungen mit einer Freisetzungskinetik 1. Ordnung eingeführt, die vielfach eine tägliche Einmalgabe ermöglichen. Die Freisetzungskinetik 1.  Ordnung führt allerdings in den ersten Stunden nach Einnahme zu höheren Plasmaspitzenkonzentrationen als nach 12 beziehungsweise 24 Stunden(2). Somit ist in den ersten Stunden nach Einnahme eine stärkere Hemmung des Sympathikus (Herzfrequenzsenkung) zu beobachten, als vor Ablauf des Einnahmeintervalls.

 

In den 1990er-Jahren wurde Metoprololsuccinat mit dem Mikropellet-Retardprinzip auf den Markt gebracht. Vom Hersteller wurde die Bezeichnung »ZOK-Retardierung« (zero order kinetic) eingeführt, da sie eine Freisetzungskinetik 0. Ordnung ermöglicht und somit die Plasmakonzentration im Steady-state vom Beginn bis zum Ende des Einnahmeintervalls nahezu konstant hält. Die auf dem deutschen Markt befindlichen Metoprolol-Präparate mit ZOK-Kinetik enthalten eine große Anzahl Pellets (Multiple-unit-Form). Diese Pellets sind mit einem Polymerfilm überzogen, der die Freisetzungsrate von Metoprolol kontrolliert (1). Die Retardtablette zerfällt im Gastrointestinaltrakt schnell in die beschichteten Retardpellets. Aus diesen wird Metoprolol – unabhängig von der Restmenge an Wirkstoff in der Arzneiform – über einen Zeitraum von mindestens 16  Stunden kontinuierlich freigesetzt.

Eine Übersicht, in welchen Präparaten (retardiert, nicht retardiert) die jeweiligen Metoprololsalze enthalten sind und an welchen Namenszusätzen die unterschiedlichen Freisetzungskinetiken in den Metoprolol-Präparaten zu erkennen sind, ist in der Tabelle dargestellt.

 

Aufgrund der gesetzlichen Regelung in §  129 SGB V sind Arzneimittel mit Rabattvertrag nach § 130a Absatz 8 SGB V im Aut-idem-Bereich vorrangig abzugeben. Dies gilt sowohl bei namentlicher Verordnung des Arzneimittels als auch bei Wirkstoffverordnungen. Zu den Voraussetzungen für die Arzneimittelauswahl gehören gemäß § 4 Absatz 1 des Rahmenvertrages der gleiche Wirkstoff, die gleiche Wirkstärke, gleiche Packungsgröße, gleiche oder austauschbare Darreichungsform und gleicher Indikationsbereich. Durch den unterschiedlichen Gehalt an Metoprolol in den Fertigarzneimitteln mit Metoprololsuccinat und -tartrat ist bereits eine Voraussetzung für den Austausch nicht erfüllt (Tabelle). Dies ist einer der Gründe, weshalb bei der Verordnung des einen Metoprolol-Salzes, nie das andere Salz als Rabattarzneimittel angezeigt wird.

 

Metoprololsuccinat-Präparate und Meto­prololtartrat-Präparate mit ZOK-Galenik können aus biopharmazeutischer Sicht untereinander ausgetauscht werden. Ebenso ist ein Austausch innerhalb der Gruppe von Metoprololtartrat-Präparaten mit Kinetik 1. Ordnung möglich. Doch auch wenn aus biopharmazeutischer Sicht nichts gegen einen Austausch innerhalb der genannten Gruppen spricht, kann es andere Gründe geben, die dagegen sprechen. So können sich Metoprolol-Präparate mit Kinetik 1. Ordnung hinsichtlich ihrer Teilbarkeit unterscheiden (Tabelle).

 

Verschiedene Indikationsgebiete

 

Eine gleiche oder austauschbare Darreichungsform sowie ein gleicher Indikationsbereich sind weitere Voraussetzungen für einen verpflichtenden Austausch mit einem Rabattarzneimittel. Metoprolol-Präparate sind je nach Salz und Darreichungsform für unterschiedliche Indikationsgebiete zugelassen (Tabelle). Metoprololtartrat-Präparate mit einer Freisetzung 0. Ordnung und mit einer Freisetzung 1.  Ordnung sind als Darreichungsform »Retardtablette« im Handel. Metoprololtartrat-Präparate mit einer Kinetik 1. Ordnung weisen die gleichen fünf Indikationsgebiete wie Metoprololtartrat-Präparate mit einer Kinetik 0. Ordnung auf, besitzen jedoch noch ein weiteres Indikationsgebiet (Tabelle). Dies erklärt, warum die Apothekensoftware bei der Verordnung von Metoprololtartrat-Präparaten mit einer Freisetzung 0. Ordnung auch rabattierte Retardtabletten mit einer Freisetzung 1. Ordnung anzeigt. Hier stellt sich die Frage, ob dieser von der Apothekensoftware vorgeschlagene Austausch tatsächlich unproblematisch und ohne Risiken ist.

 

Bei den Indikationsgebieten von retardierten Metoprololtartrat-Präparaten ist ein Vorteil einer Freisetzung 0. Ordnung gegenüber 1. Ordnung nicht nachgewiesen. Daher spricht im Normalfall bei einer Ersteinstellung bei diesen Indikationen nichts gegen ein Rabattarzneimittel mit einer anderen als der verordneten Freisetzungskinetik.

 

Ein Wechsel von einem Metoprololtartrat-Präparat mit Kinetik 0. Ordnung auf ein Präparat mit Freisetzung 1. Ordnung bei einer Wiederholungsverordnung kann aus ökonomischen Gründen durchaus diskutiert werden. Hier muss aber ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass diese Präparate nicht bioäquivalent sind (3). Ein Austausch ohne begleitendes Monitoring kann daher durchaus zu Problemen führen. So kann die Dosis des Generikums mit Freisetzungskinetik 1.  Ordnung möglicherweise nicht für eine sichere 24-h-Blutdrucksenkung ausreichen. Daher kann es notwendig werden, die Tagesdosis zu erhöhen oder auf zwei Einnahmen pro Tag zu verteilen. In den Fällen, wo eine Einstellung des Patienten problematisch war, ist es empfehlenswert, bei einem Präparat mit der Kinetik 0. Ordnung zu bleiben. Wird eine Umstellung vorgenommen, sollte die Blutdruckeinstellung engmaschig kontrolliert und die Dosis des Austauschpräparates gegebenenfalls angepasst werden (3).

 

Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich in vielen Fällen, mit dem Arzt Rücksprache zu halten. Wird der Austausch als nicht sinnvoll angesehen, müssen entweder pharmazeutische Bedenken geltend gemacht oder der Austausch durch den Arzt ausgeschlossen werden. Für die Apotheken besteht aufgrund des Rahmenvertrages nach § 129 SGB V explizit die Möglichkeit, von der Verpflichtung zur Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel abzusehen, wenn der Abgabe aus Sicht des Apothekers im konkreten Einzelfall pharmazeutische Bedenken entgegenstehen. Wird ein Austausch dagegen als sinnvoll angesehen, ist der Arzt über den Austausch zu informieren. So kann er dies beim Monitoring des Patienten berücksichtigen. Sollte der Patient das Arzneimittel kurzfristig benötigen und keine sofortige Rücksprache mit dem Arzt möglich sein, sollte man pharmazeutische Bedenken geltend machen.

 

Ein besonderer Stellenwert der Kinetik 0. Ordnung wird in der Behandlung der Herzinsuffizienz diskutiert. Eine gleichmäßige Hemmung des Sympathikustonus ist bei dieser Erkrankung möglicherweise von größerer Bedeutung. In erster Linie spricht jedoch die klinische Datenlage für die Kinetik 0. Ordnung. Nur mit dem Succinatsalz und der Freisetzungskinetik 0. Ordnung wurde die Prognoseverbesserung durch Metoprolol bei Herzinsuffizienzpatienten nachgewiesen und eine Zulassung erteilt (3). Einen entsprechenden klinischen Nutzenbeleg für retardiertes Metoprololtartrat gibt es nicht. Diese Präparate sind daher auch nicht zur Behandlung der Herzinsuffizienz zugelassen. Die Metoprololsuccinat-Präparate sind untereinander als bioäquivalent einzuschätzen. Unterschiede in der Teilbarkeit sind nicht vorhanden. / 

Literatur

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Warnke, A. und Blume, H., Verbesserte Therapie durch optimierte Arzneiformen? Pharm. Unserer Zeit 33 (2004) 456-465.

Notheis, C., Zöller, T., Dressman, J., et al., Aut idem bei Metoprolol retard. Dtsch. Apoth. Ztg. 143 (2003) 3512-3519.

N.N., Metoprolol: Welchen Stellenwert hat die ZOK-Galenik? a-t 33 (2002) 30

 

Kontakt:

Geschäftsbereich Arzneimittel der ABDA

Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP)

Jägerstraße 9/50

10117 Berlin

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