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Therapie-Begleitstudie Epilepsie in der Apotheke

Apotheker und Patienten sagen Nein zum Austausch bei Antiepileptika

07.06.2010  14:01 Uhr

Von Dagmar Kock / Bei der Epilepsie als einer der sogenannten kritischen Indikationen sind sich die Fachgesellschaften einig, dass ein Wechsel zwischen verschiedenen Präparaten bedenklich ist. Eine bundesweite Studie der Desitin Arzneimittel GmbH ergab, dass auch Patienten und Apotheker einen Austausch von Antiepileptika grundsätzlich ablehnen. Immer mehr Apotheker machen daher pharmazeutische Bedenken geltend und tragen somit maßgeblich zur Therapiesicherheit bei.

Epilepsie ist durch plötzlich auftretende, wiederkehrende Krampfanfälle gekennzeichnet, die auf Funktionsstörungen (anormale Erregungen) des Gehirns beruhen. In Deutschland sind circa 800 000 Menschen von einer Epilepsie betroffen, wobei die Häufigkeit und Intensität der epileptischen Anfälle stark variiert.

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Die medikamentöse Behandlung zur Anfall-Prophylaxe und -Reduktion ist verhältnismäßig komplex: Meist wird versucht, mit einem einzigen Präparat Anfallsfreiheit zu erreichen; gelegentlich werden auch mehrere Medikamente kombiniert. Dabei ist immer eine sorgfältige Einstellung des Patienten auf die jeweiligen Arzneimittel erforderlich. Wie Selbsthilfe-Verbände in einer gemeinsamen Stellungnahme betonen, kann sich dies mitunter als schwierig erweisen: »Die richtige Einstellung eines Epilepsiepatienten mit der wirksamsten Dosierung durch Antiepileptika kann Wochen, Monate, mitunter sogar Jahre dauern, ist Millimeterarbeit für Arzt und Patient und immer wieder mit Rückschlägen verbunden« (1).

Die gesetzlichen Regelungen in § 129 SGB V, nach denen vor­ran­gig Arzneimittel mit Rabatt­vertrag abzugeben sind, bedeu­ten auch für Epilepsie-Patien­ten, dass in der Apotheke oft ein anderes, bei der jeweiligen Krankenkasse rabattiertes Prä­parat abgeben werden muss, als vom Arzt verordnet wurde. Dabei wird eine Substitution bei diesen Arzneimitteln als be­denklich diskutiert (2-6).

 

Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft hat Arzneimittel­gruppen definiert, bei denen eine Substitution kritisch sein kann (7). Dies sind oft Medika­mente mit kritischer Dosierung (sogenannte Critical-Dose-Pharmaka), die aufgrund der engen pharmazeutischen Breite der Wirkstoffe eine sorgfältige Einstellung des Patienten erfordern. Bei einem Präparate-Wechsel kann es entsprechend der erlaubten Bandbreite in der Bioverfügbarkeit zu Veränderungen des Blutspiegels kommen, was zu schweren Nebenwirkungen führen und den Therapieerfolg gefährden kann (8).

 

Antiepileptika zählen zu diesen Critical-Dose-Pharmaka; Substitutionen aufgrund von Rabattverträgen müssen hier überaus kritisch betrachtet werden. Es gibt zum Beispiel Hinweise, dass ein Wechsel des Präparats eine langjährig bestehende Anfallsfreiheit gefährden und die Häufigkeit von Verletzungen und Krankenhauseinweisungen erhöhen kann (9, 10). So wird zum Beispiel in 50 einzelnen Fallstudien, die im Rahmen einer Erhebung in den USA zusammengetragen wurden, berichtet, dass gut eingestellte Epilepsie-Patienten nach einer Umstellung auf ein Generikum erneut Anfälle erlitten (9). Bei über 90 Prozent dieser Patienten wurde folglich wieder auf das ursprüngliche Präparat zurückgewechselt.

 

Eine Langzeit-Beobachtung von über 900 Epilepsie-Patienten in Kanada ergab, dass Patienten, die im Verlauf der Therapie verschiedene generische Antiepileptika einnehmen, eine häufigere Einnahme von anderen Medikamenten, eine höhere Rate an Krankenhauseinweisungen, längere Krankenhausaufenthalte sowie ein höheres Risiko für Kopfverletzungen aufweisen als Patienten, die nur mit dem initial verordneten Präparat behandelt werden (10). Weiterhin wird häufig über Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel berichtet, die bei einer Umstellung auf generische Präparate auftreten können (11-13).

 

Der Apotheker hat über die Geltendmachung von pharmazeutischen Bedenken die Möglichkeit, trotz der Austausch-Problematik durch Rabattverträge, maßgeblich zur Therapiesicherheit beizutragen. Bei der Frage, ob pharmazeutische Bedenken bei Antiepileptika generell begründet sind, ist neben den genannten medizinisch-pharmazeutischen Aspekten auch die psychische und soziale Situation der Betroffenen (zum Beispiel soziale Nachteile aufgrund eingeschränkter Arbeitsfähigkeit) und das daher wichtige Vertrauen in die Arzneimitteltherapie zu berücksichtigen. Mit diesen Fragen muss sich auch der Apotheker bei seiner Entscheidung bezüglich des Austauschs gegen ein rabattiertes Produkt auseinandersetzen; die Ansicht des Patienten spielt dabei eine wesentliche Rolle.

 

Meinungsbild Patient & Apotheker

 

Die Praxis des Arzneimittelaustauschs bei Epilepsie stand im Mittelpunkt einer bundesweiten Therapiebegleitstudie Epilepsie, die die Desitin Arzneimittel GmbH in Apotheken durchführte. In die Auswertung gingen die Daten von 250 Apothekern und Apothekenteams sowie von 1308 Patienten ein.

 

Bei den Patienten handelte es sich dabei überwiegend um solche, die schon seit längerer Zeit (mehr als ein Jahr) Antiepileptika einnehmen. Die Erfahrungen bei einer längeren Einnahme des Medikaments wurden überwiegend als positiv dargestellt. Mehr als zwei Drittel vertragen ihr Arzneimittel gut und fühlen sich damit gut eingestellt. Bei 46 Prozent der Patienten ist durch die Medikation eine dauerhafte Anfallsfreiheit erreicht worden; 57 Prozent berichten, dass sich ihre Angst vor neuen Anfällen stark verringert hat.

 

Fast 90 Prozent der befragten Patienten gaben an, dass es ihnen wichtig oder sehr wichtig sei, dass in der Apotheke kein Austausch ihres verordneten, bewährten Epilepsie-Medikamentes erfolgt (Abbildung 1).

Bezüglich einer möglichen Substitution äußerte dem­nach die Mehrzahl der Pa­tienten Bedenken, die sich vor allem in der Angst vor Anfällen (80 Prozent), Ne­benwirkungen (58 Pro­zent) und Un­ver­träg­lichkeiten (55 Prozent) zeigen. Dabei sind bei über einem Drittel der Patienten diese Bedenken auch berechtigt; sie berich­ten über Komplikationen nach einer Arzneimittel­um­stellung. Besonders bedenk­lich ist, dass jeder Zweite vermehrt Anfälle erlitt; weite­re Kompli­kationen sind Kopf­schmerzen, Übelkeit/Erbre­chen, Müdigkeit oder Schwin­del (Abbildung 2).

 

Diese Ergebnisse decken sich mit denen aus anderen Erhebungen, wie zum Beispiel einer Patientenbefragung in Großbritannien (11) oder einer Leserumfrage eines deutschen Epilepsie-Portals (12): In der britischen Studie hatten 251 der insgesamt 1333 Teilnehmer schon einmal eine Medikamenten­umstellung erlebt. Von diesen gaben 29 Prozent Probleme in Form vermehrter Anfälle oder anderer Nebenwirkungen an. In der Leserumfrage des Epilepsie-Portals bejahten 18 von 72 Teilnehmern (25 Prozent) die Frage, ob nach einer Medikamentenumstellung Probleme aufgetreten sind. Unter 22 individuellen Textantworten schildern 16 die jeweils aufgetretenen Komplikationen: 8 Personen gaben vermehrte Anfälle an; andere, häufige Nebenwirkungen waren Schwindel, Müdigkeit und Depression.

Nebenwirkungen bei der Medikamentenumstellung sind in der Regel auf Unter­schiede in der Pharmako­kinetik der verschiedenen Präparate zurückzuführen, wie unter anderem eine bereits 1999 veröffentlichte Crossover-Studie mit Carbamazepin-Patienten zeigt: 9 von 14 Patienten erlitten bei der Umstellung auf ein Generikum zum Teil erhebliche Nebenwirkungen, die mit einer erhöhten Wirk­stoffkonzentration im Blut (Cmax und AUC) einhergin­gen (13). Aus den in den USA gesammelten Fallbe­richten ergab sich, dass das vermehrte Auftreten von Anfällen hingegen meist mit einer verringerten Bioverfügbarkeit korrelierte (9). Die Angst vor Komplikationen dürfte somit auch der Grund sein, weshalb 84 Prozent der in der Therapiebegleitstudie von Desitin befragten Patienten angaben, dass sie auch bei Folgeverordnungen wieder das gleiche Präparat wie zuvor erhalten möchten. 49 Prozent achten bereits darauf, dass der Arzt bei der Verordnung das Aut-idem-Kreuz setzt; genauso viele betonen, dass sie das verordnete Medikament auch dann erhalten möchten, wenn der Arzt das Kreuz nicht gesetzt hat.

 

Damit ergibt sich ein klares Ergebnis: Epilepsie-Patienten lehnen einen Wechsel zwischen verschiedenen Präparaten im Rahmen ihrer Arzneimitteltherapie grundsätzlich ab. Diesem Meinungsbild entspricht auch die Forderung von Selbsthilfe-Verbänden, Antiepileptika grundsätzlich von der Substitution auszunehmen (2). Auch Fachgesellschaften wie etwa die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie oder die Deutsche Gesellschaft für Neurologie empfehlen, Wechsel zwischen Präparaten zu vermeiden und bei Verordnungen von Antiepileptika das Aut-idem-Kreuz zu setzen (14, 15). Den Bedenken bezüglich eines Medikamenten-Wechsels stimmen auch behandelnde Ärzte zu: in einer Befragung von insgesamt 606 Ärzten äußerten 88 Prozent die Befürchtung einer Zunahme an epileptischen Anfällen bei einer Umstellung auf ein generisches Präparat (16).

 

Auch die Meinung der Apotheker ist eindeutig: eine Umfrage in den USA ergab, dass 87 Prozent der Apotheker vermehrte Anfälle und andere Nebenwirkungen bei einem Präparate-Wechsel befürchten (17). Die in der Desitin-Studie befragten Apotheker vertraten ausnahmslos die Ansicht, dass es für die Compliance von Epilepsie-Patienten wichtig oder sogar sehr wichtig sei, bei Folgeverordnungen wieder das gleiche Medikament zu erhalten (Abbildung 3). 77 Prozent der befragten Apotheker gaben an, bei kritischen Indikationen wie Epilepsie pharmazeutische Bedenken geltend zu machen und das verordnete Präparat (auch ohne Aut-idem-Kreuz) abzugeben. Sie folgen also den Empfehlungen der Fachgesellschaften und -verbände.

Allerdings tun sie dies meist nicht ohne Bedenken: 74 Prozent der Apotheker gaben an, Retaxationen aufgrund der Nicht-Abgabe der Rabatt­arzneien zu befürchten. Dabei ist im Rahmenvertrag (§ 129 SGB V) explizit geregelt, dass von der Ver­pflichtung zur Abgabe rabattbe­günstigter Arzneimittel abgesehen werden kann, wenn aus Sicht des Apothekers pharmazeutische Be­denken bestehen. Bei Antiepileptika sind pharmazeutische Bedenken, wie dargestellt, gut begründet. Allerdings ist eine korrekte Vorgehensweise für die Vermeidung von Retaxationen ent­scheidend; dann besteht auch nach Aussage der Krankenkassen keine Retaxierungsgefahr. Retaxa­tionen bei Nicht-Austausch gegen Rabattarzneien sind fast immer auf formale Fehler zurückzuführen, die leicht vermeidbar wären: »Nachvoll­ziehbar dokumentierte pharmazeuti­sche Bedenken wurden nach unse­ren Erkenntnissen bisher in keinem Fall retaxiert« (18). Hinsichtlich der Geltendmachung von pharmazeuti­schen Bedenken besteht noch erheblicher Informationsbedarf. Dabei ist die Verhinderung von Arzneimittelsubstitutionen bei kritischen Indikationen wie Epilepsie eine wichtige Maßnahme zur Sicherung des Therapieerfolges. Vor allem durch das Äußern von pharmazeutischen Bedenken kann der Apotheker seine Fachkompetenz einbringen und den nachteiligen Auswirkungen der Rabattverträge entgegenwirken. /

Zusatzinformationen

Mehr zu den Ergebnissen der Therapiebegleitstudie Epilepsie ist online verfügbar:

www.desitin.de/news/pressemeldungen/detail/article/therapiebegleitstudie-epilepsie-in-apotheken-bestaetigt-pharmazeutische-bedenken

 

Eine vollständige Darstellung der Ergebnisse der Therapiebegleitstudie Epilepsie kann hier heruntergeladen werden:

www.deutschesapothekenportal.de/therapiebegleitstudie-epilepsie.html

 

Weitere Informationen zum Thema Pharmazeutische Bedenken finden Sie unter anderem hier:

www.pharmazeutische-bedenken.de oder www.deutschesapothekenportal.de/apo_pharmakothek0.html

Literatur

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Anschrift der Verfasserin:

Dr. Dagmar Kock

DAP Healthcare GmbH

Agrippinawerft 22

50678 Köln

kock(at)DAPgruppe.de

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