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Supportivtherapie

Schmerzen lindern in der Onkologie

30.05.2011  17:22 Uhr

Von Maria Pues, Frankfurt am Main / Als wäre eine Tumorerkrankung an sich nicht schon belastend genug – neben Übelkeit und Erbrechen leiden die Patienten häufig auch unter Schmerzen. Über Ursachen, Behandlung und manche Besonderheit.

Gleich vier verschiedene Ursachen für Schmerzen, die im Rahmen einer Krebserkrankung auftreten können, nannte Dr. Jutta Hübner, Medizinerin am Univer­sitären Centrum für Tumorerkrankungen Frankfurt am Main, in ihren Ausführungen zum Thema supportive und palliative Therapie in der Onkologie. Ihr Vortrag in Frankfurt am Main fand Mitte Mai im Rahmen einer Vortragsreihe der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft statt.

Kommt es während einer Krebserkrankung zu Schmerzen, so kann der Tumor diese selbst verursachen, indem er beispielsweise Weichteile infiltriert, Hohlorgane verlegt sowie Nerven, Gefäße oder Lymphbahnen komprimiert. Auch Knochenmetastasen, die von manchen Tumoren gebildet werden, sind sehr schmerzhaft. Daneben kennt man tumorassoziierte Schmerzen. Zu diesen gehören zum Beispiel ein Dekubitus oder Lymphödeme.

 

Auch im Rahmen der Behandlung müssen Patienten Schmerzen in Kauf nehmen. Diese können sich nach Operationen einstellen; nach einer Chemotherapie kann es zu neuropathischen Schmerzen kommen, nach einer Bestrahlung zu Fibrosierungen; Paravasate (Infusionen, die nicht im Blutgefäß, sondern im umliegenden Gewebe landen) können schmerzhafte Gewebezerstörungen zur Folge haben; nicht zuletzt können Schleimhautschäden wie eine Mucositis jede Nahrungsaufnahme zur Qual oder gar unmöglich werden lassen. Und natürlich können Schmerzen auftreten, die weder mit dem Tumor noch mit dessen Therapie im Zusammenhang stehen. Ein Tumor schließt weitere schmerzhafte Erkrankungen wie Migräne, Gallenkoliken oder Gelenkverschleiß ja nicht aus.

 

Nicht nur die Entwicklung der Erkrankung oder äußere Einflüsse wie Wärme oder Kälte können das Schmerzgeschehen beeinflussen. Auch Stress, Sorgen und seelische Belastungen – die nicht immer vom Tumor oder dessen Therapie verursacht sein müssen – können die Schmerzen verstärken, ebenso wie Gedanken an Schmerzen oder die Angst vor ihnen. Dies gilt es zu bedenken, wenn eine Schmerztherapie nicht den gewünschten oder erwarteten Erfolg zeigt. Umgekehrt können Entspannung und Ablenkung die Beschwerden lindern helfen, zum Beispiel durch die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Patienten Freude zu schenken und ihnen Mut zuzusprechen stärkt sie, und auch das Gefühl sozialer Geborgenheit kann die Belastung durch die Schmerzen vermindern. Einen Punkt hob Hübner immer wieder hervor: die Aufklärung des Patienten. Nicht Verschweigen der Erkrankung und ihrer möglichen Folgen oder vermeintlich rücksichtsvolles »Drumherumreden«, sondern das Wissen, was durch Tumor und Therapie mit ihnen passiere, helfe den Patienten und könne auch das Schmerzgeschehen positiv beeinflussen.

 

Stufenweise gegen Schmerzen

 

Für die medikamentöse Therapie von Schmerzen empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Vorgehen nach einem Schema, das den Einsatz von Analgetika in drei Stufen vorsieht. Zudem rät die WHO, orale oder transdermale (Retard-)Arzneiformen zu bevorzugen und Analgetika nach einem festen Zeitplan zu verabreichen. Bei leichteren Schmerzen kommen Schmerzmittel der Stufe 1 zum Einsatz. Hierzu gehören Nicht-Opiate wie Acetylsalicylsäure, Paracetamol oder Metamizol. Bei mittelstarken Schmerzen empfiehlt die WHO leichte bis mittelstarke Opioide (Stufe 2) wie Tramadol oder Tilidin und gegebenenfalls Arzneimittel der Stufe 1. Dabei könne sich der Einsatz von Tramadol bei Tumorpatienten als problematisch erweisen, erläuterte Hübner. Denn dieses könnte unter Umständen mehr Übelkeit verursachen als die stark wirksamen Opiate der Stufe 3, zum Beispiel Morphin oder Fentanyl.

 

Daneben können bei Bedarf Koanalgetika gegeben werden, zum Beispiel Antidepressiva wie Amitriptylin oder Clomipramin gegen brennende neuropathische oder Antikonvulsiva wie Carbamazepin oder Gabapentin gegen einschießende neuropathische Schmerzen. Als weitere Begleitmedikationen kommen häufig Laxanzien wie Macrogol oder Natrium­picosulfat sowie Antiemetika wie Metoclopramid oder Haloperidol zum Einsatz.

 

Kulturelle Eigenheiten

 

Was das Stufenschema nicht berücksichtigen kann: Es gibt kulturelle Unterschiede, zum Beispiel zu welchem Zeitpunkt im Krankheitsverlauf starke Opiate verwendet werden. In Griechenland kämen diese anders als in Deutschland zumeist erst sehr spät zum Einsatz, berichtete Hübner. So habe sie einen Patienten griechischer Herkunft beruhigen müssen. Dieser meinte, dass es um ihn nur ganz schlecht bestellt sein könne, da diese Arzneimittel nun notwendig würden. Das Beispiel zeigt: Patienten sehen Arzneimittel nicht allein als Heilmittel; wie hier sehen manche sie auch als Symbol, zum Beispiel für einen möglicherweisen nahen Tod. Angst und Unsicherheit, die da­raus resultieren, können die Schmerz­symptomatik verstärken und damit den Bedarf an schmerzstillenden Arzneimitteln erhöhen. Wer Opiate bekäme, sterbe nicht früher, betonte die Medizinerin. Im Gegenteil: Korrekt eingesetzt führten Opiate zu einer leichten Lebensverlängerung.

 

Dass sich orale Applikationsformen nicht eignen, wenn Magen und Darm bereits in Mitleidenschaft gezogen wurden, bedarf keiner Erläuterung. Gerne kommen dann Schmerzpflaster zum Einsatz. Dass auch diese scheinbar einfach anzuwendende Arzneiform ihre Tücken haben kann, zeigt eine Studie mit Fentanyl-Pflastern, in der die Resorption bei normalgewichtigen und kachektischen Patienten verglichen wurde. Dabei waren die nach 48 und nach 72 Stunden erreichten Wirkspiegel bei kachektischen Patienten signifikant niedriger. Warum es ihnen am dritten Tag schlechter gehe, könnten die Patienten jedoch nicht einordnen, erläuterte Hübner. Möglicherweise müsse man ein höher dosiertes Pflaster wählen, da bei stark abgemagerten Patienten das Pflaster nicht mit der gesamten Fläche auf der oft nicht mehr ebenen Hautfläche klebe, und das Unterhautfettgewebe deutlich reduziert sei.

 

Dosiserhöhung nicht durch Sucht

 

Bei Einsatz eines Perfusors können Patienten bei mangelnder Wirksamkeit der Dauerbehandlung eine Extradosis auslösen. Geschieht das mit steigender Häufigkeit, liegt es üblicherweise nicht daran, dass der Patient eine Sucht entwickelt hat. Ständige Dosiserhöhungen seien vielmehr ein deutliches Warnsignal für eine Hyperalgesie, einer Erhöhung der Schmerzempfindlichkeit durch das Opiat selbst. Ein Herunterfahren der Dosis sowie eine Opiatrotation, ein Wechsel des Opiates, sind notwendig, um Abhilfe zu schaffen. Methadon könnte sich besser eignen als andere, vermutet Hübner, doch fehlten dazu bisher Studien.

 

Bisphosphonate und Honig

 

Zur Behandlung von Knochenmetastasen und durch sie verursachte Schmerzen kommen Bisphosphonate zum Einsatz. Als seltene, aber gravierende Nebenwirkung können bei der Behandlung Nekrosen des Kieferknochens auftreten. Diese wird wahrscheinlicher, wenn ohnehin Schäden an Gebiss beziehungsweise Zahnhalteapparat vorliegen. Sollen Patienten ein monatlich anzuwendendes Bisphosphonat wie Zoledronat erhalten, so ist eine Kontrolle des Gebisszustands und gegebenenfalls eine Sanierung durch einen Zahnarzt sinnvoll. Zwar könne auch noch während der Bisphosphonat-Behandlung eine Therapie durch spezialisierte Zahnärzte erfolgen, doch sei diese sehr aufwendig, so Hübner. Häufig kommt es unter einer Bisphosphonatbehandlung in zeitlich engem Zusammenhang mit der Applikation zu grippeähnlichen Symptomen. Hier helfe eine Aufklärung des Patienten, um dessen Beunruhigung vorzubeugen, sowie die Gabe von Paracetamol, um die Symptome zu lindern.

 

Dass man in manchen Fällen bereits mit einfachen Mitteln Beschwerden vorbeugen kann, zeigen Studien an Patienten, die aufgrund von Kopf-Hals-Tumoren mit Bestrahlungen und Chemotherapie behandelt wurden. Sie erhielten jeweils 20 ml Honig eine Viertelstunde vor und nach sowie sechs Stunden nach der Bestrahlung oder Placebo. Eine Studie zeigte, dass in der behandelten Gruppe nicht nur weniger Patienten eine Mucositis bekamen, sondern sondern dass diese auch weniger ausgeprägt war.

 

So entwickelten 15 Prozent der Honig-Anwender eine Mucositis Grad 3 und keiner eine Mucositis Grad 4. In der Kontrollgruppe musste bei 65 Prozent der Patienten eine Mucositis Grad 3 oder 4 festgestellt werden. Schmerzhaft ist eine Mucositis stets. Bei einer Mucositis 3. Grades liegen größere verbundene Ulzerationen vor, die mehr als 25 Prozent der Mundschleimhaut bedecken. Die Aufnahme von fester Nahrung ist nicht mehr möglich. Die Patienten können jedoch noch trinken. Bei der Mucositis Grad 4 kommt es zu blutenden Ulzerationen, die mehr als die Hälfte der Mundschleimhaut bedecken. Weder Essen noch Trinken sind in diesem Stadium möglich. Die Patienten müssen stationär aufgenommen werden. / 

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