In Kliniken sind noch viele Fragen offen |
23.05.2018 10:18 Uhr |
Von Daniela Hüttemann / Am 9. Februar tritt die EU-Fälschungsrichtlinie für Arzneimittel in Kraft. Für öffentliche wie auch für Krankenhausapotheken wird die Umsetzung dieser Vorschrift einen erheblichen Mehraufwand bedeuten. Zudem sind bis zu diesem Datum noch einige Probleme zu lösen.
Das neue Sicherheitssystem soll verhindern, dass gefälschte Medikamente in die legale Arzneimittelversorgung gelangen. Dabei klingt das Prinzip für die Offizinapotheken zunächst simpel: Erst wenn das pharmazeutische Personal die Packung an den Patienten abgibt, muss es den Erstöffnungsschutz visuell überprüfen und das in einem Data-Matrix-Code enthaltene individuelle Erkennungsmerkmal scannen. Die Seriennummer der Packung geht an den Apothekenserver, der wiederum prüft in der Datenbank der pharmazeutischen Hersteller, ob die Packung echt ist und noch nicht abgegeben wurde. Dann wird sie ausgebucht. Das Ganze soll in Sekundenschnelle passieren und bei der Abgabe einer einzelnen Packung an den Patienten keinen großen Mehraufwand bedeuten.
In Klinikapotheken sind viele Abläufe anders als in der Offizin. Die Umsetzung der Fälschungsrichtlinie könnte sie vor ganz besondere Herausforderungen stellen.
Foto: dpa
Wie aber sieht es in den Krankenhausapotheken aus? Da keine Arzneimittel direkt an den Patienten abgegeben werden, stellt sich die Frage, wann genau die Packungen abgescannt werden müssen. »Personen, die in einer Gesundheitseinrichtung tätig sind, und dazu zählt die EU die Mitarbeiter der Krankenhausapotheken, dürfen die Überprüfung und Deaktivierung zu jedem Zeitpunkt vornehmen, solange sich das Arzneimittel im physischen Besitz der Gesundheitseinrichtung befindet«, erläutert Professor Martin Hug, Direktor der Apotheke des Uniklinikums Freiburg, im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. Er hält es für denkbar, dass die Ware gleich beim Eingang in die Krankenhausapotheke gescannt wird – »was wir bislang nicht machen«, so Hug.
Er hat in der Freiburger Klinikapotheke testen lassen, wie viel Zeit das Scannen theoretisch braucht: durchschnittlich 2,1 Sekunden pro Packung – und dies sei schon ambitioniert, sagt er. Auf das Jahr hochgerechnet sei der Aufwand immens: 3,9 Millionen Packungen gingen 2017 durch die Freiburger Klinikapotheke, davon wären etwa 2,6 Millionen nach neuer Richtlinie kennzeichnungspflichtig gewesen. »Um die alle zu überprüfen und auszubuchen, hätten wir 1520 Stunden gebraucht«, hat Hug ausgerechnet. »Damit wären ein bis zwei Vollzeitkräfte beschäftigt gewesen, die während ihrer Arbeitszeit nichts anderes tun als Packungen abscannen.« Vermutlich müsste dies auch in der Krankenhausapotheke das pharmazeutische Personal machen, was allerdings rechtlich noch nicht eindeutig geklärt sei.
»Im echten Betrieb ist der Zeitbedarf vermutlich sogar noch höher«, schätzt Hug, der innerhalb der ADKA – Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker für das Thema zuständig ist. Vor allem die großen Mengen sieht er als Problem. Nach bisherigen Plänen müsste jede einzelne Packung einer Großpackung oder Palette gescannt werden. »Für Verwirrung wird auch sorgen, welche Arzneimittel genau denn ausgebucht werden müssen«, sagt Hug. Grundsätzlich müssen alle rezeptpflichtigen Arzneimittel mit dem neuen Code bedruckt und in der Datenbank geführt werden. Es gibt einige Ausnahmen wie bestimmte Kontrastmittel oder Lösungen zur parenteralen Ernährung. Umgekehrt sind auch einige OTC-Arzneimittel wie Omeprazol datenbankpflichtig.
Keine ausgereifte Software
Um es noch komplizierter zu machen, kennzeichnen einige Hersteller bereits jetzt ihre Präparate mit dem zweidimensionalen Code, obwohl sie es nicht müssten, zum Beispiel Medizinprodukte oder Nahrungsergänzungsmittel. »Dem pharmazeutischen Personal ist nicht zuzumuten, jedes Mal herauszufinden, was denn nun gescannt werden muss und was nicht«, findet Hug. Und noch gebe es dafür keine ausgereifte Software, zumindest nicht für die Krankenhäuser, die mit ganz anderen Warenwirtschaftssystemen arbeiten als die Offizinapotheken.
Ein Problem sei auch, dass die Abläufe bislang noch nicht praxisnah getestet werden können. »Echte Live-Tests sind nicht möglich – dazu gibt es gerade im Sortiment der Krankenhausapotheken noch zu wenige Packungen mit dem Code und wir sind noch nicht an den Server angeschlossen«, so Hug. Er hat auch Bedenken, ob es die Server aushalten, wenn große Mengen auf einmal abgefragt werden, wie im Klinikapotheken-Alltag üblich.
Wie lassen sich die Probleme lösen? »Am einfachsten wäre es, wenn die Hersteller die Packungen im Kundenauftrag deaktivieren würden, wie die Verordnung es für bestimmte Einrichtungen wie die Bundeswehr oder Hospize vorsieht«, erklärt der Klinikapotheker. Damit ließe sich auch verhindern, dass kostengünstige Klinikware in den Graumarkt weiterverkauft wird. Doch die EU-Kommission habe es ausgeschlossen, die Krankenhausapotheken als Ausnahme hinzuzufügen.
Die Krankenhausapotheker hatten alternativ vorgeschlagen, sogenannte aggregierte Codes zu nutzen. Dabei werden die Seriennummern der einzelnen Packungen einer Bündelpackung in einer Trackingnummer zusammengefasst, ähnlich wie die einzelnen Sendungsposten bei Online-Versandhändlern. Dies ist aus Sicht der EU-Kommission rechtskonform, so Hug, aber es sei auf Ebene der Datenbanken technisch derzeit nicht möglich.
Elektronischer Lieferschein
Die Krankenhausapotheker hoffen jetzt auf eine weitere Möglichkeit: die elektronische Deaktivierung im Rahmen einer warenbegleitenden Datenlieferung. Dabei registrieren die Hersteller die Seriennummern aller Packungen unmittelbar vor dem Versand in einer Art elektronischem Lieferschein. In der Apotheke müsste pro Pharmazentralnummer nur eine Packung des Gebindes gescannt werden. Über einen elektronisch verschlüsselten Weg würden die Daten der übrigen Packungen dann mit dem Lieferanten abgeglichen. »Dann müssten wir nicht alle Packungen physisch in die Hand nehmen«, erklärt Hug.
Weitere offene Fragen betreffen die technische Anbindung der Krankenhäuser an das Securpharm-System und wie verfahren werden soll, wenn eine Klinikapotheke Krankenhäuser in fremder Trägerschaft beliefert. »Die Probleme sind nicht unlösbar, aber wir müssen sie jetzt angehen, denn es bleibt nicht mehr viel Zeit«, äußert sich Hug optimistisch. Die ADKA stehe dazu in engem Austausch mit dem Bundesgesundheitsministerium, der ABDA und der Netzgesellschaft der Deutschen Apotheken.
Die Arzneimittelversorgung werde jedenfalls nicht schlagartig am 9. Februar zusammenbrechen, da die neu gekennzeichneten Packungen erst allmählich auf den Markt gelangen werden und Arzneimittel im Notfall auch ohne Serverabgleich und Ausbuchung aus dem System angewendet werden können. Trotzdem hält Hug nach dem aktuellen Stand eine Übergangsfrist für Krankenhäuser für nötig. /