Apotheker als Detektive |
13.04.2007 11:22 Uhr |
Apotheker als Detektive
Von Thomas Bellartz und Daniel Rücker
Der AOK-Rabattvertrag ist erst seit wenigen Tagen bindend. Die kurze Zeit hat jedoch ausgereicht, um bei Apothekern und Patienten für Frust zu sorgen, denn bei einigen der elf Generikahersteller sind Defekte der Normalfall.
Vor zwei Monaten hatte die AOK mit großem Getöse ihren Rabattvertrag präsentiert. Elf Generikahersteller hatten sich verpflichtet, mehr als 25 Millionen AOK-Versicherte mit insgesamt 43 Wirkstoffen zu versorgen. Bis zu 30 Prozent Rabatt erhalten die AOKs (siehe PZ 7).
Was die AOK als Erfolg feiern wollte, war zahlreichen Experten nur ein Kopfschütteln wert. Die AOK-Elf bestand ausschließlich aus Unternehmen ohne Marktbedeutung in Deutschland. Nur wenige hielten es für möglich, dass diese Unternehmen mehr als ein Drittel der GKV-Versicherten in Deutschland versorgen könnten. Für ein wenig Zuversicht sorgte allenfalls die Tatsache, dass mit Basics, Teva und Actavis drei international große Generikaunternehmen mit an Bord sind.
Doch jede noch so kleine Portion Optimismus war anscheinend fehl am Platz. In vielen Apotheken ist das Chaos ausgebrochen. Was sich seit Monatsbeginn in den Apotheken abspielt, lässt sich kaum beschreiben. Schon nach wenigen Tagen waren die Generikafirmen aus dem AOK-Rabattvertrag ganz oder zeitweise lieferunfähig. Bundesweit bereitet es Apothekern und PTA immer größere Probleme, AOK-Versicherte zu versorgen. Dabei zeigte sich auch schnell, dass es keinesfalls nur die kleinen Firmen wie Biomo, Corax oder AAA-Pharma sind, die ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommen können. Der Großhandel meldet auch Defekte von Actavis, Basics oder Teva.
Das Problem ist keineswegs lokal oder auf einige Großhandlungen begrenzt. Nach Informationen der PZ müssen Apotheker bundesweit nach den letzten Packungen Omeprazol, Enalapril oder Bisoprolol fahnden, die sie an AOK-Versicherte abgeben dürfen. Detektivischer Spürsinn wird wichtiger als pharmazeutische Kompetenz. Lediglich die von AOK und Deutschem Apothekerverband vereinbarte Friedenspflicht sorgt dafür, dass es keine weitergehenden Auseinandersetzungen zwischen Apothekern und AOK gibt.
Dennoch ist die Situation für Apotheker unerträglich. Die Recherche nach Präparaten der AOK-Partner verbraucht wertvolle Arbeitskraft in der Apotheke. Hinzu kommt ein erheblicher Mehraufwand durch zu Recht verärgerte AOK-Versicherte, die auf Medikamente umgestellt werden sollen, die nicht verfügbar sind.
Präparate außer Vertrieb
Bundesweit beschweren sich die Apotheker, dass die AOK mit ihrem Rabattvertrag die Arbeit in der Offizin ein gutes Stück komplizierter und bürokratischer gemacht hat. Gleichzeitig wird die Zeit immer knapper, Patienten tatsächlich zu beraten und betreuen. Die Stimmung in den Apotheken ist deshalb gereizt. Bei den Apothekerverbänden stehen die Telefone nicht mehr still. Apotheker lassen ihrem Frust über den missratenen Start des Rabattvertrages freien Lauf.
Die Chronik des Scheiterns der AOK-Rabattpartner dürfte aber noch nicht zu Ende geschrieben sein. Die beiden Hennefer Unternehmen biomo und corax haben bereits zahlreiche N1-Packungen von Präparaten, für die sie Vereinbarungen mit der AOK getroffen haben, außer Vertrieb gesetzt. Diese Präparate stehen also langfristig nicht mehr zur Verfügung.
Offen macht man sich auch um das Image der AOK Sorgen. Denn die fehlende Lieferfähigkeit fällt ohne Wenn und Aber auf die Ortskrankenkassen zurück. Und auch bei den pharmazeutischen Großhändlern ist die Kritik enorm. Alexander von Chiari, nicht nur Marketingchef der Noweda eG, sondern auch deren Niederlassungsleiter in Frechen, ist zudem sicher, dass die Probleme nicht kleiner, sondern größer werden. »Wir haben uns vor Inkrafttreten des Vertrages bevorratet, wo wir konnten. Doch diese Vorräte waren schnell aufgebraucht«, erklärt von Chiari. Aus der anfänglichen Beteuerung der Unternehmen, man liefere innerhalb von zwei Tagen, sei nicht mehr viel übrig. »Jetzt sollen wir zehn Tage warten.« Aber bei der Noweda hat man, ebenso wie bei den anderen von der PZ befragten Großhändlern, erhebliche Zweifel, ob die betroffenen Hersteller überhaupt wieder flächendeckend lieferfähig werden. Ein Blick in den aktuellen Status der Lieferfähigkeit ist ernüchternd: Der Gegenstand des AOK-Vertrages, das Arzneimittel, ist oft nicht mehr vorhanden. Die Kritik von Herstellern, Apothekern und Ärzten ist enorm, zuletzt auf einer Veranstaltung von Pro Generika in Berlin.
Die Ersatzkassenverbände VdAK/AEV haben mit 26 Generikaherstellern einen Rabattvertrag abgeschlossen. Der Vertrag ist zum 1. April in Kraft getreten und umfasst folgende neun Wirkstoffe: Omeprazol, Simvastatin, Amoxicillin, Roxithromycin, Clarithromycin, Clindamycin, Ciprofloxacin, Tilidin+Naloxon und Tramadol. Wie die Ersatzkassenverbände mitteilen, gibt es für jeden Wirkstoff mindestens zwei Lieferanten. Die Vertragslaufzeit beträgt ein Jahr. Die Vereinbarung gilt für Deutsche Angestellten-Krankenkasse, HEK-Hanseatische Krankenkasse, Hamburg-Münchner-Krankenkasse, Handelskrankenkasse, Gmünder Ersatzkasse, HZK und KEH Ersatzkasse. Die Krankenkassen haben nach eigenen Angaben zusammen 8,7 Millionen Versicherte. Parallel zu diesem Vertrag haben die sieben Ersatzkassen auch einen Vertrag mit Actavis über 44 Wirkstoffe abgeschlossen. Die Ersatzkassen rechnen mit jährlichen Einsparungen in Höhe von 30 Millionen Euro. Weitere Informationen zu den Vereinbarungen bieten die Ersatzkassenverbände unter www.vdak-aev.de.
Auch stellt sich die Frage, ob sich das Grauen in den nächsten Wochen noch steigern wird. Neben der AOK haben mittlerweile auch sieben Ersatzkassen mit 26 Generikaherstellern Verträge abgeschlossen (siehe Kasten). Zahlreiche Firmen, die offensichtlich schon mit dem AOK-Vertrag überfordert waren, beteiligen sich auch an der Vereinbarung der Ersatzkassen. Immerhin kommen so fast 9 Millionen zu versorgende Versicherte hinzu. Die Erfahrungen zum Ersatzkassenvertrag sind allerdings noch nicht ausreichend, um die Konesequenzen abzuschätzen. Das sich die Situation in den Apotheken kurzfristig entspannt, ist allerdings unwahrscheinlich.
Von Daniel Rücker
Die Rabattvereinbarungen bereiten in den Apotheken massive Probleme. Der Vorsitzende des Hessischen Apothekerverbands, Dr. Peter Homann, ermittelt zurzeit für den DAV den Umfang der Defekte.
PZ: Apotheker beschweren sich über Defekte bei Generikafirmen des AOK-Rabattvertrages. Sind dies Einzelfälle, oder handelt es sich um ein generelles Problem?
Homann: Es handelt sich keineswegs um Einzelfälle. Die beteiligten Lieferfirmen können nach den bisherigen Erkenntnissen der in den Rabattverträgen zugesagten Lieferfähigkeit nicht nachkommen. Die Defektquote ist so hoch, dass von einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung, was die AOK-Versicherten anbelangt, keine Rede sein kann.
PZ: Können Sie sagen, wer davon betroffen ist?
Homann: Ich will mich hier nicht auf bestimmte Firmen oder Wirkstoffe festlegen. Dazu reicht das bisher vorliegende Datenmaterial noch nicht aus. Eines ist jedoch schon jetzt deutlich geworden. Unsere grundsätzlich zugesagte Unterstützung der Rabattverträge bedarf einer Überprüfung, wenn AOK und Hersteller nicht umgehend selbst eine Verbesserung der Versorgungssituation herbeiführen.
PZ: Die Firma Biomo, die den alleinigen Zuschlag für Omeprazol bekommen hat, soll angeblich gar nicht mehr lieferfähig sein. Was sollen Apotheker aktuell tun, wenn sie Arzneimittel aus dem Rabattvertrag nicht bekommen?
Homann: Sobald Präparate des Rabattvertrages nicht lieferbar sind, können die Kollegen auf die geltenden Aut-idem-Regeln zurückgreifen.
PZ: Der AOK-Rabattvertrag startet so schlecht, wie Kritiker befürchtet haben. Für die Apotheker bedeutet dies mehr Arbeit. Was tun DAV und die Landesverbände, um das Problem in den Griff zu bekommen?
Homann: Im Zentrum der Überlegungen steht konkret zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Problem der Lieferfähigkeit. Noch in dieser Woche findet ein erstes Gespräch mit der AOK zu diesem Thema statt. Die uns vorliegenden Defektlisten aus Apotheken, von Großhändlern und teilweise auch von Herstellern sind dabei ein gutes Hilfsmittel, um auch die »nötige Ernsthaftigkeit« des Gespräches sicher zu stellen. In der näheren Zukunft muss auch das Thema der Honorierung des zusätzlichen Aufwandes in den Apotheken zur Sprache gebracht werden.
PZ: Geben Sie dem AOK-Rabattvertrag noch eine Chance? Können solche Verträge überhaupt funktionieren?
Homann: Grundsätzlich ist die Frage mit Ja zu beantworten. Die Apothekerschaft steht zu ihrer Zusage, die Rabattverträge zu unterstützen. Auch aus dem Grunde, weil damit eine alte Forderung umgesetzt wurde, den Preiswettbewerb bei Rx-Präparaten dort stattfinden zu lassen, wo er hingehört: zwischen Herstellern und Krankenkassen. Dazu gehören aber auch Rahmenbedingungen, unter denen in den Apotheken diese Verträge umgesetzt werden können. Die wirtschaftliche Situation ist nicht mehr so, dass großzügig Geschenke verteilt werden können. Zusätzliche Leistungen müssen zusätzlich honoriert werden
PZ: Was wären sinnvolle Alternativen?
Homann: Der Vertrag ist gerade vierzehn Tage in Kraft und da ist es noch nicht an der Zeit, über Alternativen zu diskutieren. Es gilt jetzt erst einmal, die offenkundigen Defizite aufzuarbeiten. Das ist zwar in erster Linie eine Aufgabe der Vertragspartner. Aber wir werden das sicherlich mit der nötigen Aufmerksamkeit und, falls erforderlich, auch mit entsprechenden Aufmunterung begleiten.