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Darmkrebs

Therapie nach ­Tumorstadium

21.03.2017  11:19 Uhr

Von Gudrun Heyn / Kolorektale Karzinome wachsen ­unkontrolliert, durchdringen die Darmwand und infiltrieren ­benachbarte Organe und Strukturen. Im fortgeschrittenen ­Stadium kommt es zu Metastasen in Leber, Lunge und Gehirn. Standard ist heute eine stadienadaptierte Tumortherapie, bei der auch zielgerichtete Substanzen zum Einsatz kommen.

Das kolorektale Karzinom (KRK) ist in ­Europa die zweithäufigste Krebserkrankung und die zweithäufigste Krebstodesursache (1). In Deutschland erkranken jährlich mehr als 73 000 Menschen neu und mehr als 27 000 versterben an den Folgen (2). Die Prognose ist abhängig vom Krankheitsstadium bei der Erstdiagnose und weiteren biologischen Risikofaktoren. Mehr als 90 Prozent der Pa­tienten mit lokalem Darmkrebs leben länger als fünf Jahre. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei Patienten mit bereits befallenen Lymphknoten nur noch bei 50 Prozent und sinkt auf 10 bis 20 Prozent bei einer metastasierten Erkrankung (3). Das mittlere Erkrankungsalter liegt zwischen 70 und 75 Jahren. Nur bei einem kleinen Teil der Patienten tritt die Erkrankung vor dem 55. Lebensjahr auf (4).

»Im Frühstadium bestehen meist keine Symptome«, erklärt Dr. Michael Rieger, Darmstadt, beim onkologisch-pharmazeutischen Fachkongress NZW in Hamburg (1). Später sind die Symptome unspezifisch und können harmlose Ursachen haben (5). Wichtig ist daher die Beachtung von Warnzeichen wie Blut im oder auf dem Stuhl oder ­wiederkehrende, kolikartige Bauchschmerzen, die länger als eine Woche anhalten. Zudem können veränderte Stuhlgewohnheiten wie plötzlicher Durchfall oder Verstopfung oder beides im Wechsel, bleistiftdünner Stuhl oder häufiger Stuhldrang auf Tumoren im Darm hinweisen. Zu den Allgemeinsymptomen gehören ungewollte Gewichtsabnahme, Leistungsabfall, starke Blähungen, Müdigkeit und Blässe durch eine Anämie.

 

Erkrankungsrisiko

 

Ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko haben Menschen, bei denen ein oder mehrere Verwandte ersten Grades von Darmkrebs betroffen sind. Etwa 20 bis 30 Prozent aller Patienten haben ein solches genetisches Risiko, ohne dass die genetischen Ursachen identifiziert werden können (2).

Tabelle 1: UICC-Klassifikation der Tumorstadien (4)

Stadium Primärtumor Lymphknoten-(LK)status Fernmetastasen
I T1, T2 N0 M0
IIA T3 N0 M0
IIB T4a N0 M0
IIC T4b N0 M0
IIIA T1 bis -2 N1 (1 bis 3 betroffene LK) M0
T1 N2a (4 bis 6 betroffene LK) M0
IIIB T3 bis -4 N1 (1 bis 3 betroffene LK) M0
T2 bis -3 N2a (4 bis 6 betroffene LK) M0
T1 bis -2 N2b (≥ 7 betroffene LK) M0
IIIC T4a N2a (4 bis 6 betroffene LK) M0
T3 bis -4a N2b (≥ 7 betroffene LK) M0
T4b N1 bis 2 M0
IVA jedes T jedes N M1a (Fernmetastasen in einem Organ)
IVB jedes T jedes N M1b (Fernmetastasen in einem Organ oder im Peritoneum)

T1: Infiltration der Submukosa, T2: Infiltration der Muscularis propria, T3: Infiltration über die ­Muscularis propria hinaus in die perikolorektalen Gewebe, T4a: Infiltration des viszeralen Peritoneums, T4b: Infiltration von Nachbarorganen

 

Daneben gibt es bekannte erbliche Formen. Die häufigste ist das Lynch-Syndrom (Hereditäres Nicht Polypöses Kolonkarzinom) mit Veränderungen in Genen wie MSH2 und MLH1. Weniger als 3 Prozent aller KRK-Patienten leiden daran (4). Typischerweise brechen diese Erkrankungen in der Regel schon vor dem 50. Lebensjahr aus.

 

Menschen mit sporadischen Mutationen in verschiedenen Genen bilden die größte Gruppe unter den KRK-Pa­tienten. Bei der klassischen Adenom-Karzinom-Sequenz führt die initiale Mutation zu einer Inaktivierung des Tumorsuppressorgens APC (Adenoma Polyposis Col), was die Bildung gutartiger adenomatöser Polypen fördert. Ein Teil der Adenome entwickelt sich über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren zu Tumoren weiter. Zu beobachten sind Mutationen des Onkogens K-RAS, das dadurch aktiviert wird, aber auch Mutationen in den Genen des Tumorsuppressors DCC (Deleted in Colorectal Cancer) und des Tumorsuppressors p53 (6). Etwa 15 Prozent der Patienten mit sporadischen Kolonkarzinomen weisen zudem eine hochgradige Mikrosatelliten-Instabilität auf, also eine Längenveränderung innerhalb repetitiver DNA-Sequenzen, die auf einer fehlerhaften DNA-Reparatur beruht (7).

Vorsorgeuntersuchungen

Die Entfernung von Adenomen kann das Auftreten von Tumoren verhindern. Ab dem 55. Lebensjahr haben Männer und Frauen im Rahmen des gesetzlichen Vorsorgeprogramms daher Anspruch auf eine Vorsorgekoloskopie (Darmspiegelung). Nehmen sie diese vor dem 65. Lebensjahr wahr, ist nach zehn Jahren eine zweite Untersuchung auf Kosten der Krankenkasse möglich. Daten des bundesweiten Registers der Vorsorgekoloskopien zeigen, dass in den Jahren 2002 bis 2012 dadurch langfristig circa 180 000 KRK verhindert werden konnten (8). Eine ­Alternative zur Vorsorgekoloskopie ist der Test auf okkultes Blut im Stuhl. Seit Januar 2017 sind die Verwendung eines quantitativen immunologischen Stuhltests (iFOBT) und dessen Auswertung durch einen Arzt vorgeschrieben, der dazu eine Genehmigung haben muss (9). Personen zwischen dem 50. und 54. Lebensjahr können die Vorsorgeuntersuchung jährlich, ab dem 55. Lebensjahr alle zwei Jahre wahrnehmen.

Ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa in der Vorgeschichte. Ein ungesunder Lebensstil kann die Entstehung von Darmkrebs fördern. Dazu zählen beispielsweise erhöhter Alkohol- und Tabakkonsum, ballaststoffarme und fettreiche Ernährung, Bewegungsmangel und Adipositas.

 

Tumorstadium und ­Lokalisation entscheiden

 

Bei der Wahl der Therapiemaßnahmen spielt das Tumorstadium eine entscheidende Rolle. Grundlage der Bewertung ist die Klassifikation der UICC (Union internationale contre le cancer) mit den Kriterien: Eindringtiefe des Primärtumors, Lymphknotenstatus und Meta­stasierung (Tabelle 1).

 

Aber auch die Lokalisation des Tumors ist von Bedeutung. So unterscheiden Mediziner in den UICC-Stadien II und III zwischen Kolon- und Rektumkarzinomen (10). Laut der UICC-Definition sind Rektumkarzinome alle Tumoren, deren unterer Rand weniger als 16 cm vom Analkanal entfernt ist. Sowohl beim Kolon- als auch beim Rektumkarzinom steht im Stadium I die Heilung durch eine komplette chirurgische Entfernung des Primärtumors im Vordergrund. Nach der Operation ist in der Regel keine weitere Therapie erforderlich.

 

Therapie des ­Kolonkarzinoms

 

Im Stadium II empfiehlt die S3-Leitlinie, für Patienten mit Kolonkarzinom in ausgewählten Risikosituationen, zum Beispiel bei einer Notoperation oder zu wenigen untersuchten Lymphknoten, im Anschluss an die Operation eine Chemotherapie zu erwägen (adjuvante Chemotherapie) (2). Die Therapie mit infusionalem 5-Fluorouracil (5-FU) plus Folinsäure oder dem ­peroral bioverfügbaren 5-FU-Prodrug ­Capecitabin reduziert die Rezidivrate und erhöht die Überlebensrate nach fünf Jahren (4).

Tabelle 2: Das FOLFOX4 und XELOX-II- Schema (1)

Substanzen Dosierung (mg/m2) Applikationsdauer/ Applikationsart Therapietage Therapieintervall
FOLFOX4
Oxaliplatin 85 2h-Infusion 1 alle zwei Wochen
Folinsäure 200 2h-Infusion 1, 2 alle zwei Wochen
5-FU 400 Bolus 1, 2 alle zwei Wochen
5-FU 600 22h-Infusion 1, 2 alle zwei Wochen
XELOX II
Oxaliplatin 130 2h-Infusion 1 alle drei Wochen
Capecitabin 2000 auf zwei Gaben täglich verteilt 1 bis 14 alle drei Wochen

Im Stadium III ist eine adjuvante Chemotherapie immer indiziert. Innerhalb von fünf bis maximal acht Wochen nach der Operation erhalten die Patienten in der Regel entweder 5-FU in Kombination mit Folinsäure plus Oxaliplatin nach dem FOLFOX4-Schema oder eine Kombinationstherapie mit Oxaliplatin und Capecitabin nach dem XELOX-II-Schema (Tabelle 2) (1, 2). In Studien konnte die adjuvante Therapie nicht nur das Risiko für Rezidive senken, sondern verbesserte auch das Überleben der Patienten signifikant. So zeigte beispielsweise die Mosaic-Studie, dass eine Behandlung mit FOLFOX4 gegenüber 5-FU plus Leucovorin überlegen ist. Nach einem zehnjährigen Follow-up betrug die Gesamtüberlebensrate der Patienten im Stadium III im Verumarm 67 Prozent gegenüber 59 Prozent in der Vergleichsgruppe (11).

 

Bei Patienten mit einem höheren biologischen Alter kann alternativ auch eine Oxaliplatin-freie Therapie mit infusionalem 5-FU/Folinsäure oder Capecitabin sinnvoll sein.

 

Fluoropyrimidine und ­Oxaliplatin

 

Bei fast allen medikamentösen Darmkrebs-Therapien ist das Zytostatikum 5-Fluorouracil die wichtigste Substanz. »Ob infusionales 5-FU oder sein oral verfügbares Prodrug Capecitabin zum Einsatz kommt, hängt oft von der Fitness des Patienten ab«, sagt Rieger (1). So ist das FOLFOX4-Schema gegenüber dem XELOX-II-Schema aufgrund der niedrigeren Oxaliplatin-Dosierung weniger toxisch (Tabelle 2).

Wichtig ist die Lagerung von 5-FU-Konzentraten bei Raumtemperatur (1). Sinkt die Temperatur unter 15 °C, kann die Lösung auskristallisieren.

 

Vor oder gleichzeitig zu einer parenteralen 5-FU-Therapie erhalten die Patienten Folinsäure. Diese erhöht die Wirkung von 5-FU, indem sie die Bindung von 5-FU an die Thymidilatsynthase, einem Schlüsselenzym der Pyrimidin-Biosynthese, verstärkt. Bei einer oralen Therapie mit Capecitabin ist die Gabe von Folinsäure dagegen nicht vorgesehen. Folsäure kann die Toxizität der Fluoropyrimidine deutlich erhöhen. »Apotheker sollten in der Beratung daran denken, dass Patienten während einer 5-FU- oder Capecitabin-Therapie zusätzlich keine Präparate einnehmen dürfen, die Folinsäure oder Folsäure enthalten«, betont Dr. Tilman Schöning, stellvertretender Chefapotheker des Universitätsklinikums Heidelberg (1).

 

Auch das Platinderivat Oxaliplatin ist in den Stadien III und IV eine wichtige Therapieoption. Im Gegensatz zu den Antimetaboliten 5-FU und Capecitabin ist es im weiteren Sinn der Gruppe der Alkylanzien zuzuordnen. Diese stören die DNA-Replikation sowie die RNA- und Proteinbiosynthese, indem sie Alkylgruppen an nukleophile Strukturen von Nukleinsäuren und von Proteinen binden. Auch die bei der Biotransformation von Oxaliplatin entstehenden Aquo-Derivate interagieren mit der DNA. Es kommt zu Intra- und Interstrang-Quervernetzungen, die zu einem Abbruch der DNA-Synthese ­führen.

 

Unter einer FOLFOX- oder XELOX-Therapie ist vor allem die Neurotoxizität als unerwünschte Arzneimittelwirkung von Oxaliplatin zu beachten. »Bei der Beratung der Patienten vor der ­Therapie sollte die Möglichkeit von ­Gefühlsstörungen unbedingt thema­tisiert werden«, empfiehlt Schöning (1). Zu den Nebenwirkungen von Oxaliplatin gehören auch Übelkeit und Erbrechen, Allergien und Leberschäden.

 

Eine Folge der Toxizität von 5-FU und Capecitabin können Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sein. Bei einer Capecitabin-basierten Behandlung tritt zudem das Hand-Fuß-Syndrom sehr häufig auf. »Es ist davon auszugehen, dass einige Abbauprodukte bei der Umwandlung von Capecitabin zu 5-FU dafür verantwortlich sind«, erklärt Schöning (1).

 

Weiterhin ist zu beachten, dass 5-FU ebenso wie Nukleosidanaloga, zum Beispiel Brivudin, über das Enzym Di­hydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) verstoffwechselt werden. Die gleichzeitige Einnahme oder Anwendung von Brivudin und Analoga zusammen mit 5-FU oder 5-FU-Prodrugs ist daher kontraindiziert.

 

Empfehlungen zur ­Supportivtherapie

 

»Zur Prophylaxe von Übelkeit und Erbrechen reicht bei den Regimen im Stadium III in der Regel die Gabe eines 5HT3-Antagonisten wie Ondansetron, Granisetron oder Palonosetron plus Dexamethason aus«, erklärt Schöning (1).

Enthält das Regime Capecitabin, ist eine konsequente Hautpflege sinnvoll, um das Risiko eines Hand-Fuß-Syndroms zu verringern. Erste Anzeichen sind zum Beispiel Kribbeln, Steifheit in den Händen oder eine Rötung der Haut. Die Autoren der S3-Leitlinie Supportivtherapie empfehlen zur Prophylaxe eine harnstoffhaltige Creme (Urea 5 bis 10 Prozent) (12). Vor allem die Hände und Füße sollten sich die Patienten damit eincremen. Wenn bereits Symptome auftreten, kann eine Uridin-Salbe helfen (1). Gegebenenfalls sind topische Glucocorticoide wie Prednicarbat oder Betamethason oder eine Dosisreduk­tion des Capecitabins indiziert.

 

Bei einer therapiebedingten Diarrhö ist Loperamid das Mittel der Wahl. Da der Durchfall sehr plötzlich auftreten kann, sollten Patienten entsprechende Medikamente zu Hause haben (1). Indiziert sind maximal 16 mg Loperamid pro Tag, initial 4 mg, danach 2 mg alle vier Stunden oder nach jedem flüssigen Stuhl. Die Betroffenen sollten Lactose-haltige Getränke oder Speisen meiden, nur kleine Mahlzeiten zu sich nehmen und möglichst viel trinken. Sinnvoll sind acht bis zehn große Gläser Flüssigkeit mit Vollelektrolyten, Brühe oder Apfelsaftschorle über den Tag verteilt. Die Patienten sollten zudem wissen, dass sie einen Arzt aufsuchen müssen, wenn der Durchfall nach 24 Stunden immer noch besteht oder sie unter mehr als sechs Stühlen pro Tag, starken Bauchkrämpfen, Inkontinenz oder blutigen Stühlen leiden.

 

Auch wenn Gefühlsstörungen unter Oxaliplatin auftreten, müssen Patienten ihren Arzt informieren. Dazu gehören eine gesteigerte Kälte- und Wärmeempfindlichkeit, Kribbeln oder Taubheitsgefühle. Die Neurotoxizität beginnt meist schleichend. Es kommt zu vorübergehenden Missempfindungen, beispielsweise wenn der Patient etwas Kaltes trinkt. »Da diese Missempfindungen starke Ängste auslösen und Betroffene panisch reagieren können, sollten sie darüber aufgeklärt sein, dass ihr Hals nicht zuschwillt«, erklärt Rieger (1). Erste Maßnahme ist die ­Dosisreduktion von Oxaliplatin, aber auch ein Absetzen der Therapie kann notwendig sein. Um Missempfindungen vorzubeugen, gilt es, Kälte sowie Hitze zu meiden. Daher sollten Apotheker Patienten mit einer Oxaliplatin-­haltigen Chemotherapie auch keine Eiswürfel zur Prophylaxe einer Mukositis empfehlen.

 

Besonderheit beim ­Rektumkarzinom

 

Im Gegensatz zu Patienten mit Kolonkarzinom erhalten Patienten mit Rektumkarzinom im Stadium II und III in der Regel neoadjuvant, also vor der operativen Maßnahme, eine Strahlen- oder eine Radiochemotherapie (2, 10). Die Radiochemotherapie beinhaltet eine 5-FU- oder Capecitabin-Monotherapie. Durch die präoperative Therapie und qualitätsgesicherte Chirurgie lässt sich die Lokalrezidivrate auf unter 10 Prozent senken (13).

 

Nach einer neoadjuvanten Radiochemotherapie empfehlen die Autoren der S3-Leitlinie adjuvant eine 5-FU-Monotherapie (2). Haben die Patienten neoadjuvant keine Radiochemotherapie oder kurzzeitige Strahlentherapie erhalten, ist eine adjuvante Radiochemotherapie indiziert (2). Liegt das Karzinom im oberen Rektum, kann auch eine adjuvante Therapie wie beim Kolonkarzinom sinnvoll sein (13).

 

Fortgeschrittene Stadien

Kennzeichen des Stadiums IV sind Fernmetastasen (mKRK). Sie treten vor allem in der Leber, in der Lunge und im Bauchfell (Peritoneum) auf. Können alle Metastasen chirurgisch entfernt werden, ist eine Heilung immer noch möglich (10). So beträgt die krankheitsfreie Überlebensrate von Patienten mit resektablen Leber- oder Lungenmetastasen nach fünf Jahren bis zu 50 Prozent (13). Vor der Operation kann eine neoadjuvante Chemotherapie zur Verkleinerung der Metastasen sinnvoll sein. Die Entscheidung, ob eine Therapie mit kurativer Absicht erfolgen kann, sollten erfahrene Chirurgen am besten in einer Tumorkonferenz treffen (1, 10).

 

Besteht die Möglichkeit einer Heilung oder leiden Patienten unter tumorbedingten Symptomen, ist eine ­intensive adjuvante Therapie indiziert. Patienten mit multiplen Metastasen (palliative Situation) ohne Symptome und/oder mit schwerer Komorbidität können auch weniger intensiv behandelt werden.

 

Optionen bei ­Fernmetastasen

 

Grundsätzlich sollten Patienten mit mKRK im Lauf ihrer Therapie Zugang zu allen verfügbaren Medikamenten haben (2). Zur Behandlung stehen deutlich mehr Substanzen zur Verfügung als in den vorangegangenen Stadien. Neben 5-FU, Capecitabin und Oxaliplatin gehören dazu vor allem das Zytostatikum Irinotecan, die Anti-EGFR-Antikörper Cetuximab und Panitumumab und die VEGF-Inhibitoren Bevacizumab und Aflibercept. Verschiedene Kombinationen eröffnen eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten. Dazu gehören beispielsweise Schemata wie FOLFOX, FOLFIRI (5-FU, Folinsäure, Irinotecan) oder FOLFOXIRI (5-FU, Folinsäure, Oxaliplatin, Irinotecan) in Kombination mit einer zielgerichteten Substanz.

 

Vor dem Einsatz der EGFR-Inhibitoren Cetuximab und Panitumumab ist stets der Mutationsstatus zu klären. Nur bei Tumoren mit einem all-RAS­ (K-RAS und N-RAS)- und BRAF-Wildtyp ist beispielsweise eine Therapiekombination von FOLFOX plus Cetuximab oder Panitumumab besser als FOLFOX alleine (10). Dagegen können Mutationen (= kein Wildtyp) krankheitstreibende Signalkaskaden in der Zelle aktivieren, die unabhängig von der Expression des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR) sind. Dann bleiben Medikamente, die am EGFR auf der ­Zelloberfläche wirken, ineffektiv.

 

Zu den häufigsten Nebenwirkungen der EGFR-Inhibitoren Cetuximab und Panitumumab gehören Hautreaktionen. Zu Beginn kommt es zu Akne-artigen Hautausschlägen, in der späten Phase wird die Haut trocken und empfindlich. »Betroffene benötigen eine gute Hautpflege«, so Schöning (1). In der frühen Phase sind hydrophile, nicht fettende Cremes empfehlenswert. In der späten Phase sollten lipophile rückfettende Cremes und Körperlotionen zur Anwendung kommen. Wichtig sind zudem ein ausreichender Lichtschutz durch Kleidung und Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor (LSF > 30). Um den Schweregrad der Akne-ähnlichen Ausschläge zu verringern, können die Ärzte während einer EGFR-Inhibitor-Therapie zur Prophylaxe zusätzlich orales Doxycyclin einsetzen (12).

Bei einer Therapie mit dem chimären Antikörper Cetuximab besteht zudem ein größeres Risiko für einen anaphylaktischen Schock. Daher erhalten Patienten bei der Gabe von Cetuximab eine Anaphylaxie-Prophylaxe in Form eines Corticosteroids wie Dexamethason zusammen mit einem Antihistaminikum wie Clemastin und einem H2-Rezeptorblocker wie Ranitidin.

 

Ein anderes Nebenwirkungsprofil zeigen die VEGF-Inhibitoren Bevacizumab und Aflibercept. Unter dem monoklonalen Antikörper und dem rekombinanten Fusionsprotein sind häufig Nebenwirkungen wie Hypertonie, Proteinurie, gastrointestinale Beschwerden und ein erhöhtes Thromboserisiko zu beobachten. Zudem besteht ein ­erhöhtes Risiko für Wundheilungsstörungen. Bevacizumab und Aflibercept sollten daher frühestens 28 Tage nach einer Operation und nur bei einer vollständig abgeheilten Wunde zum Einsatz kommen. »Denken Sie bei der Zubereitung von Bevacizumab daran, dass die Substanz mit Kochsalzlösung auf das gewünschte Applikationsvolumen zu verdünnen ist«, erinnert Schöning (1).

 

Bei einer Therapie mit Irinotecan ist zu beachten, dass körpereigene Enzyme den Topoisomerase-Hemmer zum aktiven Metaboliten SN-38 umwandeln. Dies geschieht auch in der Leber über CYP3A4 (1). Die gleichzeitige Anwendung von Irinotecan und starken Inhibitoren oder Induktoren von CYP3A4 ist daher zu vermeiden. Zu den möglichen Nebenwirkungen der Sub­stanz gehören Übelkeit und Erbrechen, verzögert einsetzende Diarrhö und Blutbildungsstörungen. Als Supportivmaßnahmen haben sich eine Antiemese, die Aufklärung darüber, dass Durchfall nach mehr als 24 Stunden einsetzen kann, und bei Diarrhö die Gabe von Loperamid bewährt. Treten Erbrechen und verzögerte Diarrhö zusammen auf, müssen Patienten so schnell wie möglich stationär behandelt werden.

 

Eine weitere wesentliche Nebenwirkung unter Irinotecan ist das akute cholinerge Syndrom. Ursache ist eine Parasympathikus-Aktivierung (1). Betroffene leiden unter früh einsetzender Diarrhö zusammen mit Symptomen wie Unwohlsein, Schwitzen, Bauchkrämpfen und Tränenfluss. Zur Behandlung und als Prophylaxe vor der nächsten Irinotecan-Applikation wird Atropin 0,25 mg subkutan gespritzt. »Soll Irinotecan zusammen mit Folinsäure appliziert werden, sind sowohl Irinotecan als auch Folinsäure in 5-prozentiger Glucoselösung zuzubereiten«, erklärt der Apotheker (1).

 

Intensiv, aber mit Pausen

 

Bei einer intensiven adjuvanten Therapie in der metastasierten Situation kommt das FOLFOX-Schema mit einer wesentlich höheren 5-FU-Dosierung zum Einsatz (1). So sieht das FOLFOX6-Schema eine 5-FU-Infusion in einer Dosierung von 2400 mg/m2 intravenös über 46 Stunden vor. Weist der Tumor eine BRAF-Mutation auf, benötigt der Patient eine noch intensivere Therapie. »Ein geeignetes Schema ist FOLFOXIRI in Kombination mit Bevacizumab«, informiert Rieger (1). Falls der Allgemeinzustand dies nicht erlaubt, ist auch ­ die Anwendung von FOLFOX, FOLFIRI oder Capecitabin mit Bevacizumab eine Option.

 

Nach etwa einem halben Jahr intensiver Therapie ist oft eine Pause oder eine Erhaltungstherapie, beispielsweise mit Capecitabin, möglich. Wird die Erkrankung wieder aktiv, erhält der Patient in der zweiten oder dritten Linie in der Regel eine Kombinations- oder Monotherapie, die bislang noch nicht angewendet wurde (1). So ist auch die Gabe des oralen Multikinasehemmers Regorafenib denkbar. Seit 2016 ist er nicht mehr auf dem deutschen Markt und muss daher gegebenenfalls im Ausland bestellt werden.

 

Seit August 2016 steht mit dem oralen Kombipräparat aus Trifluridin und Tipiracil zudem eine neue Therapie­option zur Verfügung. Zugelassen ist das Zytostatikum zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Darmkrebs, die gegenüber den bisher verfügbaren Therapien refraktär sind oder diese nicht vertragen.

 

Ebenfalls 2016 wurde der VEGF-Inhibitor Ramucirumab für die Indikation mKRK zugelassen. In Kombination mit FOLFIRI kann er bei erwachsenen Patienten eingesetzt werden, bei denen es während oder nach einer Therapie mit Bevacizumab, Oxaliplatin und einem Fluoropyrimidin zum Tumorprogress gekommen ist.

 

In Zukunft können möglicherweise Checkpoint-Inhibitoren wie Ipilimu­mab, Nivolumab und Pembrolizumab beim mKRK zum Einsatz kommen. In Studien sprechen vor allem KRK mit ­einer Mikrosatelliten-Instabilität auf die Immuntherapie an (14). /

Literatur und Vorträge

  1. Dr. Tilman Schöning, stellvertretender Chefapotheker des Universitätsklinikums Heidelberg, und Dr. Michael Rieger von der Onkologischen Schwerpunktpraxis Darmstadt, Kolonkarzinom. Vortrag beim 25. onkologisch-pharmazeutischen Fachkongress NZW. Hamburg, 21. Jan. 2017.
  2. Schmiegel, W., Pox, C., S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom. Stand August 2014. Leitlinienprogramm Onkologie (DKG, Dt. Krebshilfe, AWMF; Hrsg). AWMF-Reg. Nr. 021/007OL. www.leitlinienprogramm-onkologie.de.
  3. Beets, et al., ECCO Essential Requirements for Quality Cancer Care: Colorectal Cancer. Crit. Rev. Oncology/Hematology 110 (2017) 81–93.
  4. DGHO (Hrsg.), Leitlinie Kolonkarzinom. Stand Jan. 2016. www.onkopedia.com.
  5. DKG, Dt. Krebshilfe, AWMF (Hrsg.), Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Patientenleitlinie. Dez. 2014, www.leitlinienprogramm-onkologie.de.
  6. Nierlich, A-M., Verschleppungszeit des kolorektalen Karzinoms. Diss. FU Berlin 2009.
  7. Pohl, M., Schmiegel, W., Kolorektale Karzinome – personalisierte, stadienadaptierte ­Tumortherapie. Dtsch. Med. Wschr. 138 (2013) 1790–1795.
  8. Brenner, H., et al., Rückgang der Inzidenz und Mortalität von Darmkrebs in Deutschland. Dtsch. Ärztebl. 7 (2016) 101–106.
  9. GBA, Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Änderung der Krebsfrüherkennungsrichtlinie: Bewertung eines iFOBT-basierten Darmkrebsscreenings im Vergleich zu einem gFOBT-basierten Darmkrebsscreening. BAnz AT 8. 7. 2016 B2.
  10. Professor Dr. Günther Wiedemann, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Onkologie der Oberschwabenklinik Ravensburg, Aktuelle Therapiestandards bei kolorektalen Karzinomen. Vortrag auf dem 15. onkologisch-pharmazeutischen Fachkongress NZW München. München, ­ 9. Sept. 2016.
  11. André, T., et al., Adjuvant Fluorouracil, Leucovorin, and Oxaliplatin in Stage II to III Colon Cancer: Updated 10-Year Survival and Outcomes According to BRAF Mutation and Mismatch Repair Status of the MOSAIC Study. JCO 33 (2015) 4176–4187.
  12. DGHO (Hrsg.), S3-Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen Patienten. Nov. 2016, AWMF-Registernummer 032/054OL. www.onkopedia.com.
  13. DGHO (Hrsg.), Leitlinie Rektumkarzinom. Stand Jan. 2016. www.onkopedia.com.
  14. Lutz, M., et al., Expertenrunde Gastrointestinale Tumoren – ASCO Annual Meeting 2016. www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/kongresse/asco-annual-meeting/asco-annual-meeting-2016/asco-annual-meeting-2016-expertenrunde-gastrointestin.html

Die Autorin

Gudrun Heyn ist als freie Wissenschaftsjournalistin in Berlin tätig und behandelt vor allem Themen aus Medizin und Pharmazie. Nach ihrer journalistischen Ausbildung und Promotion hat sie in verschiedenen Forschungseinrichtungen, darunter am Kernforschungszentrum Karlsruhe und beim Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung gearbeitet. Sie erfüllte Lehraufträge an der Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg, und der Freien Universität, Berlin. In Fachpublikationen veröffentlichte sie ­Ergebnisse eigener Forschungen.

 

Dr. Gudrun Heyn

Ferbitzer Weg 33 B

13591 Berlin

E-Mail: gheyn@gmx.de

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