Mit Gentests die Therapie optimieren |
12.03.2014 10:06 Uhr |
Von Peter Schweikert-Wehner / Für die oralen Gerinnungshemmer Phenprocoumon und Warfarin sowie den Thrombozytenaggregations-Hemmer Clopidogrel sind therapierelevante individuelle Enzymvarianten beschrieben. Eine Untersuchung der genetischen Ausstattung des Patienten könnte daher schon vor dem Therapiestart Aufschluss darüber geben, ob der Patient den Arzneistoff schnell, mit normaler Geschwindigkeit oder verlangsamt metabolisiert.
Die Dosierung von Phenprocoumon und Warfarin wird über den INR (international normalized Ratio)-Wert gesteuert. Der Zielbereich für die Therapie liegt bei fast allen Indikationen im INR-Bereich 2 bis 3. Um diesen Zielbereich zu erreichen, bedarf es einer Aufsättigungsphase beziehungsweise Initialdosis.
Wird ein Arzneimittel bei einem Patienten stark, schwach oder überhaupt nicht wirken? Diese Frage lässt sich heute in vielen Fällen schon vor dem Therapiestart beantworten. Nötig ist dafür die Untersuchung der genetischen Ausstattung.
Foto: Fotolia/Gernot Krautberger
Bei genetischen und sonstigen Faktoren (zum Beispiel Interaktionen), die zu höheren Plasmaspiegeln beziehungsweise höheren INR-Werten führen können, sollte mit einer etwas kleineren Anfangsdosis als üblich begonnen und der INR-Wert früher gemessen werden. Um eine Abschätzung der richtigen Initaldosis sicher vornehmen zu können, ist somit auch die Kenntnis der genetischen Disposition von Vorteil. Von Interesse sind hier die Enzyme VKORC1 und CYP2C9. Das VKORC1-Gen kodiert für das Enzym Vitamin-K-Epoxidreduktase, das für die Wiedergewinnung von Vitamin K verantwortlich ist. Vitamin K spielt eine zentrale Rolle bei der Blutgerinnung, da es benötigt wird, um wichtige Gerinnungsfaktoren in ihre wirksamen Formen zu überführen. Das Enzym ist das pharmakologische Target der Cumarine, die als Vitamin-K-Antagonisten gerinnungshemmend wirken. Im VKORC1-Gen (Untereinheit 1 der Vitamin-K-Epoxidreduktase) sind mehrere Polymorphismen beschrieben, wobei für die Cumarin-Dosierung nur die Mutation in der Promotorregion G-1639A oder die gekoppelte Mutation C1173T im Intron 1 eine Rolle spielen. Patienten mit dem VKOR1-1639 AA Genotyp (homozygote Mutation) zeigen ebenfalls höhere INR-Werte, da sie weniger Vitamin K bilden als Patienten mit heterozygotem Genotyp GA und GG (homozygot Wildtyp).
Das CYP2C9-Enzym ist nach CYP3A4 das quantitativ am meisten exprimierte Leberenzym der Cytochrom-P450-Familie und für die Clearance von 15 bis 20 Prozent aller Wirkstoffe verantwortlich, die in Phase I metabolisiert werden. Auch Warfarin und Phenprocoumon werden hierüber abgebaut. Vom Cytochrom CYP2C9 sind neben dem Wildtypallel CYP2C9*1 elf weitere Haplotypen bekannt, CYP2C9*2 bis *12. Bei den Allelen *2 und *3 kommt es durch je eine Punktmutation zum Austausch einer Aminosäure im Protein. Bei CYP2C9*2 wird ein Arginin an der Position 144 ersetzt durch ein Cystein (R144C), bei CYP2C9*3 wird ein Isoleucin an der Position 359 ersetzt durch ein Leucin (I359L). Die aus den Haplotypen *2 und *3 resultierenden Proteine zeigen nur etwa 12 beziehungsweise 5 Prozent der enzymatischen Aktivität verglichen mit dem Wildtypprotein. Dies bedeutet, dass Patienten mit diesen Varianten durch die verminderte Abbauleistung einen höheren Plasmaspiegel des Arzneistoffes zeigen, der INR-Wert höher liegt und damit die Blutungsgefahr steigt. Dieser Effekt kann auch durch Arzneistoffe verstärkt werden, die potente Hemmstoffe von CYP2C9 darstellen.
VKORC1 Genotyp rs9923231 | CYP2C9 *1/*1 | CYP2C9 *1/*2 | CYP2C9 *1/*3 | CYP2C9 *2/*2 | CYP2C9 *2/*3 | CYP2C9 *3/*3 |
---|---|---|---|---|---|---|
GG | 5-7 | 5-7 | 3-4 | 3-4 | 3-4 | 0,5-2 |
GA | 5-7 | 3-4 | 3-4 | 3-4 | 0,5-2 | 0,5-2 |
AA | 3-4 | 3-4 | 0,5-2 | 0,5-2 | 0,5-2 | 0,5-2 |
Konsequenzen für Phenprocoumon
Phenprocoumon wird neben CYP2C9 auch von CYP3A4 abgebaut und zum Teil unverändert über den Urin ausgeschieden. Ein allgemein gültiger Algorithmus, um aus den Genvarianten die geeignete Dosis ableiten zu können, konnte bisher nicht formuliert werden.Jedoch ist in den Varianten bei CYP2C9 und VKORC1, die vom Wildtyp abweichen, mit stärkerer Blutungsneigung des Patienten zu rechnen. Das bedeutet in der Praxis:
Konsequenzen für Warfarin
Pharmakogenetisch sind mehrere Varianten mit eingeschränkter Enzymfunktion relevant, die sich auf Warfarin mit seiner geringen therapeutischen Breite auswirken.
Die Tabelle gibt für die relevanten Genvarianten die von der FDA empfohlenen Warfarin-Mengen wieder. Die weitere Dosiseinstellung sollte dann basierend auf INR-Bestimmungen vorgenommen werden. Dieser Wert ist spätestens an Tag 3 zu messen. Durch die etwas geringere Plasmaeiweißbindung (90 versus 99 Prozent bei Phenprocoumon) wird der Zielbereich erfahrungsgemäß schneller erreicht.
Konsequenzen für Clopidogrel
Die Bioaktivierung des Clopidogrels erfolgt zunächst oxidativ im Sinne einer Hydroxylierung des Thiophens, gefolgt von der Hydrolyse des tautomeren Thiolactons, wodurch unter Öffnung des Thiophenrings ein chemisch reaktives und pharmakologisch aktives 4-Piperidinthiol-Derivat entsteht. Dieser Metabolit bindet irreversibel an den P2RY12-Rezeptor des Blutplättchens und über die nachfolgende Aktivierung des Glykoprotein-GP-IIb/IIIa-Komplexes kommt es zu einer Hemmung der Thrombozytenaggregation.
Clopidogrel ist indiziert zur Prävention atherothrombotischer Ereignisse nach Myokardinfarkt oder ischämischem Schlaganfall und bei peripherer Verschlusskrankheit in der Dosierung 75 mg/Tag. Bei akutem Koronarsyndrom wird eine höhere Dosierung von 300 mg/Tag gegeben. Es ein inaktives Prodrug und wird – nach der Aufnahme aus dem Intestinum über das p-Glykoprotein – in der Leber über verschiedene Cytochrom-P450 Enzyme in den aktiven Thiolmetaboliten umgewandelt (Abbildung). Dieser Metabolit bindet irreversibel an den P2RY12-Rezeptor des Blutplättchens, sodass es über die nachfolgende Aktivierung des Glykoprotein-GP-IIb/IIIa-Komplexes zu einer Hemmung der Thrombozytenaggregation kommt. Nach Absetzen von Clopidogrel ist nach fünf bis sieben Tagen die volle Thrombozytenfunktion wieder hergestellt. Der Effekt ist pharmakogenetisch vor allem abhängig vom CYP2C19-Genotyp und der Struktur des p-Glykoproteins, die ebenfalls über Genanalysen abgebildet werden. Patienten mit langsamem Metabolisierungsstatus und/oder schlechter Resorptionsleistung aus dem Darm haben eine stark verminderte Wirksamkeit.
Der CYP2C19*1-Haplotyp korrespondiert mit voll funktionsfähigem Metabolismus. Jedoch sprechen 20 bis 40 Prozent der Patienten aufgrund der genetischen Abweichungen nicht ausreichend auf Clopidogrel an. Vor allem Patienten mit den CYP2C19 Varianten *1/*2; *1/*3, *2/17 als intermediate metabolizer (IM) und *2/*2, *2/*3 und *3/*3 als poor metabolizer (PM) zeigen eine geringere Enzymaktivität und werden mit einer verminderten Aktivierung in Verbindung gebracht. Im ABCB1-Transporter (p-Glykoprotein) ist für die C3435t-Variante eine signifikante Senkung der Blutspiegel und damit einhergehend eine Wirkminderung für Clopidogrel beschrieben.
Um bei diesen Varianten eine sichere Therapie zu erreichen, kann eine Erhöhung der Clopidogrel-Dosis oder – bei einer absoluten Clopidogrel-Resistenz – ein Wechsel auf alternative plättchenaggregationshemmende Wirkstoffe wie Ticlopidin, Prasugrel oder Ticagrelor vorgenommen werden. /