Mehr Rigorosität und Visionen |
06.02.2012 10:50 Uhr |
Von Oliver Werz, Jena/ Zur (Begleit-)Therapie rheumatischer Erkrankungen inklusive degenerativer Gelenkerkrankungen und milder bis mittelstarker Muskel- und Rückenschmerzen stehen ausgewählte Phytopharmaka zur Verfügung.
Diese sind insbesondere als alternative oder komplementäre Therapie-Optionen zur klassischen medikamentösen Behandlung mit steroidalen und nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) von Bedeutung.
Ob Teufelskralle, Weidenrinde, Brennnessel oder Weihrauch, ob Cannabis, Hagebutte oder Mutterkraut: Nahezu jeder Rheuma-Patient bedient sich pflanzlicher Antiphlogistika, nicht zuletzt, da er die Nebenwirkungen chemisch definierter Arzneimittel und hier insbesondere der Glucocorticoide fürchtet.
Für ihre Effektivität spricht auch und gerade die Tatsache, dass Zubereitungen entzündungshemmender Kräuter seit Jahrtausenden in der Volksmedizin angewandt werden.
Für zahlreiche Pflanzen(-präparationen), die als Interna zur Entzündungs- und auch Schmerzhemmung bei diversen Krankheitsbildern wie Rheumatoide Arthritis oder Osteoarthrose genutzt werden, liegen, wie bei chemisch definierten Arzneistoffen, wissenschaftliche Daten sowie Hinweise auf Wirkmechanismen und Targets in der menschlichen Entzündungspathogenese vor.
Abbildung 1: Zubereitungen aus Wurzeln der Teufelskralle werden seit jeher gegen Fieber, Entzündungen und Schmerzen eingesetzt.
Foto: Superbild
Dennoch wird ihre Effektivität von einigen Fachleuten in Frage gestellt, gilt die klinische Wirksamkeit dieser Phytopharmaka als umstritten. Durch die mangelnde Anerkennung und wenig konsequente Weiterverfolgung der hier bereits vorliegenden Erkenntnisse zu Forschungs- und Therapie-Potenzialen werden große Chancen vertan. Eine kritische Betrachtung.
Teufelskralle, Weidenrinde & Co.
Unter dem Stichwort »Pflanzliche Analgetika/Antirheumatika (Interna)« nennt die Rote Liste 2011 elf Präparate auf der Basis von Teufelskrallenextrakten (TKE) und jeweils vier Präparate auf der Basis von Brennnessel- und Weidenrindenextrakten.
Zudem weist sie als relevantes pflanzliches Antiphlogistikum ein Kombinationspräparat aus Zitterpappel, Esche und Goldrutenkraut auf.
Auf allen Kontinenten der Erde nutzten schon Urvölker die Heilkraft heimischer Kräuter. So werden zum Beispiel Zubereitungen der Teufelskralle in Afrika seit jeher gegen Fieber, Entzündungen und Schmerzen eingesetzt.
Therapeutisch verwendet werden die Wurzeln der Arten Harpagophytum procumbens und Harpagophytum zeyheri, die zu circa drei Prozent Iridoidglykoside und hier insbesondere Harpagosid sowie Flavonoide, Phenolsäuren und Di- und Triterpene enthalten.
Laut Kommission-E-Monographie besteht die Droge (Abbildung 1) aus den getrockneten, sekundären Speicherwurzeln und enthält >1,2 Prozent Harpagosid, das als Leitsubstanz dient.
In der Monographie der European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) werden Teufelskrallenextrakte zur symptomatischen Behandlung schmerzhafter Osteoarthrosen und zur Linderung von Rückenschmerzen empfohlen.
Suppression von Entzündungsmediatoren
Ob Suppression der Prostaglandin (PG)- und Leukotrien (LT)-Synthese durch Hemmung der Cyclooxygenasen (COX)1/2 beziehungsweise 5-Lipoxygenase (LO) oder aber Reduktion der Freisetzung von Stickoxid (NO) und Interleukinen (IL) beziehungsweise des Tumornekrosefaktors (TNF)α (1): Für Teufelskrallenextrakte wurden zahlreiche pharmakologische entzündungshemmende Effekte und Targets (Tabelle) identifiziert.
Diese wurden in vitro zum Beispiel an isolierten entzündungsrelevanten Lymphozyten, Monozyten, Granulozyten oder im Vollblut beziehungsweise in zellulären Testsystemen an Maus- oder Rattenzelllinien nachgewiesen.
Die pharmakologische Relevanz dieser in vitro-Befunde ist fragwürdig. So konnte eine Senkung von PG oder LTB4 im menschlichen Vollblut nach 21-tägiger Einnahme von 4 x 500 mg/d Teufelskrallenextrakt nicht registriert werden (2).
Unklar ist auch die Rolle des Harpagosids (Abbildung 2) als wirksamkeitsbestimmender Inhaltsstoff in vivo, zumal die in vitro registrierte Wirkung oft nur gering ist oder ganz fehlt.
Abbildung 2: Obwohl als wirksamkeitsbestimmender Inhaltsstoff der Teufelskralle definiert, ist die Rolle des Harpagosids in vivo unklar.
Harpagosid ist stark hydrophil. Die Zellpermeation ist fraglich. Es wirkt nicht antioxidativ. Auch Studien, die eine signifikante anti-inflammatorische Wirkung des Harpagosids in vivo belegen, existieren nicht.
Zahlreiche Experimente an gängigen Tiermodellen zeigen zwar entzündungshemmende Effekte von Teufelskrallenextrakten nach intraperitonealer Gabe, jedoch sind im Vergleich zu klassischen NSAR (Indomethacin, 5 mg/kg) sehr hohe Dosen (50-1600 mg/kg) notwendig. Noch geringer oder kaum noch vorhanden ist die Wirkung nach oraler Gabe. Lediglich eine Studie konnte die in vitro gezeigten Mechanismen in vivo reproduzieren und zeigte eine Korrelation der Entzündungshemmung mit reduzierter Lipidperoxidation.
Nichtsdestotrotz belegen zahlreiche doppelblinde, Placebo-kontrollierte Anwendungs-Studien im Vergleich zum Beispiel mit Ibuprofen, Phenylbutazon oder Rofecoxib mobilitätsverbessernde und analgetische Effekte von Teufelskrallenextrakten bei Osteoarthrosen und Rheumatoider Arthritis an Hüfte und Knie (fünf Studien) sowie bei Rücken- und Muskelschmerzen (sechs Studien) mit insgesamt guter Verträglichkeit (1).
Fazit: Die positiven Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen an zellulären Testsystemen beziehungsweise kontrollierte Anwendungs-Studien erbringen Wirksamkeitsnachweise für Teufelskrallenextrakte bei verschiedenen rheumatischen Erkrankungen. Die beim Menschen zugrunde liegenden und in Anlehnung an Ergebnisse pharmakologischer Tiermodell- und in vitro-Untersuchungen diskutierten Wirkmechanismen sind jedoch unklar.
Wirkungen und Nebenwirkungen
Auch aus der Rinde von Weiden insbesondere der Gattungen Salix alba, Salix daphnoides und Salix purpurea werden seit der Antike Präparationen zur Fiebersenkung und Schmerzstillung gewonnen.
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts erkannte die Forschung, dass das in der Rinde enthaltene Salicin im Körper oxidativ zu Salicylsäure als potentielles, COX-hemmendes analgetisches Agens umgewandelt wird. Aufgrund der schleimhautreizenden Wirkung wurde nach verträglicheren Derivaten gesucht.
Charles Gerhard synthetisierte 1853 schließlich Acetylsalicylsäure, die 1898 von Felix Hofmann erneut aufgegriffen und seitdem erfolgreich vermarktet wird.
Da die erzielbaren Salicylsäure-Plasmaspiegel nach oraler Einnahme von Weidenrindenextrakten für pharmakologisch relevante Effekte kaum ausreichen, wird vermutet, dass den klinischen Wirkungen andere Inhaltsstoffe als Salicin zugrunde liegen.
Gemäß des offenbar für viele Phytopharmaka geltenden Multikomponenten/Multi-Target-Prinzips könnten polyphenolische Substanzen wie Flavonoide oder Catechole diverse Transkriptionsfaktoren, proinflammatorische Zytokine, Adhäsionsmoleküle und reaktive Sauerstoffspezies hemmen (Abbildung 4, unten) und somit synergistisch entzündungshemmend wirken (3).
Tatsächlich inhibieren Weidenrindenextrakte, nicht jedoch Salicin, die Expression von TNFα, IL-1β und IL-6 aus Monozyten und wirken antioxidativ (Tabelle unten). In akuten und chronischen Entzündungs-/Schmerzmodellen zeigten hoch dosierte Weidenrindenextrakte schmerzstillende und entzündungshemmende Wirkungen.
Insgesamt sechs Placebo- oder NSAR-kontrollierte klinische Studien mit 26 bis 451 Patienten, in denen die Verum-Gruppe ethanolische Weidenrindenextrakte (entsprechend 240 mg Salicin/Tag) erhielt, belegen die Effektivität bei Rückenschmerzen, weniger jedoch bei Rheumatoider Arthritis und Osteoarthrose.
Die Nebenwirkungen sind, mit Ausnahme der Salicylatüberempfindlichkeit, bei akuter Anwendung in der Regel moderat. Wegen der Gefahr der Entstehung eines Reye-Syndroms ist Weidenrinde bei Kindern kontraindiziert.
Fazit: Obwohl weder die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe noch die zugrunde liegenden Wirkungsmechanismen geklärt sind, implizieren Studien am Menschen die Effektivität von Weidenrindenextrakte zumindest bei Rückenschmerzen.
Gegen Arthritis und Osteoarthrosen
Während Extrakte der Wurzel der Brennnessel zur Begleittherapie der benignen Prostatahypertrophie genutzt werden, finden wässrige oder wässrig-alkoholische Blätter-Extrakte (Urtica diocia, Abbildung 3) Anwendung in der Therapie von Gicht, Rheumatoider Arthritis, allergischer Rhinitis und Ekzemen.
Abbildung 3: Standardisierte Brennnesselblätter-Extrakte konnten in vitro die Reifung dentritischer Zellen sowie die Aktivierung von Makrophagen und T-Zellen verhindern.
Die Effektivität der Brennnesselblätter-Extrakte wird auf reichlich vorkommende Flavonoide und Kaffeesäurederivate zurückgeführt. Standardisierte Brennnesselextrakte konnten in vitro die Reifung dentritischer Zellen sowie die Aktivierung von Makrophagen und T-Zellen verhindern. Wie zahlreiche andere pflanzliche Antiphlogistika hemmen Brennnesselextrakte in hohen Konzentrationen (> 92 µg/ml) die Bildung von Prostaglandinen und Leukotrienen sowie die Freisetzung von TNFα, MMP-1, -3 und -9 beziehungsweise die Aktivierung von NFκB (5). Auch antioxidative Effekte wurden beschrieben.
Einige Entzündungs-, sprich: Gonarthritis- und Schmerzmodelle (Hot-Plate-Test) belegen die Wirkung im Tiermodell. Mehrere offene, nicht kontrollierte Studien am Menschen mit sehr unterschiedlichen Extrakten und kleinen Teilnehmerzahlen lassen eine einheitliche Aussage über die Wirksamkeit bei Rheumatoider Arthritis oder Osteoarthrose jedoch nicht zu (6, 7).
Nach der Einnahme von Brennnesselextrakten wurde über allergische Hautreaktionen und Nebenwirkungen im oberen Gastrointestinaltrakt berichtet.
Fazit: In sehr hoher Dosierung zeigen wässrig oder wässrig-alkoholische Brennnesselblätter-Extrakte in Tiermodellen und in vitro-Testsystemen entzündungshemmende Aktivitäten. Die gegebenen Studien-Qualitäten und -Ergebnisse sind allerdings nicht ausreichend, um eine signifikante Wirksamkeit bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen zu erklären.
Das in der Roten Liste 2011 genannte Kombinationspräparat aus alkoholischen 3:1:1-Extrakten der Zitterpappelrinde (Fraxinus excelsior), der Eschenrinde (Populus tremula) und des Goldrutenkrautes (Solidago virgaurea) wird zur Behandlung akuter rheumatischer Erkrankungen sowie bei Neuralgien und Muskelschmerzen angewandt. Beschrieben wird eine Hemmung der COX-Enzyme und Lipoxygenasen beziehungsweise Schutz vor oxidativem Stress (Abbildung 4).
Abbildung 4: Zelluläre Entzündungspathogenese und Angriffspunkte von Antiphlogistika.
Kürzlich publizierte Re- und Metaanalysen von Patientendaten elf kleinerer, zum Teil Placebo- beziehungsweise Diclofenac- kontrollierter Anwendungs-Studien bei rheumatisch-bedingten Schmerzen zeigen, dass das beschriebene Kombinationspräparat analgetisch effektiver ist als Placebo. Es wurde eine der Effektivität von Diclofenac vergleichbare Wirkung bei Muskelschmerzen, nicht aber bei Osteoarthrose dokumentiert.
Fazit: Die offenbar relativ gute Wirkung des Kombinationspräparates bei rheumatisch-bedingten Schmerzen kann mit den postulierten in vitro-Wirkmechanismen kaum erklärt werden.
Signifikante Effekte
Zubereitungen aus der Rinde der im peruanischen Regenwald beheimateten Katzenkralle (Uncaria tomentosa und Uncaria guianensis) finden in Südamerika volksmedizinische Anwendung zur Linderung von Rheumatoider Arthritis, Lupus erythematosus oder gastrointestinalen Beschwerden. In Europa werden Präparate auf Basis der Katzenkralle selten angewandt.
Die Wirkmechanismen sind noch relativ unklar. Hohe Dosen eines Rindenextraktes (0.5 mg/ml) hemmen in vitro die Aktivierung von NFκB und führen gleichzeitig zur Suppression der TNFα- und iNOS-Expression (8).
Neben einer schwachen COX-1/2 Hemmung wurden auch zytoprotektive und antioxidative Effekte für Katzenkrallenextrakte nachgewiesen. Aktive Inhaltsstoffe sind unter anderem Quinovinsäure-Glykoside, Sterole und Oxindolalkaloide.
Am Carragenin-induzierten Pfötchenödem der Maus zeigten wässrig-alkoholische Katzenkrallenextrakte bei einer Dosis von 50 mg/kg Indometacin-äquivalente (7 mg/kg) Effekte.
Eine Studie an 40 Patienten mit aktiver Rheumatoider Arthritis konnte die signifikante Wirksamkeit eines Katzenkrallenextraktes und hier insbesondere die Senkung der Zahl schmerzhafter Gelenke beziehungsweise der Gelenkschwellungen und des Richie-Indexes im Vergleich zu Placebo demonstrieren (9). Bei 30 Osteoarthrose-Patienten war der Bewegungsschmerz gelindert.
Fazit: Die spärliche Datenlage lässt im Moment noch keine konkrete Aussage über die Wirksamkeit bei rheumatischen Erkrankungen zu.
Zahlreiche Leitsubstanzen definiert
Wilfords Dreiflügelfrucht (Tripterygium wilfordii Hook F, TwHF), auch China-Kraut genannt, wird in der Traditionellen Chinesischen Medizin zur Therapie diverser Autoimmunerkrankungen eingesetzt.
Extrakte der Wurzeln, nicht der Frucht, weisen entzündungshemmende und immunsuppressive Effekte auf. In vitro hemmen TwFH-Extrakte die Freisetzung von TNFα, IL-2, und INFγ. Sie blockieren die PG-Bildung durch Hemmung der COX-2.
Auch suppressive Effekte auf Adhäsionsmoleküle wie E-Selectin und Interzelluläres Adhäsions-Molekül (ICAM) wurden beschrieben. Weit über 100 Inhaltsstoffe wurden bislang isoliert und teilweise charakterisiert.
Für die in vitro demonstrierten Glucocorticoid-ähnlichen Wirkungen werden insbesondere die Diterpenoide Triptolid (Abbildung 5) und Tripdiolid sowie das sehr potente Chinontriterpen Celastrol verantwortlich gemacht.
Abbildung 5: Für die in vitro demonstrierten Glucocorticoid-ähnlichen Wirkungen des Chinakrautes wird unter anderem Triptolid verantwortlich gemacht.
In insgesamt sieben, zum Teil auch Sulfasalazin-kontrollierten Studien mit bis zu 121 RA-Patienten wurde über eine signifikante Verbesserung von Gelenkschwellungen, Schmerz, Morgensteifigkeit und Funktionseinschränkungen insbesondere bei Rheumatoider Arthritis berichtet.
Relativ häufig werden Nebenwirkungen wie Durchfälle, Übelkeit, Dyspepsie und abdominale Schmerzen, Amenorrhoe, Osteoporose und Reizungen der Schleimhäute genannt.
Fazit: Wilfords Dreiflügelfrucht enthält mit Triptolid und Celastrol pharmakologisch hochwirksame Stoffe. Das klinisch wirksame Antiphlogistikum mit Glucocorticoid-ähnlicher immunsuppressiver Wirkung interferiert mit zahlreichen Zytokinen, weist jedoch ein relativ hohes Nebenwirkungspotential auf.
Auch zur Migräne-Therapie
Das Mutterkraut (Tanacetum parthenium) wird seit langem in der Volksmedizin zur Behandlung von Rheumatoider Arthritis, Fieber, Allergien, Psoriasis und vor allem Migräne angewandt. Als bioaktiver Inhaltsstoff wurde das Sesquiterpenlacton Parthenolid nachgewiesen.
Parthenolid (Abbildung 6) ist ein wohlbekannter Hemmstoff der Inhibitor of kappa B (IκB)-Kinase, der die NFκB Aktivierung verhindert und damit die Freisetzung von TNFα, IL-1β und IL-12 beziehungsweise gleichzeitig die iNOS-Expression unterbindet (12).
Abbildung 6: Als Inhalts- und Wirkstoff des Mutterkrautes verhindert Parthenolid unter anderem die NFκB-Aktivierung und damit die Freisetzung von TNFα, IL-1β und IL-12.
Auch Mutterkrautextrakte hemmen die Freisetzung von TNFα, IL-1β und INFγ via Blockade des NFκB. Sie mindern auch die Expression von Adhäsionsmolekülen (ICAM) sowie die Adhäsion von T-Zellen.
Parthenolid ist darüber hinaus ein Phospholipase A2-Inhibitor und hemmt die Bildung von Prostaglandinen. Zudem vermindert Parthenolid die Thrombozytenaggregation und die Ausschüttung beziehungsweise Aktivität von Serotonin.
In einer Dosis von 3 mg/kg mindert Parthenolid die NFκB-Aktivierung, iNOS-Expression und NO-Bildung in der Dura Mater bei Mäusen. Dieser Effekt unterstreicht unter anderem die Eignung zur Migränetherapie.
Allerdings sind klinische Daten zur Migräne-Therapie uneinheitlich (13). Eine Anwendungs-Studie zur Rheumatoiden Arthritis-Therapie zeigte keine Effekte.
Mutterkrautextrakte können nicht nur zu Schleimhautulzerationen führen. Sie können insbesondere die Blutungszeit verlängern und dürfen somit nicht zusammen mit Antikoagulanzien eingenommen werden.
Fazit: Sowohl Mutterkrautextrakte als auch das bioaktive Parthenolid hemmen in vitro die Bildung wichtiger entzündungsfördernder Mediatoren, Zytokine und Adhäsionsmoleküle und zeigen anti-inflammatorische Wirkung am Tier. Die klinische Wirksamkeit von Mutterkrautextrakten bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis konnte jedoch noch nicht belegt werden.
Weihrauch und Boswelliasäure
Alkoholische Extrakte aus dem Harz ostafrikanischer oder indischer Weihrauchbäume der Gattungen Boswellia serrata, Boswellia papyrifera, Boswellia carterii et cetera enthalten hohe Mengen, sprich: bis zu 25 Prozent Boswelliasäuren, also pentazyklische Triterpensäuren, die bislang nur in Weihrauch gefunden wurden und zahlreiche anti-inflammatorische Aktivitäten aufweisen.
In vitro inhibieren (ß-)Boswelliasäure(n) (Abbildung 7) COX-1, 5- und 12-Lipoxygenase, CYP450-Enyzme, Elastase und ebenfalls die Aktivierung von NFκB und damit die Bildung von TNFα und anderen Zytokinen (Tabelle, unten).
Abbildung 7: β-Boswelliasäure(n) hemmen die mikrosomale Prostaglandin E2 Synthase-1 und Cathepsin G in vitro und in vivo
Interessant ist vor allem die Suppression der mikrosomalen Prostaglandin E2 Synthase-1 (mPGES-1) und des Cathepsin G als pharmakologisch relevante Targets, die auch in vivo gehemmt werden (14).
Umfassende Tierexperimente belegen die entzündungshemmende Wirkung von Weihrauchharzextrakten und spezifischen Boswelliasäuren auch bei niedriger, oraler Dosierung (1 mg/kg). Sie bestätigen konkrete Wirkmechanismen wie Hemmung der PGE2-Bildung. Nach oraler Einnahme von Weihrauchextrakten (3 x 800 mg/Tag) waren mikromolare Boswelliasäure-Plasmaspiegel und eine reduzierte Aktivität des Cathepsin G bei Patienten nachweisbar.
Weihrauchextrakte oder angereicherte Boswelliasäurengemische zeigten in sechs klinischen Studien, insbesondere bei Osteoarthrosen des Knies, teils auch bei Rheumatoider Arthritis signifikante schmerz-lindernde und bewegungsfördernde Effekte (14).
Fazit: Weihrauchextrakte enthalten Boswelliasäuren, die beim Menschen nach oraler Gabe hohe Plasmaspiegel erzielen und Effekte an klar definierten, pharmakologisch relevanten Targets zeigen.
Zwar sind Weihrauchpräparate in Deutschland nicht zugelassen. Doch weisen solide klinische Studien deutlich auf das Potential von Weihrauch als Antiphlogistikum hin.
Cannabis bei Multipler Sklerose
Der Kulturhanf Cannabis sativa, eine seit Jahrtausenden genutzte Arznei-, Nutz-, und Rauschpflanze, enthält Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), das sowohl die psychischen als auch die schmerzstillenden Effekte des Cannabis vermittelt.
THC und verwandte Cannabinoide binden an Cannabinoid (CB)1- und CB2-Rezeptoren, die als G-Protein gekoppelte Rezeptoren die Effekte körpereigener Endocannabinoide vermitteln.
Seit Juli 2011 steht Patienten mit Multiple Sklerose-bedingten Spastiken auch in Deutschland ein Oromukosalspray auf Cannabis-Basis mit THC (27 mg/ml) und Cannabidiol (25 mg/ml) zur Verfügung.
Abbildung 8: Mit THC besitzt Cannabis eine bislang einmalig identifizierte bioaktive Substanz, die über einen klar definierten Wirkungsmechanismus Schmerzen lindert.
Das BTM konnte in klinischen Studien mit 58 RA-Probanden eine signifikante Verbesserung des Schmerzes in Ruhe und in Bewegung sowie eine Steigerung der Schlafqualität im Vergleich mit Placebo herbeiführen. Als Nebenwirkungen wurden Schwindel, Übelkeit und Mundtrockenheit genannt.
Fazit: Mit THC (Abbildung 8) besitzt Cannabis eine bislang einmalig identifizierte bioaktive Substanz, die über einen klar definierten Wirkungsmechanismus Schmerzen lindert. Ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis die Therapie rheumatischer Erkrankungen rechtfertigt, müssen weitere Studien zeigen.
Bemerkenswert antioxidativ
Das Pulver der getrockneten Früchte der Hagebutte (Rosa canina) enthält neben hohen Konzentrationen Ascorbinsäure pharmakologisch aktive Galaktolipide und hier insbesondere das 1,2-Di-O-α-linolenoyl-3-O-β-D-galactopyranosyl-sn-glycerol, das in vitro anti-inflammatorisch und anti-tumoral wirkt.
Darüber hinaus enthält der pulvrige Extrakt reichlich Triterpensäuren, die die Produktion von IL-2, -6 und -12 sowie von INFγ in Lymphozyten hemmen. Lipophile Extrakte aus Hagebuttenfrüchten besitzen ausgeprägte antioxidative Effekte und inhibieren COX-1/2 und 5-LO sowie die Chemotaxis von Neutrophilen (Tabelle; 15).
Pflanze/Produkt | Gattungsnamen | Pflanzenteil | Postulierte Hemmung von Targets/Funktionen | Klinische Studien (Zahl) | Wirksamkeit |
---|---|---|---|---|---|
Teufelskralle | Harpagophytum procumbens, Harpagophytum zeyheri | Wurzel | COX-1/2, 5-LO, ROS, NFκB, TNFα, IL-1β, IL-6, iNOS, MMPs | OA und RA (Hüfte, Knie; 5) Rückenschmerzen (6) Muskelschmerzen (6) | (+) (+) , (-) (+) |
Weidenrinde | Salix alba, Salix fragilis, Salix pupurea, Salix daphnoides | Rinde | COX-1/2, ROS, TNFα, IL-1β, IL-6, ICAM, Hyaluronidase | OA und RA (Hüfte, Knie; 3) Rückenschmerzen (3) | unklar (+/-) (+) |
Brennnessel | Urtica dioica | Kraut | COX-1/2, 5-LO, ROS, TNFα, IL-1β, IL-2, IL-10, MMPs, Elastase | OA (Knie; 1) Gelenkschmerz (1) Allergische Rhinitis (1) | unklar (-) (+) (+) |
Eschenrinde, Pappelrinde, Goldrutenkraut | Fraxinus excelsior / Populus tremula / Solidago virgaurea | Rinde, Kraut | COX-1/2, 5-LO, ROS, Elastase, Hyaluronidase | OA (Knie; 4) Muskelschmerzen (6) RA (2) | unklar (-) (+) unklar (+/-) |
Katzenkralle | Uncaria tomentosa, Uncaria guianensis | Wurzel, Stamm | COX-1/2, ROS, NFκB, TNFα, iNOS | RA-bedingter Schmerz (1) OA (Hüfte, Knie;1) | (+) unklar |
Wilfords Drei- flügelfrucht | Tripterygium wilfordii | Wurzel | COX-1/2, NFκB, TNFα, IL-2, INFγ, ICAM, E-Selektin | RA (7) | meist (+) |
Mutterkraut | Tanacetum parthenium | Blätter | COX-1/2, 5-LO, NFκB, TNFα, IL-1β, IL-12, iNOS, ICAM | RA (1) | (-) |
Weihrauch | Boswellia serrata, Boswellia papyrifera, Boswellia carterii | Harz | COX-1/2, 5-LO, mPGES-1, NFκB, TNFα, iNOS, MMPs, Elastase, Cathepsin G | RA (2) OA (Knie, Hüfte; 4) | unklar (+/-) (+) |
Cannabis | Cannabis sativa | Ganze Pflanze | COX-1/2, ROS, TNFα, IL-2 | RA (1) | (+) |
Hagebutte | Rosa canina | Früchte | COX-1/2, 5-LO, ROS, TNFα, IL-2, IL-6, IL-12, INFγ | RA-bedingter Schmerz (1) OA (Hüfte, Knie; 3) Rückenschmerzen (1) | (+) (+) (+) |
Ingwer | Zingiber officinale | Wurzel, Rhizom | COX-1/2, 5-LO, ROS, NFκB, TNFα | OA (Knie; 2) Muskelschmerzen (3) | unklar (+/-) unklar (-) |
Nachtkerzenöl | Oenothera biennis | Samen, Öl | COX-1/2, 5-LO, ROS, NFκB, IL-1β,iNOS MMPs, Elastase | RA (2) | (+) |
Borretsch- samenöl | Boragio officinalis | dito | dito | RA (2) | (+) |
Schwarzes Johannisbeeröl | Ribes nigrum | dito | dito | RA (2) | (+) |
Abkürzungen: COX, Cyclooxygenase; 5-LO, 5-Lipoxygenase; ROS, Reaktive Sauerstoffspezies; mPGES-1, mikrosomale Prostaglandin E2 Synthase-1; NFκB, nukleärer Faktor κB; IL, Interleukin; INFγ, Interferon; ICAM, Interzelluläres Adäsionsmolekül; iNOS, induzierbare Stickstoffmonoxid-Synthase; TNF, Tumornekrosisfaktor; MMP, Matrix-Metalloproteinase; RA, Rheumatoide Arthritis; OA, Osteoarthrose
Im Tiermodell hemmten 100 mg/kg alkoholischer Hagebuttenextrakt das Carragenin-induzierte Rattenpfotenödem ähnlich wie die Applikation von 10 mg/kg Indomethacin.
Eine sechsmonatige Anwendungs-Studie an 89 Patienten mit stabiler Rheumatoider Arthritis zeigte nach der Gabe von fünf Gramm Hagebuttenpulver/Tag eine reduzierte RA-Aktivität sowie eine Stärkung körperlicher Funktionen im Vergleich zu Placebo (15).
Auch bei 287 Osteoarthrose-Patienten ergab eine Metaanalyse von drei Studien eine signifikante Reduktion der Schmerzen in der Verumgruppe (145 Patienten) im Vergleich zur Placebo-Gruppe (142 Patienten; 16).
In einer aktuellen Studie wurde jedoch bei 30 Frauen nach 28-tägiger Behandlung mit 10,5 g/Tag Hagebuttenextrakt keine signifikante Biomarker-Änderung beobachtet. Als Nebenwirkungen werden generalisierte Exantheme und gastrointestinale Beschwerden genannt.
Fazit: Hagebuttenextrakte zeichnen sich vor allem durch bemerkenswerte antioxidative Eigenschaften in vitro und in vivo aus und zeigen in Tiermodellen signifikante entzündungshemmende Wirkungen.
Den relativ umfangreichen, ermutigenden klinischen Studien mit positivem Wirkungsnachweis steht die Negativ-Beurteilung der Kommission E gegenüber.
γ-Linolensäure-reiche Öle
Die dreifach ungesättigte γ-Linolensäure (all-cis-6,9,12-Octadecatriensäure; Abbildung 9) wird im Körper aus Linolsäure (all-cis-6,9-Octadecadiensäure) synthetisiert. Besonders reich an γ-Linolensäure sind Borretschsamenöl (21 Prozent), schwarzes Johannisbeerenöl (14 bis 19 Prozent) und Nachtkerzenöl (9 Prozent).
Abbildung 9: Besonders reich an γ-Linolensäure sind Borretschsamenöl, schwarzes Johannisbeerenöl und Nachtkerzenöl.
Bislang werden Nachtkerzenöl und Borretschsamenöl vor allem zur peroralen Therapie der Neurodermitis angewandt. γ-Linolensäure wirkt antioxidativ, hemmt NFκB, agiert kompetitiv zu proinflammatorischen Eicosanoiden und wirkt der Autoaktivierung von IL-1β entgegen (17).
Sieben relativ heterogene klinische Studien mit insgesamt 286 Probanden belegen die moderate Wirksamkeit von Nachtkerzenöl, Borretschsamenöl und Schwarzem Johannisbeerenöl bei Schmerzen und körperlicher Behinderung durch Rheumatoide Arthritis im Vergleich zu Olivenöl, Sonnenblumenöl, Paraffin oder Sojabohnenöl.
Brach liegendes Forschungspotenzial
Ob COX-1/2, 5-LO oder TNFα, IL-1β und NFκB (Graphik): Bei der Erkundung der Wirkmechanismen pflanzlicher Antiphlogiostika stehen dieselben Targets/Mechanismen im Fokus der Forschung, die im Übrigen auch Zielstrukturen chemisch definierter Wirkstoffe sind.
Die bislang durchgeführten Anwendungs-Untersuchungen lassen therapeutisches Potential erkennen, das es näher zu verifizieren gilt. Aus welchen Gründen auch immer ist hier jedoch eine Forschungsblockade zu verzeichnen.
Obwohl es nunmehr darum gehen muss, tiefer gehende und weiter führende Erkenntnisse zu erlangen, werden nach wie vor lediglich schlichte Testsysteme zur Identifikation biologischer Effekte herangezogen.
Darauf basierend werden nur zu oft, ohne weitere Nach- und Ausschlussprüfung, vorschnell pharmakologische Prinzipien postuliert und als alleingültig beschrieben. Ebenso werden zudem allzu voreilig »Leitsubstanzen« benannt, die die weitere Suche nach anderen, möglicherweise zwar in geringeren Mengen vorliegenden, aber doch (mit)bestimmenden Wirkstoffen be- und verhindern. Die Erforschung der Wirkmechanismen muss mehr ins Detail, mehr in die Tiefe gehen. Wirkliche, also »echte« Targets« müssen identifiziert, ihre pharmakologische Relevanz mit geeigneten in vivo-Experimenten bestätigt werden.
Geklärt werden muss, warum bei der Gabe antiphlogistischer Phytopharmaka in einigen Fällen die gewünschten Wirkungen, aber keine Nebenwirkungen, in anderen Fällen vorrangig unerwünschte Effekte, aber kaum entzündungshemmende Wirkungen auftreten.
In vitro-Effekte zum Beispiel in zelluären Testsystemen treten unmittelbar in Erscheinung. Es kann nicht sein, dass diese, zur Identifizierung »sofortiger« Wirkungen gedachten Untersuchungsmethoden zur Klärung der bei Gabe von Pflanzenextrakten erst nach Wochen einsetzenden Effekte genutzt werden. Ein immenses Forschungspotential liegt also brach.
Der derzeitige Stand der modernen Wissenschaft und Technik erlaubt die sehr viel exaktere Aufklärung der bei Phytopharmaka offenbar vorherrschenden Multikomponenten/Multi-Targets-Prinzipien sowie die Bestimmung ihrer Bioverfügbarkeit und Pharmakokinetik im menschlichen Organismus.
Um die Möglichkeiten und den Stellenwert pflanzlicher Antiphlogistika klar beurteilen zu können ist mehr Rigorosität und Visionskraft erforderlich, muss die Forschung vehement vorangetrieben werden. Nur so ist auch dem Wohl des Patienten gedient. /
Literatur
... beim Verfasser
Oliver Werz studierte Pharmazie an der Universität Tübingen. Nach seiner Approbation als Apotheker 1993 war er bis 1995 als wissenschaftlicher Assistent ebenfalls zunächst in Tübingen, sodann von 1995 bis 1998 am Institut für Pharmazeutische Chemie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt am Main, tätig. Werz wurde 1996 promoviert. Von 1998 bis 2000 ging er als Postdoktorand an das Karolinska-Institut, Stockholm. Es folgten weitere Jahre als wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Pharmazeutische Chemie in Frankfurt, bevor Werz sich 2002 habilitierte und 2002 zum Privatdozenten sowie 2003 zum Akademischen Rat ernannt wurde. 2005 folgte Werz dem Ruf auf eine W3-Professur für Pharmazeutische Analytik an der Universität Tübingen, 2010 schließlich dem Ruf auf eine W3-Professur für Pharmazeutische/Medizinische Chemie an der Universität Jena. Weitere Rufe auf W3-Professuren an den Universitäten Münster und Wien hat er abgelehnt. Für seine Forschungsarbeiten erhielt Werz zahlreiche Preise, so unter anderem zweimal den Phoenix Pharmazie-Wissenschaftspreis (1999 und 2009) und den Dr.-Wilmar-Schwabe-Award 2008 der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung. Die Aufklärung der molekularen und zellulären Funktionsweisen von Naturstoffen sowie die darauf basierende Targetidentifizierung und Entwicklung anti-inflammatorischer und anti-tumoraler Arzneistoffe zählt zu seinen Forschungsschwerpunkten.
Professor Dr. Oliver Werz, Friedrich-Schiller-Universität, Chair of Pharmaceutical Medicinal Chemistry, Philosophenweg 14, 07743 Jena, E-Mail: oliver.werz(at)uni-jena.de