Pharmazeutische Zeitung online
Rabattverträge

Die Industrie zeigt sich reserviert

05.02.2007  13:24 Uhr

Rabattverträge

<typohead type="3">Die Industrie zeigt sich reserviert

Von Daniel Rücker, Frankfurt am Main

 

Nach dem Willen der Politik sollen Krankenkassen und Pharmaindustrie in Zukunft mehr Rabattverträge abschließen. Die Freude der Hersteller darüber hält sich in engen Grenzen.

 

Das SGB V bietet Krankenkassen und Herstellern vor allem zwei Wege, Preisnachlässe für Arzneimittel zu vereinbaren. Nach § 130a Absatz 8 können die beiden Marktpartner zusätzlich zu den gesetzlich verankerten Herstellerrabatten weitere Sonderkonditionen vereinbaren. An dem Vertrag können auch Dritte, etwa Apotheker, beteiligt werden. Darüber hinaus bietet § 31 Absatz 2 die Möglichkeit, Abschläge für Arzneimittel zu vereinbaren, deren eigentlicher Preis oberhalb der Erstattungsgrenze liegt. Auf diese Weise kann Patienten die Zuzahlung erspart werden und dem betroffenen Präparat der Weg in die Bedeutungslosigkeit. Diese Form des Rabattvertrags ist in den vergangenen Monaten durch die Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Pharmaherstellern zu Insulinanaloga populär geworden.

 

Keine Gegenleistungen

 

Dieser besondere Fall darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Pharmafirmen wegen fehlender Gegenleistungen zumeist nur wenig Interesse haben, einzelnen Krankenkassen oder gar Kassenverbänden Preisnachlässe einzuräumen. Im Gegensatz zu anderen Märkten garantiert ein Rabatt dem Hersteller keinen Mehrumsatz. Wenn es für Ärzte keine Motivation gibt, den Versicherten für sie rabattierte Produkte zu verordnen, dann muss ein Pharmaunternehmen fürchten, dass der Rabatt zwar die Marge kaputt macht, aber keinen zusätzlichen Umsatz beschert.

 

Erich Dambacher von Sanofi-Aventis sieht solche Verträge deshalb mit einiger Skepsis. Schon ein Preisnachlass von 10 Prozent lasse sich nur mit einer massiven Umsatzausweitung kompensieren, sagte er auf einer Veranstaltung von Colloquium Pharmaceuticum in Frankfurt. Wo diese Mengensteigerung herkommen soll, ist Dambacher unklar. Bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln ist eine preisgesteuerte Bevorratung die Ausnahme.

 

Aus Sicht der Industrie gebe es nur wenige Argumente dafür, Rabattverträge abzuschließen. Sinnvoll sei dies für Präparate, die keinen oder nur sehr wenig Umsatz machen, zum Bespiel beim Markteintritt eines neuen oder eines ausländischen Anbieters. Dementsprechend unsinnig sind aus Herstellersicht Rabattverträge für Präparate mit hohem Umsatz. Dambacher: »Wer jetzt schon viel verkauft, der kann nur verlieren.«

 

Gewinnen können Unternehmen, wenn sie über einen Rabattvertrag verhindern, dass die Patienten für die Medikamente aufzahlen müssen, weil ein Medikamentenpreis über dem Festbetrag liegt. Dasselbe gilt für preisbezogene Verordnungsausschlüsse wie bei den Insulinanaloga. In den meisten anderen Fällen kann Dambacher keinen Vorteil für den Hersteller erkennen. Das gilt zumindest für schlichte Verträge, in denen pauschal ein Preisnachlass vereinbart wird.

 

Für intelligenter hält Dambacher Vereinbarungen zwischen Industrie und Krankenkassen über nach Umsatz gestaffelte Preisnachlässe oder die ausschließliche Rabattierung des Mehrumsatzes. In diesen Fällen hätten beide Seiten einen Profit in der Umsatzausweitung. Wahrscheinlich funktioniere dies jedoch nur, wenn die Ärzte von der Verordnung rabattierter Medikamente ebenfalls einen Vorteil hätten, etwa wenn diese Medikamente grundsätzlich nicht in Wirtschaftlichkeitsprüfungen eingeschlossen würden.

 

Gerade bei den vergleichsweise teuren innovativen Medikamenten verlieren die Krankenkassen jedoch schnell die Lust am Rabattvertrag. Zumindest wenn es für einen Teil der Patienten preisgünstigere therapeutische Alternativen gibt, werden die Kassen nicht auf die Möglichkeit von Wirtschaftlichkeitsprüfungen verzichten.

 

Bei der Bewertung von Rabattverträgen befinden sich anscheinend die forschenden Hersteller in seltener Einigkeit mit den Generikafirmen. Von einer pauschalen Rabattierung hält auch Jens-Peter Schütz von TAD wenig. Neben den Preisen, so seine Überzeugung, müssten auch Mengen und Zeiträume vereinbart werden. Nach den erheblichen Preissenkungen der vergangenen Monate sei die Luft für die Generikahersteller dünn geworden. Ohne Gegenleistungen der Krankenkassen sei ein Rabattvertrag unwirtschaftlich. Wie Dambacher favorisiert Schütz eine Rabattierung des Mehrumsatzes.

 

Wenig Sympathie haben Dambacher und Schütz für Aktionen wie die AOK-Ausschreibung über 89 Wirkstoffe mit einem Marktvolumen von rund 3 Milliarden Euro im Herbst 2006. Gemeinsam hatten alle Landesverbände der Ortskrankenkassen die Hersteller aufgefordert, Angebote für ihre Präparate abzugeben. Hier habe eine große Kasse versucht, mit der Bündelung ihrer Nachfragemacht die Hersteller zu erpressen, so Schütz. Alle Vorteile des Vertrages lägen allein auf der Seite der AOK.

 

Wenige Tage später hatte die geballte Marktmacht der AOK-Landesverbände den Widerstand der Industrie jedoch weitgehend gebrochen. Wie die federführende AOK Baden-Württemberg am Dienstag in Stuttgart mitteilte, wurden mit elf Herstellern für insgesamt 43 Wirkstoffe und Kombinationen Konditionen für Preisermäßigungen vereinbart. Die Rabatte betragen bis zu 37 Prozent des derzeitigen Apothekenverkaufspreises.

 

Die Ausschreibung macht auch ein grundsätzliches Problem von Rabattverträgen zwischen Krankenkassen und Pharmaindustrie deutlich. Die Kassen agieren hier wie Wirtschaftsunternehmen, nach § 69 SGB V gelten sie aber nicht als solche und unterliegen damit auch nicht dem Wettbewerbs- und Kartellrecht. Aus Sicht der Industrie ist das nicht mehr haltbar.

 

Einen ersten Schritt hat die Bundesregierung im Wettbewerbsstärkungsgesetz auch unternommen. In den umstrittenen § 69 SGB V wurde eingefügt, dass die §§ 19 bis 21 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nun auch für Krankenkassen gelten. In den Paragraphen wird Unternehmen (und jetzt auch Krankenkassen) untersagt, eine marktbeherrschende Stellung auszunutzen. Allerdings bleibt es dabei, dass Rechtsstreite mit Krankenkassen grundsätzlich vor Sozialgerichten verhandelt werden, denen die Industrie verdächtigt, nicht immer ausgewogen zu urteilen.

 

Juristen teilen diese Bedenken. So ist auch Rechtsanwalt Dr. Alexander Natz im Zweifel, ob hier die Landesverbände der Ortskrankenkassen nicht ihre Marktmacht von rund 40 Prozent des gesamten GKV-Arzneimittelumsatzes missbrauchen. Natz: »Der Nachfragemacht der Kassen steht keine ebenbürtige Angebotsmacht der Hersteller gegenüber.« Das gelte besonders für den Generikamarkt mit weitgehend identischen Produkten. Anbieter, die nicht berücksichtigt werden, seien vom Markt faktisch ausgeschlossen. Natz kann sich mit seiner Bewertung auf die Meinung des Bundeskartellamtes stützen, das ebenfalls daran zweifelt, dass die AOK-Ausschreibung rechtlich in Ordnung ist. Dabei bezieht sich das Amt nicht auf deutsches, sondern auf EG-Kartellrecht.

 

Gleiches Kartellrecht für alle?

 

Für die EU hängt der Unternehmensbegriff an der ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit. Diese lässt sich für Krankenkassen nach dem AVWG kaum noch bestreiten. Anhand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) lässt sich allerdings nicht eindeutig prognostizieren, wie die Krankenkassen in Luxemburg eingeordnet würden. In den vergangenen Jahren hat der EuGH die Bundesanstalt für Arbeit, nationale Fußballverbände oder freiwillige Krankenversicherungen als Unternehmen eingeordnet. Das spanische Gesundheitssystem und die deutsche Gesetzliche Krankenversicherung bei der Festsetzung von Festbeträgen dagegen nicht.

 

Auch in der deutschen Politik ist man sich nicht mehr so sicher, ob gerade die Hauptakteure in einem bewusst wettbewerblich orientierten Gesundheitswesen vom Wettbewerbs- und Kartellrecht ausgeschlossen werden sollten. Nach einem Bericht der »Frankfurter Allgemeine« vom vergangenen Mittwoch (31. Januar) fordert nun der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums eine Änderung, die von Wirtschaftsminister Michael Glos mitgetragen werden soll. Danach sollen Kartellregeln auch für die gesetzliche Krankenversicherung gelten. So will man die weitgehend mittelständisch organisierte Seite der Leistungsanbieter vor einem allzu ungleichen Kampf schützen.

 

Ob die Krankenkassen in absehbarer Zeit auch rechtlich vollständig zu Unternehmen mutieren werden, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Der wissenschaftliche Beirat fordet dies. Die Bundesregierung inklusive Wirtschaftsminister Glos favorisieren dagegen eher einen Sonderweg für die Krankenkassen.

Mehr von Avoxa