Wer soll die Kassen kontrollieren? |
03.08.2010 17:36 Uhr |
Von Daniel Rücker und Stephanie Schersch / Bislang galt das Kartellrecht nicht für Krankenkassen. Die Bundesregierung will dies ändern und handelt sich damit Kritik ein – auch aus den eigenen Reihen.
Spätestens seit den Prozessen um die Rabattverträge war klar, dass die bisherige Freistellung der Gesetzlichen Krankenversicherung vom Wettbewerbs- und Kartellrecht in einem immer wettbewerblicheren Gesundheitsmarkt Probleme bereitet. Die Kassen agierten – politisch gewollt – immer mehr als Unternehmen. Juristisch blieben sie Körperschaften des öffentlichen Rechts. Für sie gilt das europäische Vergaberecht für öffentliche Auftraggeber.
Johannes Singhammer: Wettbewerbsrecht als Einfallstor für die EU-Kommission
Foto: CSU
Als größte Leidtragende dieser Konstruktion sieht sich vor allem die pharmazeutische Industrie. Vor allem bei den Rabattverträgen scheiterte sie ein ums andere Mal. Die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), die Krankenkassen dem Kartellrecht zu unterstellen und Rabattverträge demnächst dem Wettbewerbsrecht zu unterstellen, kommt bei den Arzneimittelherstellern gut an. Auch das Bundeskartellamt befürwortet das Vorhaben der Koalition, Krankenkassen künftig wie Privatunternehmen zu behandeln. »Es ist wichtig, den Gesundheitsmarkt stärker für den Wettbewerb zu öffnen«, sagte Kartellamts-Präsident Andreas Mundt im »Handelsblatt«. »Davon würden die gesetzlichen Kassen und die Versicherten profitieren.«
Eine verbesserte Anwendung des Wettbebwerbsrechts bedeute nicht, wie von den Kassen behauptet, dass ihr sozialstaatlicher Versorgungsauftrag preisgegeben werde, so Mundt. Würden die Regierungspläne nicht verwirklicht, bestehe aber die Gefahr, dass die Nachfragemacht der Kassen unkontrolliert ausufere. Auch Mundt sieht vor allem bei den Arzneimittel-Rabattverträgen erhebliche Probleme. Die Anwendung des Kartellrechtes auf Krankenkassen ist im Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) vorgesehen, über das zurzeit die Ausschüsse im Bundestag beraten. Für Klagen gegen Verstöße der Kassen wären dann statt der Sozialgerichte die Kartellsenate zuständig.
Das Bundeskartellamt würde gern die Aufsicht der Krankenkassen übernehmen. Nicht nur das Bundesversicherungsamt hat dagegen starke Vorbehalte.
Foto: Kartellamt
Zersplitterung des Sozialrechts
Sozialrichter halten dagegen wenig davon, Kassen dem Kartellrecht zu unterstellen. Ebenfalls im Handelsblatt warnte Ernst Hauck, Richter am Bundessozialgericht, die Pläne der Bundesregierung würden zu einer »Zersplitterung des Sozialrechts« führen. Hauck hält es für falsch, die Kassen der Aufsicht des Kartellamtes zu unterstellen. Das stimmige Krankenkassenrecht würde dann von den »Normen des Wettbewerbs« überlagert. Die Folge wäre steigende Rechtsunsicherheit.
Auch der Präsident des Bundesversicherungsamtes, Maximilian Gaßner, hält von Mundts Angebot wenig. Er warnt vor einem Zuwachs der Bürokratie, wenn die Kassenaufsicht von seiner Behörde zum Kartellamt wechseln würde. Aus seiner Sicht ist es ausreichend, wenn das Bundesversicherungsamt und die Aufsichtsbehörden der Länder darauf achten, dass die Kassen die Bestimmungen zum Vergaberecht einhalten. Im Gegensatz zu Mundt glaubt Gaßner auch nicht, dass die Nachfragemacht der Kassen ausufern könnte.
Die Bundesregierung bliebe sich nicht treu, wenn es nicht auch aus den eigenen Reihen Kritik an Rösler gäbe. »Wir müssen aufpassen, dass die Erstreckung des europäischen Wettbewerbsrechts auf die Krankenkassen nicht zum Einfallstor für einen direkten Zugriff der EU-Kommission auf das deutsche Gesundheitswesen wird«, sagte Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer. Schon heute nutze die Kommission ihre Zuständigkeit für Wettbewerbsfragen immer wieder, um in das nationale Recht der Mitgliedstaaten einzugreifen. »Ich halte es daher für nötig, diesen Teil der Arzneimittelreform im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal daraufhin zu prüfen«, forderte Singhammer. Außerdem müsse die Regierung darauf achten, »dass es nicht zu einer Konkurrenz zwischen Sozial- und Kartellgerichten mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Kassen kommt«, sagte Singhammer. Dies müsse unbedingt vermieden werden.
Und natürlich gibt es auch schon ein Gutachten, dass die Reform aufs Korn nimmt. Die AOK hat dieses in Auftrag gegeben. Der Kartellrechtsexperte Professor Dr. Rainer Bechtold kommt darin zu dem Ergebnis, dass die geplante Reform gegen EU-Recht verstößt. Der deutsche Gesetzgeber sei nicht befugt, das Kartellrecht auf die Kassen anzuwenden, nachdem der Europäische Gerichtshof ausdrücklich festgestellt habe, dass die Kassen gerade keine Unternehmen seien und daher das Wettbewerbsrecht für sie nicht gelte. Die Bundesregierung sei sich nicht über die tatsächlichen Auswirkungen ihres Gesetzes im Klaren, vermutet Bechtold. /