Wachstumssignale aus der Schaltstelle |
31.01.2011 15:48 Uhr |
Kleinwuchs und Riesenwuchs: Bei Entstehung und Behandlung dieser Erkrankungen sind Hormone des Hypothalamus und der Hypophyse beteiligt. Sie haben jedoch nicht nur an dieser Stelle ihre Finger im Spiel.
Auf die kleinen Dinge im Leben kommt es an. Ein gutes Beispiel dafür liefert der nur 15 g schwere Hypothalamus. Seine Hormone fungieren als Gaspedal oder als Bremse für die Aktivität der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) und steuern damit lebensnotwendige Körperfunktionen (Tabelle 1). Therapeutisch spielen nicht alle Hypothalamushormone eine Rolle. Eine wichtige Ausnahme ist das Release-Inhibiting-Hormon Somatostatin und seine Analoga Octreotid und Lanreotid. Sie stellen bei einigen völlig unterschiedlichen Erkrankungen eine wichtige Therapieoption dar.
Was tun bei Riesenwuchs?
Aufgrund der hemmenden Wirkung von Somatostatin auf die Freisetzung von Somatotropin (Wachstumshormon, Human Growth Hormone) ist der Einsatz bei Akromegalie am naheliegendsten. Bei dieser Erkrankung bewirkt ein Tumor an der Hirnanhangsdrüse die ungehemmte Freisetzung des Wachstumshormons. Dies führt dazu, dass zum Beispiel Nase, Ohren oder andere Gliedmaßen scheinbar unaufhaltsam wachsen. Oft können Ärzte den Tumor operativ entfernen. Ist dies nicht möglich, kommen meist Medikamente zum Einsatz. Somatostatin und seine Analoga blockieren die Sezernierung des Wachstumshormons. Da die Halbwertszeit des Peptidhormons nur wenige Minuten beträgt, erhalten Patienten Somatostatin als Dauertropfinfusion.
»Richtig groß werden« – das wollen alle Kinder. Ein exaktes Maß an Somatotropin ist dafür unerlässlich.
Foto: Gina Sanders/Fotolia
Durch den Austausch von Aminosäuren beziehungsweise die Einführung eines zusätzlichen Aminoalkohols haben die Analoga Lanreotid und Octreotid eine deutlich längere Halbwertszeit. Zudem gibt es diese Wirkstoffe als Depotpräparate, die nur einmal monatlich subkutan beziehungsweise intramuskulär gespritzt werden.
Eine weitere Option bei Akromegalie ist der Somatotropin-Rezeptorantagonist Pegvisomant. Das pegylierte Analogon von Somatotropin wirkt antagonistisch am Rezeptor und verhindert die Signalweiterleitung für den Wachstumsstimulus in die Zelle.
Somatostatin bremst nicht nur das Wachstumshormon aus. Es hemmt auch die Sekretion von Pankreasenzymen, Gastrin und Pepsin. So erklärt sich sein Einsatz bei schweren, akuten, gastroduodenalen Ulkusblutungen und bei Blutungen infolge erosiver oder hämorrhagischer Gastritis. Zudem ist das Hormon zugelassen zur adjuvanten Therapie bei stark sezernierenden postoperativen Fisteln der Bauchspeicheldrüse und des oberen Dünndarms sowie zur Prophylaxe von postoperativen Komplikationen nach Pankreaschirurgie. Ferner vermindert es die Durchblutung im sogenannten Splanchnicus-Bereich, was den Einsatz bei Ösophagusvarizen erklärt.
Das Octapeptid Octreotid ist auch zur Behandlung bestimmter Magen-Darm-Tumoren zugelassen (Karzinoide, VIPome, Glucagonome). Ein Einfluss auf das Tumor- und Metastasenwachstum ist laut Fachinformation jedoch nicht nachgewiesen. Die European Federation of Neurological Societies nennt Octreotid zudem als Therapiemöglichkeit bei Cluster-Kopfschmerzattacken, wenn andere Arzneistoffe ineffektiv oder kontraindiziert sind. In der Leitlinie »Clusterkopfschmerz und trigeminoautonome Kopfschmerzen« der Deutschen Gesellschaft für Neurologie taucht das Somatostatin-Analogon jedoch nicht auf.
Lanreotid ist wie Octreotid ein Octapeptid-Analogon von Somatostatin und bei Akromegalie sowie zur Therapie klinischer Symptome bei karzinoiden Tumoren zugelassen.
Was tun bei Minderwuchs?
Während bei Akromegalie ein Zuviel an Somatotropin vorliegt, kann andererseits auch ein Mangel Probleme bereiten, zum Beispiel beim hypophysären Minderwuchs. Bei dieser und anderen Wachstumsstörungen verordnen Ärzte häufig Somatotropin.
Hormon, Abkürzung | Synonyma | Effekt an der Hypophyse |
---|---|---|
Releasing-Hormone (Reline, Liberine) | ||
Somatotropin-Releasing-Hormon, GRH, GH-RH | Growth-Hormone-Releasing-Hormon, Somatoliberin, Somatorelin | Freisetzung von Somatotropin (Wachstumshormon, Somatotropes Hormon, STH) |
Thyreotropin-Releasing-Hormon, TRH | Thyreoliberin, Protirelin | Freisetzung von Thyreotropin (Thyreoidea-stimulierendes Hormon, TSH), Prolactin (PRL, Lactotropes Hormon, LTH) |
Corticotropin-Releasing-Hormon, CRH | Corticoliberin, Corticorelin | Freisetzung von Corticotropin (Adrenocorticotropes Hormon, ACTH) und Melanotropin (Melanozyten-stimulierendes Hormon, MSH) |
Gonadotropin-Releasing-Hormon, GnRH, LH-RH | Gonadoliberin, Gonadorelin | Freisetzung von Follitropin (Follikel-stimulierendes Hormon, FSH) und Lutropin (Luteinisierendes Hormon, LH) |
Release-Inhibiting-Hormone | ||
Somatotropin-Release-Inhibiting- Hormon, GIH, GH-IH | Somatostatin | hemmt Freisetzung von Somatotropin (STH) |
Prolactin-Release-Inhibiting-Hormon, PIH, PRL-IH | Dopamin, Prolactostatin | hemmt Freisetzung von Prolactin (PRL) |
Wichtig: Die Wirksamkeit ist streng artspezifisch; tierisches Wachstumshormon zeigt beim Menschen keine Wirkung. Früher musste man das aus 191 Aminosäuren bestehende Hormon daher aus der Hypophyse von Leichen isolieren – sämtliche Risiken inklusive. Heute sind alle zugelassenen Präparate gentechnologisch hergestellt und bergen nicht mehr die Gefahr von Krankheitsübertragungen.
Somatotropin wird in den Alphazellen des Hypophysenvorderlappens gebildet. Das Hormon wirkt indirekt. Die Bindung an den Somatotropin-Rezeptor zieht unter anderem die Expression des Proteins Insulinähnlicher Wachstumsfaktor 1 (IGF-1) nach sich. Dieses steuert wiederum die Produktion weiterer Proteine, was letztendlich die Zellteilung und Wachstumsprozesse stimuliert. Da eine Wachstumsbeschleunigung bei Tumoren unerwünscht ist, ist Somatotropin bei Krebserkrankungen kontraindiziert. Auch bei Diabetikern ist besondere Vorsicht geboten, da Somatotropin in den Glucosestoffwechsel eingreift und diabetogen wirkt.
Aktuell steht das Wachstumshormon im Verdacht, die Sterblichkeit zu steigern. Gemäß französischen Studien ist die Mortalität vor allem nach Gebrauch von Hochdosen erhöht und wird mit Herz-Kreislauf-Ereignissen, Gehirnblutungen und Knochentumoren in Verbindung gebracht. Die europäische und die amerikanische Zulassungsbehörden EMA und FDA mahnen daher, die zugelassenen Indikationen und Dosierungen streng einzuhalten.
Wegen seiner anabolen Wirkung steht Somatotropin auf der Dopingliste. Trotzdem wird es bei Bodybuildern und in anderen Sportarten häufig missbräuchlich eingesetzt. Das könnte sich aber zumindest bei Profisportlern künftig ändern. Denn 2010 ist es erstmals gelungen, Doping mit Somatotropin nachzuweisen. Bislang blieb die Substanz immer unentdeckt.