Dies ist ein Beitrag aus unserem Archiv. Die Inhalte sind unter Umständen veraltet. Aktuelle Informationen zum Thema finden Sie auf unserer Themenseite Vasopressin.
Vasopressin kann mehr |
31.01.2011 15:49 Uhr |
Dies ist ein Beitrag aus unserem Archiv. Die Inhalte sind unter Umständen veraltet. Aktuelle Informationen zum Thema finden Sie auf unserer Themenseite Vasopressin.
Nomen est omen: Das Peptidhormon Adiuretin (ADH), auch Vasopressin genannt, wirkt antidiuretisch und verengt in höheren Konzentrationen die Gefäße. Doch es kann noch viel mehr.
Kurz zur Physiologie: Vasopressin ist wie Oxytocin ein Hormon des Hypophysenhinterlappens (Neurohypophyse). Die Vorläufermoleküle werden im Hypothalamus gebildet und gelangen von dort in die Hirnanhangsdrüse. Die langen Proteinketten werden in ein Transportprotein und die zyklischen Nonapeptide Vasopressin beziehungsweise Oxytocin gespalten. Bei Bedarf wird Vasopressin aus der Neurohypophyse an das Blut abgegeben und entfaltet vielfältige Effekte in der Peripherie.
Unvorstellbare Menge: Bis zu 24 Liter Flüssigkeit verliert ein Patient mit Diabetes insipidus jeden Tag.
Foto: Fotolia/g.g. lattek
Lange Zeit galt Vasopressin nur als nierenwirksames antidiuretisches Hormon. Doch es kann auch Durst auslösen, ist an Gedächtnis- und Lernleistungen beteiligt und stimuliert die Ausschüttung von Corticotropin (ACTH) aus dem Hypophysenvorderlappen. Damit greift es in die Stressantwort des Organismus ein. Als Signalmolekül im Gehirn sorgt es für die Regulation der Körpertemperatur und steuert Emotionen. Heute werden Störungen im Vasopressin-System mit psychischen Erkrankungen wie Depression und Autismus in Zusammenhang gebracht.
Schon länger ist bekannt, dass Vasopressin nicht nur das männliche Sozialverhalten bei Nagetieren, sondern auch das weibliche Fürsorgeverhalten entscheidend beeinflusst. Blockierten Forscher das Vasopressin-System im Gehirn von Rattenmüttern, kümmerten diese sich weniger um den Nachwuchs. Bei einer Aktivierung waren die Tiere viel fürsorglicher. Ebenfalls bei Nagetieren wiesen Wissenschaftler kürzlich nach, dass das Nonapeptid im Gehirn, genauer im Riechkolben, die Verarbeitung von Duftsignalen kontrolliert, die das soziale Zusammenleben bestimmen: Vasopressin erleichterte das Wiedererkennen von Artgenossen.
Was für die Nager gilt, könnte auch für Menschen zutreffen. So wird untersucht, ob eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung, die man beispielsweise bei psychisch kranken Müttern findet, sowie andere psychische Erkrankungen auf eine Fehlregulation im Vasopressin-System zurückgehen.
Therapeutisch genutzt wird seine Wirkung auf den Wasserhaushalt des Körpers. Vasopressin aktiviert die Wasserrückresorption; dazu dockt das Hormon an die vorwiegend in der Niere exprimierten V2-Rezeptoren an. Erst unter diesem Einfluss werden die Zellwände im Sammelrohr der Niere durchlässig für Wasser. Dieses kann nun, dem osmotischen Gradienten folgend, aus dem Sammelrohr in das Umgebungsgewebe austreten. In der Folge wird weniger Flüssigkeit renal ausgeschieden und steht damit dem Blutvolumen zur Verfügung.
Unter dem Einfluss des nur wenige Minuten wirkenden Hormons werden so jeden Tag 15 bis 25 Liter Tubulusflüssigkeit rückresorbiert. Vasopressin hält den Blutdruck auch bei Flüssigkeitsmangel konstant und beugt damit einem hypovolämischen Schock vor, zum Beispiel bei starkem Schwitzen oder einer Blutung.
Welche gravierenden Folgen ein Vasopressin-Mangel hat, zeigt sich beim Diabetes insipidus. Die Patienten scheiden täglich bis zu 12, im Extremfall bis zu 24 Liter eines stark verdünnten Urins aus. Starker Durst, enorme Salzverluste, Hypovolämie und Hyponatriämie sind die Folgen. Die Patienten müssen sehr viel trinken, um nicht auszutrocknen.
Ursachen sind eine mangelnde oder fehlende Produktion oder Freisetzung von Vasopressin aus den Drüsen im Gehirn (zentraler Diabetes insipidus) oder ein Defekt in der Niere. Dann kann der Harn trotz Vasopressin nicht ausreichend konzentriert werden. Diese renale Form ist seltener und wird vererbt.
Bei Vasopressin-Mangel kann sein Analogon Desmopressin (1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin) die Symptome lindern. Durch die chemische Modifikation geht der gefäßverengende Effekt (weitgehend) verloren, während die antidiuretische Wirkung länger anhält. Desmopressin steht als Nasenspray, Injektion oder Tablette zur Verfügung. Die orale Gabe reduziert die Diurese für 6 bis 14 Stunden. Der Arzneistoff ist außerdem zugelassen für Patienten mit übermäßigem nächtlichen Harndrang (Nykturie) sowie – im Rahmen eines Gesamttherapiekonzepts – für Kinder mit Enuresis nocturna (Bettnässen).
Auch zu viel ADH schadet
Das gegenteilige Problem haben Menschen, die zu viel Vasopressin bilden. Dies geschieht beispielsweise durch Freisetzung aus malignen Tumoren, bei bestimmten Erkrankungen des Zentralnervensystems oder durch Medikamente wie Antiepileptika, Neuroleptika und Antidepressiva. Die Übersekretion wird als SIADH-Syndrom (syndrome of inappropriate ADH secretion) oder Schwartz-Bartter-Syndrom bezeichnet. In der Folge werden große Mengen Wasser im Körper zurückgehalten und die Natriumkonzentration sinkt (Verdünnungs-Hyponatriämie).
Dieses Krankheitsbild wurde bis vor Kurzem vor allem mit Flüssigkeitsrestriktion und Kochsalz-Infusionen behandelt. Seit 2009 ist mit Tolvaptan in Europa der erste orale Antagonist an Vasopressin-V2-Rezeptoren zugelassen. Er soll der Hyponatriämie bei SIADH-Patienten entgegensteuern. In den Vereinigten Staaten steht mit Conivaptan auch ein gemischter V1/V2-Antagonist zur parenteralen Gabe zur Verfügung. Lixi- und Satavaptan sind in der Forschung. Vaptane sind Aquaretika und keine Diuretika, denn die Rezeptorblockade erhöht die Wasserdiurese, ohne die Elektrolytausscheidung zu beeinflussen. Mit Tolvaptan ist SIADH erstmals relativ gut kausal behandelbar. /