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24.01.2012 16:14 Uhr |
Von Daniel Rücker / Erstmals verhandelt der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversichrung (GKV) mit einem Arzneimittelhersteller über den Erstattungspreis für ein neues Arzneimittel. Bundesweit wird mit Interesse verfolgt, wie viel die Kassen in Zukunft für Ticagrelor bezahlen müssen.
Mit Spannung schauen die Pharmaunternehmen in Deutschland am Montag nach Berlin. Dort verhandelt mit AstraZeneca erstmals ein Arzneimittelhersteller mit dem GKV-Spitzenverband darum, Zu welchem Preis die Krankenkassen Versicherte mit dem Thrombozytenaggregationshemmer Ticagrelor ((Brilique®) versorgen können. Das Präparat wird in der Kombination mit Acetylsalicylsäure bei Angina-Pectoris-Patienten mit Durchblutungsstörungen am Herzmuskel oder nach einem Herzinfarkt eingesetzt.
Die Ware ist bekannt, ihr Nutzen auch. Jetzt muss noch der Preis ausgehandelt werden. Im Gegensatz zum Obst gibt es bei neuen Arzneimitteln noch keine Erfahrungen.
Foto: picture-alliance
Nach den Verhandlungen soll Tica-grelor für die Kassen deutlich preiswerter sein als im ersten Jahr seiner Marktpräsens. In den ersten zwölf Monaten nach der Markteinführung Anfang 2011 durfte das Unternehmen den Preis selbst bestimmen. Die Jahrestherapiekosten lagen bei gut 1000 Euro.
Im Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) hatte die Bundesregierung jedoch festgelegt, dass nach einem Jahr für neue Medikamente ein Erstattungspreis ausgehandelt werden muss. Dieser liegt um so höher, je besser das Medikament vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) oder dem vom Ausschus beauftragten Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bewertet wird. Nach Ansicht des IQWiG hat Ticagrelor, je nach Indikation, durchaus deutliche Vorteile gegenüber anderen Präparaten. Für Patienten mit einem leichteren Herzinfarkt ohne typische EKG-Veränderungen oder mit einer instabilen Angina Pectoris hat Ticagrelor einen beträchtlichen Zusatznutzen, weil es das Risiko für Todesfälle und Herzinfarkte senkt. Die Klassifiaktion »beträchtlich« ist die zweitbeste, die GBA und IQWiG für Nutzenberwertungen vorsehen. Darüber gibt es nur noch den Begriff »erheblich«. Der ist vorgesehen für Medikamente, die ein echter Durchbruch in der Therapie sind, also eine »nachhaltige, bislang nicht erreichte große Verbesserung darstellen.
Deutlich schlechter abgeschnitten hat Ticagrelor bei Patienten mit schwerem Herzinfarkt. Hier zeigte es gegenüber Prasugrel keinen nachweisbaren Vorteil.
Was in den kommenden Tagen und Wochen im Verhandlungszimmer passiert, dürfte für Krankenkassen wie Pharmahersteller spannend sein, weil die Erfahrungen fehlen. Der Abstand zwischen den Jahrestherapiekosten von Ticagrelor und der Standardmedikation (Clopidogrel) ist beträchtlich. Diesen Wirkstoff gibt es zu Jahrestherapiekosten von unter 150 Euro. Der Verhandlungsführer von AstraZeneca, Apotheker Claus Runge, sagte am Montag in der »Frankfurter Rundschau«, sein Unternehmen strebe »einen fairen Preis« an. Ob sich seine Vorstellungen von Fairness mit denen der Kassen decken bleibt abzuwarten.
Industrie bleibt skeptisch
Beim Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) beobachtet man die Verhandlungen mit einiger Skepsis. Der GKV-Spitzenverband verfüge als Nachfrager über eine »extreme Marktmacht«. Außerdem habe er eine wichtige Position im GBA und habe somit bereits über die Grundlagen und Voraussetzungen der Bewertung entschieden. BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp hält dies für bedenklich: »Bei dieser Machtfülle braucht es Verantwortung und Augenmaß beim GKV-Spitzenverband.« Die Versuchung sei groß, »die eigene Position zum Spardiktat zu verwenden«. Die Politik müsse deshalb darauf achten, dass der GKV-Spitzenverband seine Position nicht ausnutze. Als Negativbeispiel nannte Fahrenkamp die Verhandlungen zum Orphan Drug Pirfenidon (Esbriet®). Das Medikament ist seit Februar 2011 zugelassen zur Behandlung der leichten bis mittelschweren idiopathischen Lungenfibrose. Das IQWiG konnte in seiner Bewertung keinen Zusatznutzen des Präparates erkennen. /