Kassen wollen Margen drücken |
04.06.2013 18:03 Uhr |
Von Stephanie Schersch, Berlin / Die Krankenkassen feiern die Erstattungsbeträge als großen Erfolg. Im Streit um die Berechnung der Margen für Großhändler und Apotheker fordern sie allerdings eine Klarstellung im Gesetz.
Vor genau einem Jahr haben Krankenkassen und Pharmaindustrie den ersten Erstattungsbetrag für ein neues Arzneimittel verhandelt. Pionierarbeit leistete damals Astra Zeneca mit seinem Thrombozytenaggregationshemmer Ticagrelor (Brilique®). Inzwischen gibt es für ganze 21 Arzneimittel einen Erstattungsbetrag. In 17 Fällen haben sich Kassen und Hersteller dabei am Verhandlungstisch geeinigt, vier Mal musste die Schiedsstelle entscheiden. Vier Unternehmen zogen ihre Präparate zudem vom deutschen Markt zurück, nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss den Medikamenten keinen Zusatznutzen zuerkannt hatte.
Mit den bereits verhandelten Erstattungsbeträgen sparen die Kassen insgesamt 120 Millionen Euro. Jetzt hoffen sie, auch bei den Margen von Apothekern und Großhändlern den Rotstift ansetzen zu können.
Foto: Fotolia/Gina Sanders
120 Millionen Ersparnis
Für den Vizevorstandsvorsitzenden beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist das eine überaus positive Bilanz. Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) sei ein Riesenerfolg, sagte Johann-Magnus von Stackelberg vergangene Woche in Berlin. »Mit diesem Gesetz wird bei den neuen Medikamenten die Spreu vom Weizen getrennt.«
Laut GKV-Spitzenverband sparen die Kassen in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 120 Millionen Euro durch die Erstattungsbeträge. Das entspricht etwa 16 Prozent des Umsatzes mit den entsprechenden Arzneimitteln. Da die Präparate erst am Beginn ihres »ökonomischen Lebenszyklus« stünden, werde das Einsparvolumen in den kommenden Jahren deutlich steigen, prophezeite von Stackelberg. Aus Sicht der Kassen verlaufen die Preisverhandlungen mit den Herstellern dabei überaus fair. »Es geht uns nicht darum, die Preise auf Teufel komm raus zu drücken.« Beim Rilpivirin-haltigen HIV-Kombipräparat Eviplera von Gilead hätten die Kassen sogar den Listenpreis des Herstellers als neuen Erstattungsbetrag übernommen.
Nachbesserungsbedarf sehen die Kassen allerdings bei der technischen Umsetzung der Erstattungsbeträge. Zwar werden die verhandelten Preise seit Anfang Februar regulär über die Apothekensoftwarehäuser abgerechnet – allerdings nicht so, wie es sich die Kassen wünschen. Denn bislang werden die Margen von Großhändlern und Apothekern auf Basis der Listenpreise berechnet. Aus Sicht der Krankenkassen müssen aber die niedrigeren Erstattungsbeträge als Grundlage dienen.
Über die Berechnung der Handelszuschläge tobt seit Monaten ein Streit. Die entsprechende Rahmenvereinbarung zwischen Krankenkassen und Herstellern schreibt eigentlich eindeutig den Listenpreis als Bezugsgröße für die Berechnung der Margen fest. In diesem Punkt sei der Rahmenvertrag aber schlichtweg falsch, sagte von Stackelberg. Auch das Bundesgesundheitsministerium sei der Auffassung, dass der Erstattungspreis die richtige Berechnungsgrundlage sei. Unklarheiten hatte es zunächst auch bei der Berechnung der Umsatzsteuer gegeben. Hier habe das Bundesfinanzministerium inzwischen eindeutig klargestellt, dass der Erstattungspreis als Basis dient. »Das Gleiche muss damit auch für die Handelsaufschläge gelten«, so von Stackelberg.
Politische Lösung
Die Kassen drängen nun auf eine politische Lösung des Problems. »Ich hoffe zwar immer noch, dass wir gemeinsam mit den Verhandlungspartnern eine Lösung finden«, sagte der Verbandsvize. Sollten diese allerdings weiterhin keine Einsicht zeigen, müsse der Gesetzgeber eingreifen. Das sieht der Deutsche Apothekerverband anders. Er pocht ebenso wie die Großhändler darauf, am Listenpreis als Bezugsgröße festzuhalten. »An unserer Rechtsauffassung hat sich nichts geändert«, sagte ein Sprecher. Das Verfahren zur Abrechnung der Erstattungsbeträge laufe reibungslos. »Wir sehen daher auch keinen Grund für eine gesetzliche Klarstellung.«
Ob die Kassen klagen würden, sollte es bei der Berechnung der Margen zu keiner Einigung kommen, ließ von Stackelberg offen. Einen möglichen Ausstieg des GKV-Spitzenverbands aus der Rahmenvereinbarung hält er aber für das falsche Signal. Schließlich enthalte der Vertrag auch sehr viele gute Punkte. Unklar ist, ob die Politik tatsächlich in den Streit eingreifen wird. Für ein mögliches Einlenken bleibt vor der Sommerpause zudem nicht mehr viel Zeit. Eine Klarstellung zur Berechung der Handelsaufschläge könnte aber rein theoretisch über einen Änderungsantrag an ein laufendes Gesetzgebungsverfahren angehängt werden.
Neben der technischen Umsetzung hakt es aus Sicht der Kassen noch an einer anderen Stelle. Denn die Höhe der einzelnen Erstattungsbeträge wird auf Wunsch der Hersteller nicht veröffentlicht. Dieser Regelung hatte eigentlich auch der GKV-Spitzenverband zugestimmt. Bei den Kassen habe sich aber »ein Meinungswandel vollzogen«, sagte von Stackelberg nun. Das System sei zu wenig transparent, der Verband wolle die Preise daher auf seiner Internetseite veröffentlichen.
Fehlende Zustimmung
Das ginge allerdings nur, wenn die Pharmaunternehmen zustimmten. »Die allermeisten Firmen haben abgelehnt.« Es sei schon seltsam, dass man theoretisch einen Apotheker nach dem Erstattungsbetrag fragen könne, der diesen aus seiner Lauer-Taxe kennt. »Wir dürfen hingegen nichts sagen, obwohl wir den Preis selbst verhandelt haben«, so von Stackelberg.
Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie reagierte angesichts dieser Aussagen empört. Die verhandelten Rabatte erreichten bereits die Stellen, an denen sie für die Abrechnung der Arzneimittel benötigt würden. »Für weitergehende Veröffentlichungen gibt es keinen Anlass«, sagte BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp. Der BPI zweifelt zudem an der Verlässlichkeit des GKV-Spitzenverbands, da dieser die gemeinsam geschlossene Rahmenvereinbarung »nach wenigen Monaten in einem zentralen Punkt neu interpretiert«, heißt es. Die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen, Birgit Fischer, sagte mit Blick auf das AMNOG: »Ein faires Verfahren sieht anders aus.« Grund dafür sei unter anderem die machtvolle Doppelrolle des GKV-Spitzenverbands. Dieser wähle als Mitglied im GBA eine billige Vergleichstherapie bei der Nutzenbewertung aus, um bei den anschließenden Preisverhandlungen mit den Herstellern auf diese zu verweisen. Letztlich erschwere das AMNOG so Innovationen den Marktzugang. /
Zu billig
Krankenkassen möchten Arzneimittel möglichst günstig einkaufen. Das ist nachvollziehbar. Aber haben sie auch das Recht, ihre Ziele zu verfolgen, ohne die ebenso legitimen Interessen ihrer Marktpartner zu beachten? Nein! Warum sollen Apotheker die Leidtragenden sein, wenn Arzneimittelhersteller und GKV Erstattungsbeträge für Arzneimittel aushandeln? Die AMNOG-Regelung sollte die Industrie treffen, nicht die Apotheker, so war das Gesetz konzipiert. Daran gibt es keinen Zweifel.
Die Interpretation der Kassen widerspricht dem mit den Herstellern geschlossenen Rahmenvertrag. Das können die Akteure nicht ignorieren. Politik und Kassen haben die Auwirkungen nicht zu Ende gedacht. Sie müssen nun die Größe haben, den Fehler zu korrigieren. Es ist zu billig, jetzt den Schaden auf die Apotheker und den Großhandel abzuwälzen.
Daniel Rücker
Chefredakteur