Alarm im Ausschuss |
18.02.2014 17:14 Uhr |
Von Ev Tebroke, Berlin / Aufhebung der Bestandsmarktprüfung und Erstattungspreis, das waren die Hauptthemen der Anhörung, die vergangene Woche im Gesundheitsausschuss des Bundestages stattfand. Im Gedächtnis bleiben wird die Sitzung aber nicht nur wegen der fundierten Ausführungen der Experten – sondern vor allem aufgrund der ungewöhnlichen Unterbrechung.
Die Anhörung lief seit einer Stunde, da ertönte ein lauter Gong und dann die Durchsage: »Achtung, Achtung! Es ist ein Notfall eingetreten! Bewahren Sie Ruhe, und verlassen Sie unverzüglich das Gebäude!« Im Saal belustigte Blicke der Anwesenden. Eine Übung? Ein Witz? Dann Sirenengeheul und erneut die Durchsage. Alle mussten raus aus dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus im Regierungsviertel. Draußen dann Feuerwehr und hektische Sicherheitsbeamte. Keiner wusste, was los war.
Politiker fragen, Experten antworten: Infolge einer Anhörung wurde schon so manches Gesetz im Detail geändert.
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Nach einer halben Stunde war der Spuk vorbei und die Anhörung wurde fortgeführt. Die Sprinkleranlage sei defekt und man habe befürchtet, dass Abgeordnete, Presse und sonstige Besucher plötzlich im Nassen sitzen könnten, so die Erklärung des sichtlich amüsierten Ausschuss-Vorsitzenden Edgar Franke (SPD). Dann ging es weiter im Text: Politiker fragen, Sachverständige antworten.
Rabatt und Moratorium
Anlass der Anhörung war das 14. SGB-V-Änderungsgesetz, mit dem die Koalition zum Teil einschneidende Maßnahmen für Pharmabranche und Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auf den Weg bringen will. So sollen zukünftig patentgeschützte Medikamente, die bereits vor 2011 auf dem Markt waren, keine Nutzenbewertung mehr durchlaufen müssen. Dies erspart den Herstellern einige Milliarden Euro Kosten. Im Gegenzug wird aber das Preismoratorium für rezeptpflichtige Arzneimittel bis 2017 verlängert. Und auch der Rabatt, den die Hersteller den Kassen auf diese Präparate geben müssen, soll nicht wie ursprünglich geplant von 16 auf 6 Prozent, sondern lediglich auf 7 Prozent sinken.
Hier regte sich insbesondere Widerstand bei den Herstellern von Generika und Biosimilars. Sie waren bislang vom erhöhten Herstellerrabatt ausgenommen und mussten lediglich 6 Prozent Rabatt gewähren. Bork Bretthauer vom Verband Pro Generika betonte, da diese Medikamentengruppen nicht unter das Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (AMNOG) fielen, seien sie von der Aufhebung der Bestandsmarktprüfung auch nicht berührt. Wenn sie hier einerseits nicht von Einsparungen profitierten, könnten sie andererseits auch nicht zur finanziellen Kompensation durch Preisstopp und erhöhtem Herstellerabschlag herangezogen werden.
Mittlerweile scheint die Koalition einzulenken: Wie der Unions-Gesundheitsexperte Jens Spahn (CDU) diese Woche in Berlin mitteilte, sollen Generika auch künftig vom erhöhten Herstellerrabatt verschont bleiben. Die Preise für diese Präparate sollen zudem angehoben werden dürfen, solange sie unter dem jeweiligen Festbetrag liegen.
Was den Bestandsmarkt betrifft, so wird die Aufhebung der durch das AMNOG geregelten Prüfung nicht nur von den Herstellern sondern auch vom Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) begrüßt. Dieser hatte zuletzt vor allem rechtliche und methodische Probleme bei der Umsetzung angemahnt. Sowohl G-BA als auch GKV-Spitzenverband sehen es aber als notwendig an, Bestandsmarktprodukte auch weiterhin auf ihren Nutzen prüfen zu können.
Dass dies bereits im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung möglich ist, »unter Verwendung der sonstigen seit Jahren bewährten Instrumente«, darauf weist das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in seiner Stellungnahme zum Gesetz hin. Aus Sicht des G-BA wäre es außerdem sinnvoll, wenn bereits auf dem Markt befindliche Wirkstoffe, die eine neue oder erweiterte Zulassung für ein neues Anwendungsgebiet erhalten, zukünftig auch eine Nutzenbewertung durchlaufen müssen. Dies müsse klarer als bisher gesetzlich geregelt werden, betonte der G-BA Vorsitzende Josef Hecken.
Auch der GKV-Spitzenverband und Patientenvertreter unterstützen diese Forderung. Hintergrund sind Fälle wie das Beispiel des Krebsmedikaments MabCampath® mit dem Wirkstoff Alemtuzumab. Die Sanofi-Tochter Genzyme hatte das Mittel 2012 in Europa vom Markt genommen und den Wirkstoff 2013 unter dem Namen Lemtrada® zur Behandlung der Multiplen Sklerose neu vermarktet. Der Preis stieg dabei um das 40-Fache.
Die Ärzte wollen grundsätzlich an der Nutzenbewertung im Bestandsmarkt festhalten. Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Ärzte, Professor Wolf-Dieter Ludwig, kritisierte die Aufhebung der AMNOG-Maßnahme als schädlich für Mediziner und Patienten.
Geringere Margen
Kritik gab es auch zu den im Änderungsgesetz geplanten Neuregelungen zum Erstattungsbetrag. Diesen Rabatt auf den Listenpreis verhandeln Krankenkassen und Pharmahersteller im Anschluss an die Nutzenbewertung. Zukünftig will die Koalition diesen Erstattungspreis als Abgabepreis für Arzneimittel definieren. Insbesondere für Großhandel und Apotheker bedeutet das geringere Handelsspannen, denn als Bezugsgröße für die Berechnung der Margen gilt bislang der höhere Listenpreis.
Das neue Gesetz birgt so manch bittere Pille für die Pharmabranche.
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Auch der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) befürchtet Umsatzeinbußen. Der GKV-Spitzenverband könnte zukünftig bei der Festbetragsberechnung für AMNOG-Produkte die Erstattungspreise zur Grundlage machen, so die Sorge von vfa-Geschäftsführer Markus Frick. Daraufhin redete sich der Vize-Chef des GKV-Spitzenverbands Johann-Magnus von Stackelberg in Rage, die Pharmaindustrie zünde mal wieder »Nebelkerzen«, sagte er. Es müsse auf allen Ebenen eindeutig klargestellt werden, dass der Erstattungspreis der Abgabepreis sei.
Die anderen von der Neuregelung zum Erstattungspreis Betroffenen, die Pharmahändler und die Apotheker, bekamen keine Möglichkeit, sich zum Thema zu äußern. Vertreten wurden sie bei der Anhörung durch den Verband des pharmazeutischen Großhandels und durch die ABDA.
Nachprüfbare Kriterien
Und auch in der Diskussion über die Austauschverbotsliste kamen sie nicht zu Wort. Diese Liste soll verbindlich regeln, welche Wirkstoffe zukünftig nicht mehr substituiert werden dürfen. Der GKV-Spitzenverband begrüßte in der Anhörung erneut, dass die Regierung die Verhandlungen zu dieser Liste dem G-BA übertragen will. Dies sei das geeignete Gremium, »weil es dann nicht zu Widersprüchen zwischen den Arzneimittelkriterien kommt«, so Antje Haas vom GKV-Spitzenverband. Die Kriterien, die für die Auswahl der Wirkstoffe entscheidend sind, sollten auch im G-BA nachprüfbar sein.
Die Patientenvertreter regten an, die Kriterien, die Kassen und Apotheker bereits im Rahmen des Schiedsverfahrens erarbeitet haben, in das Gesetz mit einfließen zu lassen. Außerdem sei die Liste nicht austauschbarer Arzneimittel deutlich zu ergänzen. Gerade im Bereich der Immunsuppressiva und bei der Schmerzmittelmedikation müssten weitere Wirkstoffe hinzukommen. /